VOGELSCHUTZ 3-22

VOGELSCHUTZ 3|22 1 Vogelschutz lbv.de magazin 3|2022 Blumen in die Fläche Blühmischungen in der Agrarlandschaft Getreide auf den Teller Diskussion um die Lebensmittelversorgung Einsatz auf dem Acker Landwirte schützen die Artenvielfalt ARTENVIELFALT in der LANDWIRTSCHAFT

2 VOGELSCHUTZ 3|22 Reisen in die Welt der Vögel birdingtours GmbH, Kreuzmattenstr. 10a, 79423 Heitersheim, Tel. 07634-5049845, info@birdingtours.de In unserem Gesamtjahreskatalog informieren wir Sie über Neuigkeiten aus der Vogelwelt und stellen Ihnen unsere bevorstehenden Reisen vor. Anfordern können Sie unseren Katalog auf unserer Webseite unter www.birdingtours.de oder per Telefon Über 100 Vogelbeobachtungsreisen für Einsteiger, Fortgeschrittene und Profis in Deutschland, Europa und weltweit www.birdingtours.de Empfohlen von: Reisen in die Welt der Vögel 2021 Kostenlos 09174-4775-7023 naturshop@lbv.de lbv-shop.de LBV-Balkonhalterung NEU VOGELFREUDE GANZ NAH! Die neue und hochwertige LBV-Balkonhalterung wurde eigens von unseren Vogelexperten entwickelt und geprüft. Profitieren Sie von dem genialen 3-in-1 System für Futtersäule, Nistkasten oder Sonnenschirm. So bleiben Sie flexibel über das ganze Jahr.

VOGELSCHUTZ 3|22 3 das Spannungsfeld zwischen Artenschutz und Landwirtschaft ist groß. Wissenschaftlich ist es unumstritten, dass die intensive industrielle Agrarindustrie der Hauptverursacher des Insekten- und Feldvogelsterbens der letzten Jahrzehnte ist. Deshalb stemmt sich der LBV seit Langem durch direkte Zusammenarbeit mit Landwirtinnen und Landwirten in konkreten Projekten gegen den Abwärtstrend bei unseren Feld- und Wiesenbewohnern. Durchaus mit etwas Stolz stellen wir Ihnen in dieser Ausgabe vor, wie wir zum Beispiel einzelne stark bedrohte Arten wie Wiesenweihe, Braunkehlchen und Ortolan mit Erfolg retten. Darüber hinaus unterstützen wir die Artenvielfalt gezielt mit der Entwicklung von eigens zusammengestellten Blühmischungen in der monotonen Agrarlandschaft. Gerade aufgrund unseres unermüdlichen Einsatzes für die schwindende Artenvielfalt in der Agrarfläche beobachten wir seit Monaten mit Bestürzung den Versuch von Teilen der Agrarlobby, sämtliche Errungenschaften des Naturschutzes in diesem Lebensraum zurückzudrehen. Wir erklären Ihnen, warum nicht der Naturschutz verantwortlich für mögliche Lebensmittelengpässe sein kann. Liebe Leserinnen und Leser, Miteinander ackern für den Artenschutz Vogelschutz Viel Spaß beim Lesen! Ihr Markus Erlwein Chefredakteur Zum ersten Mal seit Ausbruch der Pandemie war es der LBV-Belegschaft im Juli wieder möglich, sich in einem größeren Rahmen draußen zu treffen. Bei einem Sommerfest war deutlich zu spüren, wie sehr die Mitarbeitenden den persönlichen Austausch vermisst hatten und wie wichtig dieser für den einzigartigen Zusammenhalt in der LBV-Familie ist. Zusammenhalt E D I T O R I A L FOTO: NICOLE FRIEDRICH

4 VOGELSCHUTZ 3|22 ID-Nr. 22121724 Dieses Druckerzeugnis ist mit dem Blauen Engel ausgezeichnet. www.blauer-engel.de/uz195 · ressourcenschonend und · umweltfreundlich hergestellt · emissionsarm gedruckt XW1 überwiegend aus Altpapier Sie lesen klimaneutral und umweltfreundlich 6 Im Fokus Blühflächen 8 Leserbriefe 9 Kurzmeldungen 10 Standpunkt Dr. Norbert Schäffer 12 Industrielandschaft Dramatischer Biodiversitätsverlust auf Äckern und Wiesen 16 Rettung der letzten Feldvögel Wie der LBV erfolgreich Schutzprojekte umsetzt 22 Landwirte für Artenvielfalt Vorbildliches Engagement 24 Getreide auf den Teller Landwirtschaft und Umweltschutz in Krisenzeiten 26 Spendenaktion Wiesenbrüter und Feldvögel in Not 12 22 16 Die Situation der Feldvögel in Deutschland ist dramatisch. Warum sich Landwirte für die Artenvielfalt engagieren. TITELBILD: KIEBITZ | AGAMI - STOCK.ADOBE.COM FOTOS: NATURLAND, DR. OLAF BRODERS, MAXIMILIAN TANK, ZDENEK TUNKA, FRANZISKA WENGER, HERSTELLER (3) I NH A L T So erfolgreich wie kaum ein anderes Projekt: der Schutz der Wiesenweihe. INHALT Erfolgreicher Start fürs Artenkenntnis-Wochenende der NAJU. 34

VOGELSCHUTZ 3|22 5 38 Blühflächen erfüllen in der Agrarlandschaft eine wichtige Funktion. Einhefter • Spenden-Überweisungsträger • Mitgliederwerbekarte 28 LBV AKTIV 34 NAJU Neues von der Naturschutzjugend 36 Artenvielfalt braucht Netzwerke LBV fordert Tempo beim Ausbau des Biotopverbunds und der Ökolandwirtschaft 38 Blühflächen & Brachen LBV-Projekt zur Förderung der Biodiversität in der Agrarlandschaft 40 Extensive Äcker und neue Weidekonzepte Im LBV-Schutzgebiet Saaletal entsteht eine echte Perle 42 Aus dem LBV • Ergebnisse Stunde der Gartenvögel, • Bayerische Biodiversitätstage 44 Stiftung Nachhaltig Vermachen 45 Technik Fledermäuse mit Detektoren erforschen 46 Umweltbildung LBV-Projekt zum Artenreichtum des Grünlands 48 Medien Buchempfehlungen 49 Kleinanzeigen 50 Impressum und Kontakte - ANZEIGE - 45 FledermausDetektoren im Vergleich. VOGELFREUDE GANZ NAH! Nur bei uns erhältlich! lbv-shop.de LBV-Balkonhalterung

BLÜHFLÄCHE UND AGRARLANDSCHAFT IM UNTERFRÄNKISCHEN GÜNTERSLEBEN | FOTO: FRANZISKA WENGER 6 VOGELSCHUTZ 3|22 In ausgeräumten und intensiv genutzten Agrarlandschaften sind Blühflächen und Brachen ein wertvolles Werkzeug, um für Pflanzen und Tiere Rückzugsorte zu schaffen. BLÜHFLÄCHEN IN DER AGRARLANDSCHAFT

