Toni zu Gast im Bartgeierzuchtzentrum in Guadalentín

Zusammen mit einem Filmteam des Bayerischen Rundfunks konnte LBV-Bartgeierexperte Toni Wegscheider Ende Februar in das spanische Zuchtzentrum „Centro de Cría del Quebrantahuesos Guadalentín“ reisen, aus dem alle vier bisher im Nationalpark Berchtesgaden ausgewilderten Bartgeier stammen. Während des geplanten Aufenthalts war bei mehreren Eiern mit Schlupf zu rechnen, sodass mit ein wenig Glück dokumentiert werden könnte, wie die Kandidaten für die nächste Auswilderung 2023 das Licht der Welt erblicken.

Bartgeierküken schlüpft gerade, die Schale ist noch dran | © Toni Wegscheider © Toni Wegscheider

Bartgeier überall!

Labor im Bartgeierzuchtzentrum | © Toni Wegscheider © Toni Wegscheider
Das malerische Steinhaus beherbergt das Labor im Bartgeierzuchtzentrum

Nach langer Fahrt ins andalusische Hügelland, die letzte Stunde über steile Sandstraßen bis hinauf in 1275 m Höhe im größten Naturschutzgebiet Spaniens („Sierras de Cazorla y Segura“), war nach Passieren mehrerer Eisentore das weitläufig umzäunte Bartgeierzuchtzentraum erreicht.

In der für die europaweite Wiederansiedlung der gefährdeten Geierart äußerst wichtigen Einrichtung reiht sich Voliere an Voliere, überall sitzen, flattern, spähen Bartgeier – junge und alte, Paare und Einzelgänger, Pflegefälle und fitte Vögel in bester Verfassung.

In einem malerischen Steinhaus, das einst für den lokalen Wildhüter des jagdbegeisterten Diktators Franco errichtet wurde, begrüßt Stationsleiter Pakillo Rodríguez im Labor. Hier steht neben einem Brutkasten voller wertvoller Bartgeiereier, tiermedizinischen Präparaten und einem großen Bildschirm mit Livebildern aus Überwachungskameras in den Volieren eine kleine Plastikwanne unter einer Wärmelampe

Sorgfältige Pflege von Anfang an

Zwei frisch geschlüpfte Bartgeier unter einer Wärmelampe in einer Plastikbox | © Toni Wegscheider © Toni Wegscheider
Frisch geschlüpfte Bartgeier unter einer Wärmelampe

Darin ein noch nicht einmal 24 Stunden altes, zerbrechliches Bartgeierküken, gebettet auf Schafwolle und Küchenrolle. Und in einem weiteren Inkubator wartet ein noch in den Resten der Eischale befindliches, soeben schlüpfendes Küken auf den Besuch aus Bayern. Routiniert und liebevoll zugleich entfernt Pakillo nun Schalenstücken von den noch verklebten Daunen, desinfiziert den Nabel und verrichtet viele weitere kleine Schritte um den etwa hundersten (!) unter seiner Obhut zur Welt kommenden Bartgeier bestmöglich auf die ersten Stunden vorzubereiten.

Während das Kleine dann unter einer eigenen Wärmelampe vor sich hin döst, erhält der etwas ältere Artgenosse nach bettelndem Piepsen die erste Mahlzeit seines Lebens: 2,1 g stecknadelkopfgroßer Stückchen Rattenfleisch. Nach einer sichtlich genossenen Streicheleinheit mit einer weichen Zahnbürste um das Daunengefieder voll zu entfalten schläft das Küken satt und zufrieden ein. Ab nun wird es alle vier Stunden kleine Futtermengen mit der Pinzette erhalten und erst im Alter von etwa einer Woche nach eingehender Beobachtung in den Horst eines brütenden Geierweibchens gesetzt.

Um die Überlebensrate der seltenen Vögel zu optimieren werden nämlich kurz vor dem errechneten Schlupftermin die Eier aus den Nestern der Brutvögel entnommen und gegen Attrappen aus Gips ersetzt. Die Küken kommen unter den wachsamen Augen von Pakillo und seines Teams zur Welt, erhalten in den kritischen ersten Lebenstagen jede erdenkliche Hilfe und werden erst nach fünf bis sieben Tagen zur weiteren Aufzucht einem Altvogel untergeschoben.

Durch das Entfernen des Gipseis und das plötzlich auftauchende piepsende Flaumknäuel glaubt der Bartgeier, sein Küken sei soeben geschlüpft und beginnt sofort mit der Pflege des Kleinen.

Die Aufzucht ohne menschliche Prägung ermöglicht die spätere Auswilderung derjenigen Jungtiere, die nicht für den Verbleib im Zuchtprogramm vorgesehen sind.

