VOGELSCHUTZ 3-22

FOTO: MARC CHESNEAU - STOCK.ADOBE.COM Landwirtschaft und Umweltschutz in Krisenzeiten Getreide auf den Teller Es ist schockierend, wie Industrie- und Agrarlobby sowie manche Politikerinnen und Politiker die derzeitige Situation ausnutzen, um den Rückwärtsgang bei Klima- und Naturschutz einzulegen. Ist die Lebensmittelversorgung der Welt angesichts verringerter Weizenexporte durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine wirklich bedroht? P O L I T I K Es ist eine rückwärtsgewandte Forderung: Möglichst viele Nahrungsmittel erzeugen, um die Ernährung der Weltbevölkerung zu gewährleisten. Zusätzlich werden weitere altbekannte „Rezepte“ reaktiviert wie: keine Brachflächen mehr, Produktion mit Dünger und Pestiziden auf allen Flächen, mehr Biogasanlagen, mehr Biotreibstoff und weniger Ökolandbau. Dahinter steckt der Versuch interessierter Kreise wie zum Beispiel der Agrarlobby, in der Landwirtschaft alles beim Alten zu belassen und die von der Gesellschaft eingeleiteten Veränderungen rückgängig zu machen. Doch Hunger auf dieser Welt ist nicht ein Problem der Menge, sondern der Verteilung. Hunger ist dort zu finden, wo strukturell benachteiligte Bevölkerungsgruppen unter Armut leiden und sich die Lebensmittel nicht leisten können. Die Gemeinschaft der Industriestaaten muss der Spekulation mit Weizen an der Börse ein Ende setzen. Die von der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel einberufene Zukunftskommission Landwirtschaft hat im Konsens zwischen Nutzern und Schützern die notwendige Transformation der Landwirtschaft aufgezeigt. Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir hat bekräftigt, seine Politik auf dem Bericht der Zukunftskommission aufzubauen. Doch der Deutsche Bauernverband will davon nichts mehr wissen. Seine Argumentation baut vor allem auf den Weizenexporten aus der Ukraine und Russland auf, die zum Teil wegfallen und nun in alter Manier kompensiert werden sollen. Die Ukraine hat 2020 18 Millionen Tonnen Weizen exportiert, Russland 37 Millionen Tonnen. Diese Menge entspricht zusammen rund zwei Prozent der weltweiten jährlichen Getreidemenge von 2,7 Milliarden Tonnen inklusive Reis und Mais in 2021. Teller statt Trog Wer denkt, dass das Getreide nur auf unsere Teller kommt, der irrt: Vielmehr landen allein in Deutschland fast 60 Prozent bzw. 25 Millionen Tonnen Getreide in den Futtertrögen von Nutztieren (siehe Grafik). Angesichts dieser Dimension liegt hier wie auch global betrachtet der Haupthebel für eine gesicherte Ernährung: Würde dieser Getreideanteil direkt der menschlichen Ernährung und nicht der Fleischproduktion dienen, könnten davon rund sieben Mal so viele Menschen ernährt werden. Mehr Menschen ernähren bedeutet vor allem weniger Fleisch essen. Ernährungstrends hin zu vegetarischer und veganer Ernährung unterstützen diese Transformation. Die Nutzung von nicht ackerfähigem Grünland mit Weidetieren wäre davon nicht betroffen. Teller statt Tank Der zweite große Hebel setzt bei Biogas und Biosprit an. 14 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Deutschlands 24 VOGELSCHUTZ 3|22

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