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8 VOGELSCHUTZ 3|22 L E S E R B R I E F E Ihre Meinung ist uns wichtig! Schreiben Sie uns unter leserbriefe@lbv.de oder per Post an Redaktion VOGELSCHUTZ, Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein. Die Redaktion behält sich aus Platzgründen eine Auswahl und das Kürzen von Leserzuschriften vor. Leserbriefe geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. i Post Katzenkiller im Garten Auch in unserem naturnahen Garten spielen sich Jahr für Jahr Dramen ab, mit Vögeln und auch mit Fledermäusen, für die Katzenbisse immer tödlich enden. Von den ekelhaften Hinterlassenschaften ganz zu schweigen. Ich finde es sehr enttäuschend vom LBV, dass er es sich mit den Katzenhaltern offensichtlich nicht verscherzen möchte und viel zu diplomatisch formuliert. Das beschwichtigende Fazit, wir müssen lernen, mit den Katzen zu leben, mag auf uns Menschen vielleicht zutreffen. Aber auf die Vögel und Amphibien leider nicht! Die können das weder lernen noch weiterleben. Ich finde es angebracht, dass sich der LBV, als die Lobby für Vögel, mit dem Thema Katzen entschiedener und häufiger beschäftigen muss. Heidi Billmann, 90599 Dietenhofen Zur Meldung „Stadt Teublitz ignoriert VGH-Urteil“ (2/22) Stadt hat Vorbildfunktion Wie will eine Stadt oder staatliche Institution von ihren Bürgern erwarten, dass sie Gebührenbescheide oder Strafzettel für Falschparken bezahlen, wenn sie sich selbst nicht an Recht und Gesetz hält? Ich würde dort als Bürger meine Zahlungen einstellen, bis die Stadt eindeutig den Weg zurück zum Recht findet. Woher kann ich als Bürger bei diesem Verhalten der Stadt, die Gewissheit haben, dass meine Müll- oder Abwassergebühren entsprechend Recht und Gesetz verwendet werden und nicht anderweitig unterschlagen werden? Gerade staatliche Stellen, die von Bürgern (völlig zu Recht) ein regelkonformes Verhalten einfordern, befinden sich in einer Vorbildfunktion! Politiker, die das anders sehen, fordere ich zum Rücktritt auf. Michael Kelber, 96489 Niederfüllbach Zum Titelthema „Lebensraum Garten“ (2/22) Biodiversität auf Selbstversorgerflächen Ich habe mich sehr über den Naturgarten-Teil in der letzten Ausgabe gefreut. Ein weiterführender Aspekt: Immer mehr Menschen möchten sich wieder teilweise aus dem eigenen Garten mit frischem Gemüse versorgen, betreiben Gemüseanbau auf einem Sonnenacker oder in einem Gemeinschaftsgarten oder sind Mitglied bei einer solidarischen Landwirtschaft. Ich würde mich freuen, wenn Sie in einem LBV-Magazin mal darüber berichten könnten, wie man auf solchen Anbauflächen gleichzeitig auch die Biodiversität fördern kann. Bernadette Wimmer, 82467 Garmisch-Partenkirchen Katzenthema heruntergespielt In unserem Innenhof sind wegen der Nachbarskatze kaum mehr Vögel und Eichhörnchen zu finden. Ich würde mir wünschen, dass Sie etwas eindringlicher auf dieses Problem hinweisen. Der letzte Artikel in Ihrer Zeitschrift hat das Katzenthema eher heruntergespielt und wird keinen Katzenhalter zum Nachdenken bewegen. Traurig! Edeltraud Auer, 81371 München Katzen besser beaufsichtigen Ich habe mal erlebt, wie eine Katze einen Vogel erwischte, ihn aber nicht sofort verspeiste, sondern ihn immer mehr verletzte, sodass er sich letztendlich nur noch kriechend fortbewegen konnte. Es dauerte unerträglich lange bis zum erlösenden Biss. Nachbars Katze kommt nicht mehr in unseren Garten, nachdem ich mehrere Male laut fauchend auf sie zugelaufen bin. Katzen sollten sich nicht in der Phase des Flüggewerdens unbeaufsichtigt in Gärten aufhalten. Horst Kayling, 63739 Aschaffenburg Katzen auch für Gartenvögel gefährlich Erst einmal danke, dass ihr euch diesem sehr schwierigen Thema der Freigänger angenommen habt und ich stimme Herrn Bairlein in wirklich vielen Punkten zu. Allein die Aussage, dass Freigänger in der Regel unsere Gartenvögel nicht gefährden, teile ich nicht. Gerade auch die häufigen Arten (und nicht nur bei den Vögeln) unterliegen derzeit aus diversen Gründen einem Populationsrückgang. Das Motto muss also sein „keeping common species common“ (Anm. d. Red.: Häufige Artenmüssen häufig bleiben), um zu verhindern, dass unbedrohte Arten bedroht werden. Bestes Beispiel ist der Haussperling, der sich ja bereits auf der Vorwarnliste befindet. Ich arbeite täglich mit den Arten, bei denen die Schutzbemühungen viel zu spät eingesetzt haben und daher müssen wir jetzt in der Katzenhaltung umdenken. Und das heißt ganz klar: nur noch kontrollierter Ausgang. Deutlichstes Beispiel ist die gerade stattfindende Diskussion über den Ort Walldorf in Baden-Württemberg und ob Freigänger Ausgangssperre bekommen dürfen, um die letzten Haubenlerchen zu schützen. Hier zeigt sich, dass durch die gesellschaftliche Akzeptanz der Hauskatze als Freigänger, selbst in einer solchen Notsituation, keine Einsicht entsteht, die dem Artenschutz Vorrang vor einem Haustier zugesteht. Dr. Philipp Wagner, 48291 Münster FOTOS: DIEFETZER.DE, STMFH/CHRISTIAN BLASCHKA, HANSRUEDI WEYRICH Zum Interview mit Prof. Dr. Bairlein über den Einfluss von Katzen (2/22)

Wählen Sie den Vogel des Jahres 2023! Ab dem 2. September wird der Nachfolger des Wiedehopfs gesucht. Dann können Sie sich bis zum 27. Oktober wieder an der Abstimmung zum nächsten Vogel des Jahres auf www.vogeldesjahres.de beteiligen. Jede und jeder kann bei dieser öffentlichen Wahl Einfluss darauf nehmen, welcher der fünf durch LBV und NABU vorausgewählten Kandidat*innen der Vogel des Jahres 2023 werden soll. Jeder der fünf Vögel steht für ein Naturschutzthema, das unsere Aufmerksamkeit braucht. Die fünf Kandidat*innen werden mit Start der Wahl bekannt gegeben. Soviel sei aber schon verraten: Ein Kandidat vom letzten Jahr versucht sein Wahlglück nochmal. Alle Infos unter www.lbv.de/vogeldesjahres. Gezwitscher Recka und Dagmar erfolgreich ausgewildert Über 140 Jahre nach seiner Ausrottung durch den Menschen fliegt seit 2021 wieder der Bartgeier durch die Lüfte der deutschen Alpen. Der LBV und der Nationalpark Berchtesgaden haben Anfang Juni bereits zum zweiten Mal junge, noch nicht flugfähige Bartgeier in einer Felsnische im Klausbachtal erfolgreich ausgewildert. Das Projekt wird vomBayerischen Umweltministeriummit rund 610.000 Euro gefödert. Vor ihrer Auswilderung wurden die beiden jungen Bartgeierweibchen vom Bayerischen Umweltminister Thorsten Glauber auf die Namen „Recka“ und „Dagmar“ getauft. Rund einen Monat später haben die beiden Vögel ihre Erstflüge erfolgreich absolviert und können nun noch einige Zeit bei ihren Flugübungen im Nationalpark beobachtet werden. Anschließend zeigt unsere Webseite ihre weitere Reise unter www.lbv. de/bartgeier-auf-reisen. K U R ZME L DUNG E N Naturschwärmer erhält Umweltpreis Die Corona-Pandemie hat auch in der Umweltbildung in Bayern zu starken Einschränkungen geführt. Um dem entgegenzutreten, starteten die 13 Umweltbildungseinrichtungen des LBV im August 2020 das digitale Umweltbildungsprojekt Naturschwärmer. Dieses wurde nun mit dem Umweltpreis der Bayerischen Landesstiftung ausgezeichnet. Der mit insgesamt 30.000 Euro dotierte Preis zeigt auch die Wertschätzung für die Umweltbildungsarbeit des LBV. Bildung für nachhaltige Entwicklung vermittelt Wissen über globale Zusammenhänge und Herausforderungen wie den Klimawandel, den Schutz der Biodiversität oder globale Gerechtigkeit. Sie ist ein Türöffner, der Menschen den Zugang zum nachhaltigen Gestalten der Zukunft ermöglicht. VOGELSCHUTZ 3|22 9 Leitfaden für Biodiversität auf Naturland-Betrieben Die Förderung der Biodiversität in der Landwirtschaft ist das gemeinsame Ziel von LBV und Naturland, dem Verband für ökologischen Landbau. Im Rahmen ihrer 2019 geschlossenen Partnerschaft haben die beiden Verbände gemeinsam den Leitfaden Biodiversität auf Naturland Betrieben entwickelt. Das mehr als 80-seitige Handbuch vereint das Praxiswissen von Öko-Landbau und Naturschutz. Der Leitfaden unterstützt Betriebe, durch konkrete und standortangepasste Maßnahmen einen effektiven Mehrwert für die Artenvielfalt zu erzielen. Die Biodiversitätsmaßnahmen werden in vier zentralen Kapiteln vorgestellt. Dabei steht der konkrete Praxisbezug im Mittelpunkt: von der Wahl geeigneter Standorte über detaillierte Umsetzungstipps bis zur Abwägung von Vor- und Nachteilen einzelner Maßnahmen. Weitere Maßnahmenkataloge zu Wein, Obst und Gemüse sind geplant.