Exkursion in die Berge und zur Geierfutterstelle

Spanische Berglandschaft | © Toni Wegscheider © Toni Wegscheider

Und als ob diese spannenden Einblicke nicht schon aufregend genug wären, haben die spanischen Kollegen noch zig weitere Aktivitäten für die Besucher aus dem Norden vorbereitet. Unter Leitung von Iñigo Fajardo, dem Regionalkoordinator aller Artenschutzprojekte in der Region, geht es in zwei Pick-Ups auf nur noch mit viel gutem Willen als einstige Sandstraßen erkennbaren Rumpelpisten noch weiter ins Hinterland.

Dort in den mit Kiefern und Steineichen lückig bewaldeten Hügeln werden für 50 bereits kreisende Gänsegeier die Reste eines Damhirschs auf einem Felskopf ausgelegt und eine hölzerne Futterplattform für Bartgeier inspiziert. Diese Konstruktion in der Größe einer Tischplatte, die in einigen Metern Höhe in eine Kalksteinwand montiert ist, dient zum wöchentlichen Platzieren von 40-50 Schafbeinen. Von diesen Leckerbissen angelockt kommen Bartgeier aus nah und fern und lassen sich von der daneben angebrachten Fotofalle in Großaufnahme ablichten.

Durch die Erkennung der Beinringe auf vielen Fotos können viele Individuen auch nach Verschwinden jeglicher Federmarkierungen und nach dem Verlust der GPS-Sender ausgewilderter Vögel regelmäßig nachgewiesen werden.

Im Schneesturm zum Auswilderungsplatz

Iñigo Fajardo und Toni Wegscheider unterwegs in den Bergen | © Toni Wegscheider © Toni Wegscheider
Iñigo Fajardo und Toni Wegscheider auf dem Weg zur Auswilderungsnische

Am nächsten Tag steht trotz des bereits am frühen Vormittag einsetzenden Schneetreibens eine Spezialaktion auf dem Programm: Die Kontrolle des lokalen Auswilderungsplatzes zur Vorbereitung der anstehenden Freilassungssaison. Dazu wird das ganze Team mit Kletterhelmen, Gurten und Karabinern ausgestattet.

An einem Sicherungsseil geht es im immer stärkeren Schneesturm die steile Felspassage hinab auf den Vorsprung mitten in einer Wand, auf dem ähnlich wie in der Berchtesgadener Nische später im Jahr die etwa 90 Tage alten Jungvögel in errichtete Nester gesetzt werden. Aufgrund vereinzelter starker Aggressionen in der Vergangenheit sind die Experten dort jedoch dazu übergegangen, dass sie auf dem großen Felsband Absperrungen errichten und jeden Geier in sein eigenes Segment zwischen zwei Verbauungen setzen.

Die Vögel können sich dabei sehen und aus geringer Entfernung interagieren, sich aber nicht für Attacken gegenseitig erreichen. Diese Abwandlung des in den Alpen üblichen „Hacking“-Vorgangs mit zwei bis drei Jungtieren in derselben Nische funktioniert unter den lokalen Bedingungen gut und ist ein weiteres Beispiel dafür, mit wieviel Planung und Aufwand die Rückkehr des Bartgeiers in seine einstigen Lebensräume verbunden ist.

Filmteam und Bartgeierteam in einer Auswilderungsnische in Spanien
Filmteam und Bartgeierteam in einer Auswilderungsnische in Spanien

Zurück in der Station: Noch ein letztes Mal Füttern

Toni Wegscheider füttert Bartgeierküken
Toni beim Füttern von Bartgeierküken

Da das immer schlechtere Wetter weitere anstehende Kletteraktionen zu gefährlich macht, wird schließlich der Rückzug angetreten. Zurück in Pakillos Station wird noch eine „Abschiedsfütterung“ der beiden flaumigen Jungen durchgeführt und obwohl ein drittes Ei im Brutkasten bereits einen Sprung aufweist, kann dieses Küken nicht dazu überredet werden, noch in Anwesenheit der Bayern zu schlüpfen.

Und während sich die Rückreise aus den Bergen Andalusiens in einem Allradfahrzeug noch ein wenig abenteuerlich gestaltet – an eine Nutzung des sommerbereiften Mietwagens ist aufgrund des immer höheren Schnees gar nicht mehr zu denken – schweifen die Gedanken bereits zurück zu den kleinen Bartgeiern, die sich unter der aufopfernden Obhut der Spanier sicher prächtig entwickeln…

... und vielleicht in einigen Monaten schon ihre Kreise im Nationalpark Berchtesgaden ziehen werden.

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