10 VOGELSCHUTZ 3|22 T H EMA DR. NORBERT SCHÄFFER LBV-VORSITZENDER Titelthema der aktuellen Ausgabe unseres LBV-Mitgliedermagazins Vogelschutz ist „Artenvielfalt in der Landwirtschaft“. Wer jetzt einen Frontalangriff auf die konventionelle Landwirtschaft erwartet, der irrt. Unbestritten haben wir in unserer Agrarlandschaft in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Tiere und Pflanzen verloren. Dies nur unseren Landwirtinnen und Landwirten vorzuwerfen, greift aber zu kurz. Die Konkurrenz auf dem Weltmarkt, niedrige Preise und die Anforderungen an die Qualität der Erzeugnisse führten zu einer intensiveren Bewirtschaftung unserer Felder und Wiesen. Die Verwendung von Düngemitteln und Pestiziden, die Vereinheitlichung im Anbau auf wenige Feldfrüchte sowie große Bewirtschaftungseinheiten haben aber dazu geführt, dass unsere Offenlandschaft viel strukturärmer wurde und immer weniger Lebensraum bietet. Dennoch bleibt die Tatsache, dass wir, gemessen an unseren Feldvögeln – die bekanntlich einen sehr guten Indikator für den Zustand unserer Natur und Umwelt darstellen – in den vergangenen vierzig Jahren rund die Hälfte der Biologischen Vielfalt, also die Hälfte des Lebens in der offenen Feldflur verloren haben. Im Wald, in Feuchtgebieten und sogar im Siedlungsbereich sehen die entsprechenden Zahlen dagegen deutlich besser aus. Zusammen mit Bäuerinnen und Bauern in Bayern wollen wir den Rückgang unserer Biologischen Vielfalt aufhalten und die Artenvielfalt an Tieren und Pflanzen in unsere Feldflur zurückbringen. Dass dies tatsächlich möglich ist, zeigen zahlreiche erfolgreiche Beispiele. Volksbegehren richtet sich nicht gegen Landwirtschaft Nein, wir betreiben kein „Bauern-Bashing“, wie uns oft unterstellt wird. Zugegeben, die Maßnahmen und Vorgaben in unserem überaus erfolgreichen Volksbegehren Artenvielfalt „Rettet die Bienen!“ betreffen in erster Linie landwirtschaftliche Flächen, und weniger Wälder, kommunale Flächen oder private Gärten. Hierfür gibt es gute Gründe: Landwirtschaftliche Flächen prägen mit einer Gesamtausdehnung von knapp 50 Prozent der Landesfläche wie kein anderer Lebensraum das Gesicht Bayerns. Gerade hier aber haben wir in den vergangenen Jahrzehnten schmerzhafte Verluste beispielsweise in der Vogelwelt hinnehmen müssen. Die gleichzeitige Aufnahme anderer Themen bzw. Lebensräume wie beispielsweise Gärten in unser Volksbegehren war durch rechtliche Vorgaben (Stichwort Koppelungsverbot) aber nicht möglich. Und noch einmal: Unser Volksbegehren war kein Volksbegehren gegen die Landwirtschaft, sondern für den Erhalt der Natur und Artenvielfalt in Bayern. „Rettet die Bienen!“ konsequent umsetzen Tatsächlich ist seit der Annahme des Volksbegehrensgesetzes, von der Bayerischen Staatsregierung ergänzt und erweitert durch ein Begleitgesetz und einen Maßnahmenkatalog, in den vergangenen drei Jahren einiges erreicht worden. Hierzu zählen neben dem Bayerischen Streuobstpakt und der Anlage von Gewässerrandstreifen auch die Ausweisung von vielen Tausend Hektar nutzungsfreier Wälder. Erwähnen möchte ich zudem unbedingt die Einrichtung zahlreicher neuer Stellen im Naturschutz. Ausgelöst durch die Diskussionen rund um das Volksbegehren hat sich auch in anderen Bereichen einiges bewegt. So pflegen heute zahlreiche Kommunen ihre Straßenränder deutlich naturnäher als noch vor dem Volksbegehren. In Gärten muss jetzt ein vollständiges Pestizidverbot, ein Verbot zur Neuanlage von „Steingärten” sowie ein Verzicht auf Torf folgen. Daran arbeiten wir. Biotopverbund – desolate Situation nicht schönrechnen Die vielleicht wichtigste Maßnahme im Rahmen des Volksbegehrens ist der Aufbau eines flächendeckenden Biotopverbundes imOffenland auf einer Gesamtfläche von 10 Prozent bis zum Jahr 2023, 13 Prozent bis zum Jahr 2027 und – damit geht die Bayerische Staatsregierung sogar über die Forderungen des Volksbegehrens hinaus – auf 15 Prozent bis zum S T A ND P UN K T zusammen stoppen Den Rückgang

VOGELSCHUTZ 3|22 11 Jahr 2030. Außer theoretischen Überlegungen hat sich hier noch nicht viel getan. Wir wollen einen Biotopverbund aber nicht „herbeirechnen“, sondern müssen diesen in der Fläche umsetzen. Hierzu gehören auch die Gunstlagen beispielsweise im Gäuboden oder im Ochsenfurter Gau. Sehen Sie sich die entsprechenden Flächen selbst an: Von Biotopverbund ist hier in weiten Teilen gar nichts zu erkennen. Mulchen vernichtet Leben Manchmal sind es die kleinen Dinge, die fundamental sind für das Überleben von Tieren und Pflanzen. Ein Beispiel hierfür ist die auf vielen kommunalen Flächen sowie entlang von Feldrändern noch immer praktizierte Maßnahme des Mulchens. Durch das Häckseln beim Mulchen werden viele Tiere regelrecht zerschreddert. Insekten, Spinnen, aber auch kleine Amphibien, Reptilien und Säugetiere haben keine Chance zu entkommen. Tausende von Kilometern entlang von Wegen und Feldern werden auf diese Weise zu Todeszonen. Ich weiß, manche Bauhöfe haben sich teure Mulchmaschinen angeschafft und fühlen sich verpflichtet, diese jetzt einzusetzen. Im Ergebnis aber wird Leben unnötigerweise vernichtet. Manchmal geht es aber auch einfach nur um Ordnung und Sauberkeit. Wir brauchen hier ein anderes Ästhetikempfinden: Gerade stehengelassene, verdorrte Vegetation ist wichtig als Überwinterungsquartier beispielsweise für die Schmetterlinge im kommenden Jahr. Denken Sie daran, und schon sieht ein nicht gemähter Seitenstreifen ganz anders aus! Dies gilt in gleichem Maß übrigens für Gärten, wo viel Leben durch Mähroboter vernichtet wird. Stiftung Bayerisches Naturerbe Unsere Stiftung Bayerisches Naturerbe feiert dieses Jahr 20. Gründungsjubiläum. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich beim ehrenamtlich tätigen Stiftungsvorstand bestehend aus Rüdiger Dietel, Ludwig Sothmann, Bernd Söhnlein, Horst Guckelsberger und Horst Seibold sowie beim LBV-Stiftungsbeauftragten Gerhard Koller ganz herzlich für ihr großes Engagement zu bedanken. Ohne unsere Stiftung wären in den vergangenen beiden Jahrzehnten viele Natur- und Artenschutzprojekte nicht möglich gewesen. Mehr Bartgeier in Berchtesgaden! Zum Schluss noch ein schönes Bild: Derzeit fliegen mit Dagmar und Recka zwei weitere junge Bartgeier aus unserem Auswilderungsprogramm durch den Nationalpark Berchtesgaden. Bavaria, die im vergangenen Jahr ausgewildert wurde, befindet sich ebenfalls in der Nähe. Sie können die Bewegung der Vögel, die mit Satellitensendern ausgestattet sind, auf unserer Internetseite verfolgen. Ich möchte mich noch einmal ganz herzlich beim Nationalpark Berchtesgaden und dem Tiergarten Nürnberg für die großartige Zusammenarbeit bedanken. Großer Dank geht auch an das Bayerische Umweltministerium, das den finanziellen Löwenanteil des Projekts übernommen hat. Vielleicht haben Sie in den Sommerferien die Gelegenheit, den Nationalpark Berchtesgaden zu besuchen. Dann schauen Sie bitte unbedingt bei unseren Bartgeiern am Infostand im Klausbachtal vorbei. Ich kann Ihnen versprechen: Das lohnt sich! Ich wünsche Ihnen, Ihren Angehörigen und Freunden von Herzen, dass Sie gesund bleiben! REBHÜHNER AUF ACKER I FOTO: ROSL RÖSSNER Folgen Sie mir auf Twitter unter @N_Schaeffer Dr. Norbert Schäffer

T H EMA Dramatischer Biodiversitätsverlust auf Äckern und Wiesen 12 VOGELSCHUTZ 3|22 INDUSTRIE LANDSCHAFT

FOTO: CURIOSO.PHOTOGRAPHY - STOCK.ADOBE.COM An Appellen hat es in den vergangenen Jahren nicht gemangelt. So forderte etwa 2020 die deutsche Wissenschaftsakademie Leopoldina in der Stellungnahme Biodiversität und Management von Agrarlandschaften einen gesamtgesellschaftlichen Wandel hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft. Bereits 1992 hatten in Rio de Janeiro auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung 172 Staaten mit der Agenda 21 Leitlinien für eine nachhaltige Entwicklung beschlossen – mit verbindlichen Konventionen zum Klimaschutz, zum Schutz der Biodiversität und zur Bekämpfung der Wüstenbildung. Die Bundesregierung entwickelte daraufhin die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, ein Leitbild mit konkreten Zielen und Indikatoren, das unter anderem der Sicherung der Artenvielfalt dienen soll. Darin findet sich der Indikator „Artenvielfalt und Landschaftsqualität – Teilindikator Agrarlandschaft“ mit der Bestandsentwicklung für elf charakteristische Feldvogelarten. Viel geändert hat sich seither nicht. Der letzte Rechenschaftsbericht des Bundesamts für Naturschutz aus dem Jahr 2021 stellte erneut entsprechend fest, dass der Großteil der verfolgten Ziele bis heute nicht in ausreichendem Maße erreicht werden konnte. Gerade für Vogelarten mit besonders besorgniserregenden Bestands- und Arealentwicklungen wie Kiebitz, Rebhuhn, Grauammer und Feldlerche wurden die Maßnahmen als unzureichend eingestuft, um die Bestandsrückgänge zu stoppen oder gar eine Trendwende herbeizuführen. Die zunehmende Intensivierung des Ackerbaus durch größere und PS-stärkere Maschinen, der blockweise Anbau einzelner Feldfrüchte über ganze Gemarkungsgrenzen hinweg sowie die Verschiebung der Fruchtfolge hin zu hochproduktiven Kulturen wie Mais, Zuckerrüben, Kartoffeln und Raps führen in der Agrarlandschaft vielmehr zu einem großräumigen Verlust geeigneter Der europaweit dramatische Bestandsrückgang zahlreicher Brutvogelarten auf landwirtschaftlich genutzten Flächen ist seit Jahrzehnten gut dokumentiert. Auch die Ursachen für den Verlust sind hinlänglich bekannt. Trotz vielfältiger Bemühungen konnte der Negativtrend bei den Feld- und Wiesenvogelarten in den letzten Jahrzehnten nicht gestoppt werden. VOGELSCHUTZ 3|22 13 DIE SACHLAGE • Dramatischer Rückgang der Feld- und Wiesenvögel in Deutschland • Besonders betroffen: Uferschnepfe, Bekassine und Braunkehlchen • Pestizide vernichten Ackerwildkräuter und somit die Nahrungsgrundlage von Insekten und Vögeln

T H EMA FOTOS: CURIOSO.PHOTOGRAPHY -, JJ GOUIN -, NBLXER -, DUSAN KOSTIC- STOCK.ADOBE.COM, PETER BRIA, THOMAS STAAB Brutlebensräume insbesondere für Bodenbrüter. Beim Getreideanbau dominieren ertragreiche, schnellwüchsige Sorten, die zu einer dichten Vegetation führen, begleitet von einer regional hohen Beregnungsintensität. Solche Felder sind kaum noch als Brutstandort geeignet. Hinzu kommen immer kürzere Nutzungsintervalle: Wintergetreide, Ackergras oder Intensivgrünland werden für die Nutzung in Biogasanlagen oder als Viehfutter bereits Anfang Mai gemäht. Selbst die ursprünglich weit verbreitete Feldlerche gilt nach der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands 2021 erneut als gefährdet. Wildwuchs nicht erwünscht Damit nicht genug führt die Intensivierung der Flächennutzung kombiniert mit dem Einsatz hocheffizienter Pestizide zwangsläufig auch zum Verlust einer vielfältigen Ackerwildkrautflora und damit der an sie angepassten Insekten. Für eine erfolgreiche Vogelbrut ist jedoch proteinreiche Nahrung erforderlich; Insekten sowie deren Larven bilden hierfür die Nahrungsgrundlage. Nicht nur die Biomasse an Insekten ist entscheidend. Je artenreicher die Insektenwelt, umso wahrscheinlicher ist es, dass nach dem Schlupf geeignete Nahrung für die Jungenaufzucht zur Verfügung steht. Des Weiteren sind durch die Aufgabe der Stilllegungsverpflichtung vor rund 15 Jahren insbesondere auf mageren Ackerstandorten in niederschlagsarmen Gebieten weitere, langjährig extensiv genutzte Rückzugsräume für charakteristische Feldvogelarten verschwunden. Die Stilllegung von Flächen über fünf und mehr Jahre war in diesen Gebieten biodiversitätsfördernd: Grauammer, Feldlerche, aber auch Braunkehlchen und Rebhuhn profitierten. Heute wird versucht, durch Vernetzungsstrukturen mit breiten, blütenreichen Saumstrukturen diesen Verlust wettzumachen. Auf kommunaler Ebene stehen viele Wegerandstreifen zur Verfügung, die der Förderung der Artenvielfalt dienen könnten. Die Umsetzung ist jedoch kleinteilig und mühsam. Telemetrische Studien an Rebhühnern bei Göttingen zeigen zudem, dass lineare Strukturen nicht ausreichen, um eine Trendumkehr für Bodenbrüter zu bewirken. Während in schmalen, linienförmigen Landschaftsstrukturen wie Feldrainen und schmalen Blühstreifen der größte Teil der Rebhuhn-Nester geräubert wurde, blieben Nester in flächigen Strukturen zum größten Teil unentdeckt. Ähnlich ist es beim Braunkehlchen. Den höchsten Bruterfolg erreicht es in extensiv genutztem Grünland mit überjährigen Stauden oder ausreichend Koppelpfählen. In linearen Strukturen tragen Störungen durch Menschen sowie eine höhere Fuchsdichte ebenso zum Prädationsrisiko bei wie die Verarmung der Landschaft, in der 50 100 150 200 250 300 350 400 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Trendindex Deutschland (%, 2006 = 100%) Rebhuhn Feldlerche Kiebitz Braunkehlchen Die deutschen Brutbestände dieser typischen Feldvogelarten sind dramatisch eingebrochen. Technische Perfektionierung und Maximierung der Ertragsleistung führen zu einer Verarmung der Biologischen Vielfalt in der Agrarlandschaft. 14 VOGELSCHUTZ 3|22

FOTOS: FRANZISKA WENGER, GUNTHER ZIEGER, GODIMUS MICHEL - STOCK.ADOBE.COM Räuber und Beute an den wenigen verbleibenden Rückzugsorten häufiger aufeinandertreffen. Nicht nur im Ackerbau zeigt sich die Intensivierung der Landnutzung durch einen dramatischen Bestandsrückgang charakteristischer Vogelarten, sondern auch im Grünland hat sich ein radikaler Wandel vollzogen. Der Umbruch von Dauergrünland, die Entwässerung von Niederungsstandorten und Mooren sowie der Einsatz leistungsstarker Maschinen, die in kürzester Zeit großflächig ernten und das Grüngut zur Silagegewinnung abfahren, führten in den vergangenen Jahrzehnten zu einem dramatischen Bestandsverlust der grünlandabhängigen Vogelarten. Bekassine und Uferschnepfe sind in Deutschland vom Aussterben bedroht, Kiebitz und Braunkehlchen gelten als stark gefährdet und alle vier Arten sind aus der „Normallandschaft“ so gut wie verschwunden. Auf niedrigem Niveau halten sie sich zum Teil noch in aufwendig gemanagten Wiesenvogelschutzgebieten. Strukturwandel und die Folgen Gravierend wirkten sich ferner Entwässerungsmaßnahmen aus, die in den 1950er bis 1970er Jahren begannen und bis heute perfektioniert wurden. Feuchtgrünland, das man ursprünglich zur besseren Wiesennutzung entwässerte, fiel dem Strukurwandel zum Opfer und verwandelte sich in Acker. Heute gelten solche Flächen oft als „Standorte mit Beregnungsbedarf“. Diese „Wasser weg“-Politik führt bis heute aufgrund fehlender Regulierungsmöglichkeiten vielerorts zu einer Absenkung des Grundwasserspiegels und damit zur Verarmung der Grünlandstandorte. Auf entwässertem und intensiv genutztem Grünland sinkt die Nahrungsverfügbarkeit für Wiesenlimikolen und es kommt zum Verlust geeigneter Bruthabitate. In der Folge vollzogen Kiebitz und Großer Brachvogel vielerorts einen Habitatwechsel vom Grünland auf nasse Äcker. Mit fatalen Folgen: Die hochtechnisierte Bewirtschaftung und die veränderten Feldkulturen führten zu Brutverlusten und durch Vereinzelung der Bruten stieg das Prädationsrisiko erheblich. Diese Entwicklung führte großräumig zum Verlust der binnenländischen Kiebitzpopulationen. Für Fernstreckenzieher wie das Braunkehlchen, aber auch für den Ortolan, der ebenfalls strukturreiche Agrarlandschaften zur Brut nutzt, kommen auf ihrem langen Weg ins Winterquartier weitere Gefahren hinzu. An erster Stelle steht wahrscheinlich die illegale Jagd, aber auch klimatische Veränderungen können zu Veränderungen der Nahrungs- und Wasserverfügbarkeit in den Durchzugs- und Wintergebieten führen, was den Bestandsrückgang verstärkt. Der Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) prognostizierte jüngst in einer Stellungnahme, dass der Klimawandel viele Arten direkt über ihre Temperaturnische und indirekt zum Beispiel durch mehr Störungen im Wald oder durch Dürreperioden treffen wird. Angesichts dieser katastrophalen Entwicklung ist die auch vom LBV geforderte erfolgsorientierte Förderpolitik im Brutgebiet der Agrararten unter Berücksichtigung der Biodiversitätskrise und des Klimawandels absolut notwendig. Nur so können wir die neu formulierten Biodiversitätsziele der EU-Biodiversitätsstrategie bis 2030 noch erreichen und unsere Feld- und Wiesenvögel retten. Für erfolgreiche Bruten brauchen Feldvögel ein vielfältiges Insektenangebot. Überjährige Brachflächen bieten wertvollen Lebensraum. V.o.n.u.: Blühfläche, Kiebitz mit Küken, Feldlerche. VOGELSCHUTZ 3|22 15 PETRA BERNARDY Diplom-Biologin, Schwerpunkt Feldvogelschutz und Gewässerentwicklung E-Mail: bernardy@bund-ldn.de

T H EMA FOTO: STEFAN DEINZER Wie der LBV erfolgreich Schutzprojekte in der immer intensiver genutzten Agrarfläche umsetzt der letzten Feldvögel Die Agrarlandschaft ist einer der größten Lebensräume Deutschlands und Heimat vieler Tier- und Pflanzenarten. Die meisten von ihnen sind an ein Leben im Offenland angepasst, sie benötigen die vielen verschiedenen Strukturen in Feld und Wiese und kommen daher nur hier vor. Der LBV leistet mit folgenden Schutzprojekten einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität auf landwirtschaftlichen Flächen. 16 VOGELSCHUTZ 3|22 RETTUNG

FOTO: ZDENEK TUNKA (2), CHRISTOPH SAILE Kaum ein Projekt zeigt den positiven Einfluss engagierter Naturschutzarbeit eindrücklicher als das Artenhilfsprogramm (AHP) Wiesenweihe. Der elegante Greifvogel mit dem gaukelnden Flugstil war Anfang der 1990er Jahre fast gänzlich aus Bayern verschwunden. Durch den Verlust des bevorzugten Lebensraumes im feuchten Dauergrünland stand die Population kurz vor dem Aussterben. Als 1994 erstmals Bruten der Wiesenweihe auf Äckern erfolgten, begannen die zunächst ehrenamtlichen Schutzbemühungen. Sie waren der Grundstein des im Jahr 2000 vom Landesamt für Umwelt (LfU) gestarteten Artenhilfsprogramms, dessen Koordination seit 2005 bei den hauptamtlichen Mitarbeitenden des LBV liegt. Unterstützt von vielen Aktiven steht seither der Schutz der Nester auf Äckern im Mittelpunkt. Wiesenweihen kehren im April aus ihrem Winterquartier in Afrika zurück und legen ihre Bodennester bevorzugt in Wintergetreide an. Durch diese Anpassung stehen ihnen zwar viele Flächen als Lebensraum zur Verfügung, sie birgt aber auch die Gefahr, dass Nest und Jungvögel unabsichtlich der Getreideernte zum Opfer fallen. Eine lückenlose Beobachtung der Flächen, bei der mitunter auch Drohnen zum Einsatz kommen, soll daher den genauen Neststandort im Acker ermitteln. In enger Abstimmung wird anschließend mit den örtlichen Landwirtinnen und Landwirten vereinbart, einen 50 mal 50 Meter großen Bereich um das Nest herum von der Ernte auszusparen. Die Ertragseinbußen werden mit Naturschutzgeldern der Höheren und Unteren Naturschutzbehörden ausgeglichen. Neben dem Nestschutz sind seit 2016 Maßnahmen zur Verbesserung des Lebensraums Teil des Projekts. Dies geschieht zum Beispiel durch die Anlage von Blüh- und Kleegrasstreifen, auf denen die Greifvögel ausreichend Feldmäuse – ihre Hauptnahrung – finden können. Der unermüdliche Einsatz zahlt sich aus: War die Wiesenweihe vor 20 Jahren in Bayern fast verschwunden, sind es heute wieder mehr als 200 Brutpaare. Sie leben vor allem in den Gäulandschaften Unter- und Mittelfrankens, wo 2004 auch ein EU-Vogelschutzgebiet zum Schutz der seltenen Vögel entstand, ferner im Nördlinger Ries und im Gäuboden bei Straubing. Die erfolgreiche Projektarbeit spiegelt sich auch in der Roten Liste der Brutvögel Bayerns wider. Dort wird die Wiesenweihe zwar immer noch als extrem seltene Art mit geografischer Restriktion (Kategorie R) geführt, aber sie gilt nicht mehr als „vom Aussterben bedroht“. Die kontinuierlich zunehmenden Bestände lassen sich vor allem auf gute Reproduktionszahlen zurückführen. Unterstützt durch die Schutzmaßnahmen sind derzeit zwei Drittel der Weihen mit ihrer Brut erfolgreich und pro Brutpaar werden mehr als zwei Jungvögel flügge – ein toller Erfolg! Die im Rahmen des Monitorings gesammelten Daten liefern außerdem detaillierte Informationen zu Gelegen, Reproduktion und Populationsdynamik, was der Grundlagenforschung zugutekommt. Im Mai beginnt der Nestbau in der weitläufigen Agrarlandschaft. Die wenige Tage alten Jungvögel betteln beim Männchen um Futter. In enger Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Naturschutz werden Maßnahmen zum Nestschutz umgesetzt. PROJEKTLEITUNG: CHRISTOPH SAILE MITARBEITERIN: LUCIA TISCHER Wiesenweihe VOGELSCHUTZ 3|22 17

T H EMA FOTOS: HEINZ TUSCHL, KLAUS BEUTEL Unweit der unter- und mittelfränkischen Wiesenweihen lebt zwischen Steigerwaldvorland und Maindreieck noch ein weiterer seltener Vogel unserer Agrarlandschaft. Diese wärmebegünstigte Region ist die letzte Heimat des Ortolans in Süddeutschland. Der graugrüne Kopf, der gelbe Bart und der orangefarbene Bauch sind die Markenzeichen dieser Ammernart, deren fränkische Population sogar einen eigenen Dialekt entwickelt hat. Doch auch diesem charismatischen Vogel, dessen Name sich vom lateinischen Wort für Garten (hortus) ableitet, geht es schlecht. Der Ortolan benötigt trocken-warmes Klima und eine offene Agrarlandschaft, in der er auch geeignete Singwarten wie Waldstücke oder Baumreihen findet. Der Verlust der für die Nahrungs- und Brutplatzsuche wichtigen Strukturvielfalt auf den Äckern hat dazu geführt, dass er heute in Bayern vom Aussterben bedroht ist. Neben dem Verlust des Lebensraums war der Ortolan bis vor wenigen Jahren noch einer weiteren Gefahr ausgesetzt: In Frankreich wurde dem Zugvogel gezielt nachgestellt, da er dort als Delikatesse gilt. Seit 2019 ist das Fangen von Ortolanen aber auch in Frankreich verboten. Das LfU und der LBV setzen sich seit 2006 mit dem AHP Ortolan gemeinsam für den Schutz des Singvogels ein. Ziel PROJEKTLEITUNG: DAGMAR KOBBELOER MITARBEITERIN: MARLIS HEYER Ortolan des Programms ist es, Brut- und Nahrungshabitate in Mainfranken zu erhalten und gezielte Schutzmaßnahmen in den Brutgebieten umzusetzen. Mit Hilfe spezieller Blühmischungen oder durch Maßnahmen wie beispielsweise kleinflächigen Kartoffelanbau werden Nahrungsflächen in der Nähe bekannter Singwarten geschaffen. Für geeignete Brutplätze werden unter anderem extensiv bewirtschaftete Getreidestreifen oder Erbsenflächen angelegt. In enger Zusammenarbeit mit den lokalen Landwirtinnen und Landwirten entstanden im vergangenen Jahr über 80 Hektar solcher Flächen. Für Ertragseinbußen und den Mehraufwand kommt die Naturschutzverwaltung auf – ein Vorgehen, das sich bewährt hat. Durch das begleitende Bestandsmonitoring, welches zu einem erheblichen Teil Ehrenamtliche vornehmen, ließ sich zeigen, dass die Revieranzahl auf den Probeflächen des Projekts in den letzten Jahren etwa konstant geblieben ist. Der starke Rückgang der fränkischen Ortolan-Population seit den 1980er Jahren konnte durch das AHP also mindestens gebremst, wenn nicht gar gestoppt werden. So ergab 2021 die alle sechs Jahre stattfindende landesweite Bestandserfassung fast 200 Reviere. Damit dieser Erfolg von Dauer ist, bringen die Mitarbeitenden des AHP die Bedürfnisse des Ortolans bei der Planung von Eingriffsvorhaben ein, sie kümmern sich um die Besucherlenkung in Brutrevieren und betreiben Öffentlichkeitsarbeit. Erstmals soll nun in dieser Saison eine wissenschaftliche Studie Aufschluss darüber geben, wie die Ammern ihren Lebensraum nutzen und wie erfolgreich sie bei der Partnersuche und Jungenaufzucht sind. Aufgrund der detaillierten Beobachtungen können gezielt weitere und differenziertere Schutzmaßnahmen erfolgen. Durch intensive persönliche Beratung wird die Bewirtschaftung der Ortolan-Flächen alljährlich neu mit den Landwirten vereinbart. 18 VOGELSCHUTZ 3|22

FOTOS: CHRISTOPH BOSCH, MATTHIAS SCHWARK Dieser Wiesenbrüter mit dem auffällig langen und gebogenen Schnabel ist ein weiterer Bewohner der bayerischen Agrarlandschaft und aktuell ebenfalls Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Im Gegensatz zu Wiesenweihe und Ortolan kommt der Watvogel jedoch vor allem in möglichst extensiv genutztem Grünland vor. Geeignete Lebensräume findet er beispielsweise noch im Wiesmet im Altmühltal, im Donaumoos, im Königsauer Moos bei Dingolfing oder im Donautal zwischen Regensburg und Deggendorf. Dort setzt sich der LBV für den Erhalt des selten gewordenen Bodenbrüters ein. Gebietsbetreuende und ehrenamtlich Aktive suchen jedes Frühjahr die Nester der Brachvögel, um die Gelege durch das Aufstellen elektrischer Schutzzäune vor natürlichen Feinden wie etwa Fuchs und Dachs zu schützen. Besonders geeignete Flächen werden mitunter schon vor der Brutsaison großflächig eingezäunt. Schlüpfen imMai die Küken, kommt auf einige von ihnen eine ganz besondere Aufgabe zu: Sie werden im Rahmen eines Telemetrie-Projekts des LBV kurz nach dem Schlupf mit Radiotelemetrie-Sendern versehen und können so auf Schritt und Tritt verfolgt werden. Ziel ist es, mehr darüber zu erfahren, ob sich die Jungvögel erfolgreich vor Fressfeinden verstecken können und wie sie ihren Lebensraum nutzen. Außerdem lässt sich der durch die Mahd drohende Verlust junger Brachvögel erheblich reduzieren, indem die Vögel kurz vor dem Schnitt geortet und wenn nötig die Mahd der Wiese um einige Tage verschoben werden kann. Kurz vor dem Flüggewerden wird bei einigen Jungvögeln der kleine Radiotelemetrie-Sender gegen einen GPS-Satellitensender inklusive eigener Solarzelle getauscht. Dadurch lassen sich diese Brachvögel in den folgenden Monaten und Jahren auch außerhalb der Reichweite der Radioantennen lokalisieren und so auch Informationen über den Zug und die Winterquartiere sammeln. Von besonderem Interesse sind hierbei die unterschiedlichen Verhaltensweisen und Bedürfnisse von Jung- und Altvögeln sowie deren verschiedene Zugrouten. Bayerische Brachvögel konnten so schon in einer Reihe von Überwinterungsgebieten in Frankreich, Spanien, Portugal und Marokko nachgewiesen werden. Doch auch im Brutgebiet liefern die GPS-Sender wichtige Erkenntnisse, etwa zu den Schlafplätzen der Brachvögel. PROJEKTLEITUNG TELEMETRIE: VERENA RUPPRECHT PROJEKTLEITUNG GEBIETSMANAGEMENT WIESENBRÜTER DONAUMOOS: MARIE HEUBERGER GEBIETSBETREUUNG ALTMÜHLTAL: JAN HEIKENS, TOBIAS PETSCHINKA GEBIETSBETREUUNG DONAUTAL: ALINA RUDOLF Großer Brachvogel Der Naturschutzwächter Horst Schwark und die Gebietsmanagerin Marie Heuberger bei der Besenderung eines Brachvogelkükens. VOGELSCHUTZ 3|22 19

T H EMA FOTOS: CHRISTOPH BOSCH, FRANK SCHNEIDER, JANINA KLUG Ebenfalls auf extensives Grünland angewiesen ist das Braunkehlchen. Dieser nicht mal 15 Zentimeter große Singvogel liebt feuchte Wiesen und Weiden, auf denen er auch Sitzwarten wie etwa Hochstauden findet. Da diese Kombination durch die Intensivierung landwirtschaftlicher Flächen kaum noch vorkommt, ist das Braunkehlchen in Bayern sehr selten geworden. Sein Bestand ist seit den 1990er Jahren extrem eingebrochen und vielerorts ist der Zugvogel mit der rauen Stimme ganz verschwunden. In vielen Regionen Bayerns setzen sich jedoch Aktive des LBV für den Erhalt des Braunkehlchens ein. So etwa von 2017 und 2021 in einem Projekt im östlichen Teil Oberfrankens, an dem auch die Bezirksregierung beteiligt war. Neben gezielten Maßnahmen zur Stützung und Förderung der dortigen Brutpopulationen in den Landkreisen Kronach, Kulmbach und Hof ging es dabei auch um die Beratung der Landwirtinnen und Landwirte, der Kommunen und weiterer Akteure. Die Ergebnisse des Projekts flossen in eine Ratgeber-Broschüre ein, die auch Finanzierungsmöglichkeiten für geeignete Maßnahmen erläutert – ein wichtiger Bestandteil jedes Artenschutzprojekts. EHEMALIGE LEITUNG: JANINA KLUG ANSPRECHPARTNER: DR. OLIVER THASSLER Braunkehlchen Braunkehlchen-Männchen auf einer angebrachten Ansitzwarte. Janina Klug beim Aufstellen von Ansitzwarten in der Teuschnitzaue. Weibliches Braunkehlchen. 20 VOGELSCHUTZ 3|22

FOTOS: ULLI LANZ, JANINA KEMPF (2) Neben den bedrohten Vogelarten steht noch eine andere charakteristische Tierart der Agrarlandschaft im Fokus des LBV. In Zusammenarbeit mit der Naturschutzverwaltung setzen sich die Artenschützerinnen und Artenschützer des LBV im Landkreis Kitzingen für den Feldhamster ein. Dieses ehemals häufige Nagetier ist in Bayern heute selten geworden, in Unterfranken gibt es aber noch Vorkommen. Damit das auch so bleibt, wurde das Feldhamster-Hilfsprogramm ins Leben gerufen, um das Nahrungs- und Deckungsangebot auf den als Lebensraum bevorzugten Getreidefeldern zu verbessern. Verminderte Ernteeinnahmen werden aus Mitteln des Umweltministeriums entschädigt. Die Feldhamster können sich so auf diesen Flächen den Magen vollschlagen und Vorräte für den Winter „hamstern“. TORBEN LANGER M.Sc. Internationaler Naturschutz, Landesgeschäftsstelle Hilpoltstein E-Mail: torben.langer@lbv.de Verbindliche Vereinbarungen nötig AHPs und Einzelprojekten ist häufig gemein, dass sich gezielte, den Lebensraum verbessernde Maßnahmen nur dann im erforderlichen Umfang umsetzen lassen, wenn ein langfristiger Zugriff auf Flächen möglich ist. Angebote wie zum Beispiel Vertragsnaturschutz sind dafür nur bedingt eine dauerhafte Lösung. Obwohl die Bereitschaft aus den Reihen der Landwirtinnen und Landwirte, sich für den Naturschutz einzusetzen, hoch ist, werden verbindliche Vereinbarungsmöglichkeiten benötigt, mit denen sich Arten längerfristig fördern lassen und zugleich ein wirtschaftliches Auskommen gesichert ist. Dieses Thema wird uns in Zukunft noch intensiv beschäftigen. LEITUNG WIESENBRÜTER- UND FELDVOGELSCHUTZ: VERENA AUERNHAMMER PROJEKTLEITUNG: JANINA KEMPF Feldhamster Ob Kiebitz, Rebhuhn oder Rauchschwalbe, die Liste der bedrohten Vogelarten des landwirtschaftlich genutzten Offenlands bleibt lang. Daher laufen beim LBV die Planungen für weitere Schutzprojekte. Ferner greift der LBV nicht nur durch diese klassische Projektarbeit insbesondere den Wiesenbrütern unter die Flügel, sondern er koordiniert auch die im mehrjährigen Turnus landesweit stattfindende Wiesenbrüterkartierung, zuletzt im vergangenen Jahr. Neu ins Leben gerufen wurden 2022 zudem Vernetzungstreffen, bei denen sich in jedem Regierungsbezirk Projektmitarbeitende und LBV-Aktive, aber zum Teil auch Landschaftspflegeverbände und Behörden kennenlernen, um sich über die aktuellen Projekte und Herausforderungen beim Schutz von Feld- und Wiesenvögeln auszutauschen. So sollen in ganz Bayern Arbeitsgruppen entstehen, um den Schutz dieser bedrohten Arten effektiver zu gestalten. Infoschild zur Feldhamsterinsel auf dem Drei-StreifenSystem mit Luzernen, Blühstreifen und Getreide. VOGELSCHUTZ 3|22 21

T H EMA FOTOS: JANINA KEMPF, NATURLAND, PRIVAT Neuhof bei Dettelbach Klaus Niedermeyer „Da Feldhamster in Deutschland in den letzten Jahrzehnten sehr selten geworden sind, fühle ich mich mit einigen Kollegen verpflichtet, ihr Aussterben zu verhindern. Dies machen wir unter anderem mit Hamster-Inseln aus Blühstreifen, Getreide und Luzerne: eine langjährige, gewissenhafte Arbeit – über den Erfolg freue ich mich!“ Oberndorf, Beilngries Naturland-Hof Veidenbauer Florian Gäck „Nach vielen Jahren Ökolandbau nahmen wir an einem Projekt zur Wiederansiedlung von Ackerwildkräutern teil. Dabei wurden auf unseren Feldern bereits viele seltene Arten gefunden. Uns begeistert, dass der Bestand mit vielen kleinen Maßnahmen ausgeweitet werden konnte. Die Flächen ziehen Insekten, Vögel und Menschen an, denn hier ist Leben.“ Bucherhof Ofterschwang Franz Abrell „Ich weiß, wie wichtig eine Artenvielfalt von Mensch, Tier und Pflanzen für unseren Umweltkreislauf ist. Auch öffnet sich einfach mein Herz und füllt sich mit Wärme beim Anblick der in allen Farben und Formen blühenden Wiese. Genauso beim Genießen der idyllischen Ruhe oder bei der schweißtreibenden Handarbeit mit Familie und Freunden.“ Landwirte für Ar Hier stellen wir Ihnen Landwirtinnen und Landwirte vor, die sich vorbildlich umdie Artenvielfalt auf ihren Feldern undWiesen kümmern. Mit ihrer Motivation, die von Herzen kommt, verbinden sie Lebensmittelerzeugung mit Artenschutz. Herzlichen Dank für diesen großartigen Einsatz! VON MATTHIAS LUY Vorbildliches Engagement 22 VOGELSCHUTZ 3|22

FOTOS: MARKUS SCHMIDBERGER, PRIVAT (3) Oberneukirchen, Der Reiserer (Naturland) Josefine und Matthias Reißaus „Unsere Bewirtschaftung verbindet Naturschutz und Landwirtschaft in besonderer Weise: Mit unseren Wasserbüffeln betreiben wir eine naturschutzfachliche Flächenpflege, die nicht mit hohem Energieaufwand maschinell um ihrer selbst Willen durchgeführt wird, und erzeugen gleichzeitig Lebensmittel aus artgerechter Tierhaltung.“ Ahlstadt bei Meeder, Biohof Wölfert (Bioland) Nora Wölfert „Seitdem ich denken kann, war auf unserem Biobetrieb Qualität und Vielfalt wichtiger als Quantität. So waren wir gerne bereit, die seltenen Ackerwildkräuter, die bei uns gefunden wurden, noch gezielter zu fördern. Mit dem LBV haben wir erfolgreich daran gearbeitet, dass Emmer und Linse heute wieder auf den Tellern unserer Region zu finden sind.“ Arnschwang Gertraud Jobst „Ich mähe eine Wiese des LBV später und verzichte auf Düngung, weil ich so einen Beitrag für Flora, Insekten und die Vogelwelt leisten kann. Mir ist der Einklang zwischen Mensch und Natur wichtig und die Zusammenarbeit mit dem LBV funktioniert schon seit vielen Jahren sehr gut!“ Bergham Christina Hiendl geb. Hofmeister „Wir wollen mit unseren Maßnahmen den Wiesenbrütern mehr Rückzugsorte und Brutplätze geben. Mich freut es, wenn sich der Einsatz gelohnt hat. Damit möchte ich auch erreichen, dass das Ansehen der Landwirtschaft erhöht wird. Unsere Gesellschaft muss unsere Landwirtschaft mehr schätzen, denn das ist unsere Lebensgrundlage.“ rtenvielfalt VOGELSCHUTZ 3|22 23

FOTO: MARC CHESNEAU - STOCK.ADOBE.COM Landwirtschaft und Umweltschutz in Krisenzeiten Getreide auf den Teller Es ist schockierend, wie Industrie- und Agrarlobby sowie manche Politikerinnen und Politiker die derzeitige Situation ausnutzen, um den Rückwärtsgang bei Klima- und Naturschutz einzulegen. Ist die Lebensmittelversorgung der Welt angesichts verringerter Weizenexporte durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine wirklich bedroht? P O L I T I K Es ist eine rückwärtsgewandte Forderung: Möglichst viele Nahrungsmittel erzeugen, um die Ernährung der Weltbevölkerung zu gewährleisten. Zusätzlich werden weitere altbekannte „Rezepte“ reaktiviert wie: keine Brachflächen mehr, Produktion mit Dünger und Pestiziden auf allen Flächen, mehr Biogasanlagen, mehr Biotreibstoff und weniger Ökolandbau. Dahinter steckt der Versuch interessierter Kreise wie zum Beispiel der Agrarlobby, in der Landwirtschaft alles beim Alten zu belassen und die von der Gesellschaft eingeleiteten Veränderungen rückgängig zu machen. Doch Hunger auf dieser Welt ist nicht ein Problem der Menge, sondern der Verteilung. Hunger ist dort zu finden, wo strukturell benachteiligte Bevölkerungsgruppen unter Armut leiden und sich die Lebensmittel nicht leisten können. Die Gemeinschaft der Industriestaaten muss der Spekulation mit Weizen an der Börse ein Ende setzen. Die von der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel einberufene Zukunftskommission Landwirtschaft hat im Konsens zwischen Nutzern und Schützern die notwendige Transformation der Landwirtschaft aufgezeigt. Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir hat bekräftigt, seine Politik auf dem Bericht der Zukunftskommission aufzubauen. Doch der Deutsche Bauernverband will davon nichts mehr wissen. Seine Argumentation baut vor allem auf den Weizenexporten aus der Ukraine und Russland auf, die zum Teil wegfallen und nun in alter Manier kompensiert werden sollen. Die Ukraine hat 2020 18 Millionen Tonnen Weizen exportiert, Russland 37 Millionen Tonnen. Diese Menge entspricht zusammen rund zwei Prozent der weltweiten jährlichen Getreidemenge von 2,7 Milliarden Tonnen inklusive Reis und Mais in 2021. Teller statt Trog Wer denkt, dass das Getreide nur auf unsere Teller kommt, der irrt: Vielmehr landen allein in Deutschland fast 60 Prozent bzw. 25 Millionen Tonnen Getreide in den Futtertrögen von Nutztieren (siehe Grafik). Angesichts dieser Dimension liegt hier wie auch global betrachtet der Haupthebel für eine gesicherte Ernährung: Würde dieser Getreideanteil direkt der menschlichen Ernährung und nicht der Fleischproduktion dienen, könnten davon rund sieben Mal so viele Menschen ernährt werden. Mehr Menschen ernähren bedeutet vor allem weniger Fleisch essen. Ernährungstrends hin zu vegetarischer und veganer Ernährung unterstützen diese Transformation. Die Nutzung von nicht ackerfähigem Grünland mit Weidetieren wäre davon nicht betroffen. Teller statt Tank Der zweite große Hebel setzt bei Biogas und Biosprit an. 14 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Deutschlands 24 VOGELSCHUTZ 3|22

GRAFIK QUELLE: BLE ©BLE den in Deutschland rund ein Sechstel der eingekauften Lebensmittel weg. Weltweit gibt die UN in ihrem Food Waste Index Report für 2021 die Lebensmittelverschwendung vom Acker bis zur Tonne mit 930 Millionen Tonnen an, das sind 17 Prozent der erzeugten Nahrung. Keine Zukunft ohne Natur- und Klimaschutz Für eine zukünftig sichere Lebensmittelproduktion brauchen wir gesunde Böden, ein stabiles Klima, Insektenvielfalt und Diversität auf auf Acker und Feld. Wir müssen regionale Kreisläufe und den Ökolandbau stärken, um auch die Abhängigkeit der konventionellen Landwirtschaft von importiertem Stickstoffdünger, der mit hohem Energieaufwand hergestellt wird, zu überwinden. Dass wir uns Arten- und Klimaschutz nicht mehr leisten können, ist ein verhängnisvoller Irrtum. Wenn wir Klima- und Naturschutz jetzt einstellen, werden das menschliche Leid und die Folgekosten um ein Vielfaches höher sein. Eine Landwirtschafts- und Ernährungswende ist notwendiger denn je. wird für den Anbau von Nutzpflanzen für Biogas und Biotreibstoffe verwendet. Auf einem Teil davon ließe sich stattdessen Brotgetreide anbauen. Zudem verbrauchen Biogasanlagen rund 20 Mal so viel Fläche wie Solaranlagen, die die gleiche Energiemenge erzeugen. Diese Fläche fehlt der Nahrungsmittelerzeugung. Teller statt Tonne Der dritte Hebel ist die Lebensmittelverschwendung. Erhebliche Teile der Ernten landen gar nicht im Handel, sondern werden von Discountern aus überwiegend ästhetischen Gründen aussortiert. Zusätzlich werfen die VerbrauchenVorläufige Zahlen. Angaben in Getreidewert. VOGELSCHUTZ 3|22 25 MATTHIAS LUY Diplom-Biologe Landwirtschaftsreferent des LBV E-Mail: matthias.luy@lbv.de

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