Statusbericht 1/25 - Die ersten zwei Wochen nach der Auswilderung
Wie geht es unseren beiden jungen Bartgeierweibchen?
Ein wichtiger Bestandteil des Auswilderungsprojekts ist das lückenlose Monitoring vor Ort. Hierbei werden die ausgewilderten Jungvögel rund um die Uhr beobachtet und sämtliche Aktivitäten nach einem international standardisierten Aufnahmeprotokoll aufgenommen. So kann die Entwicklung und das Verhalten begleitet und dokumentiert werden. Dadurch können etwaigen Fehlentwicklungen entgegengewirkt und Probleme frühzeitig erkannt werden.
Unsere Beobachtungen wollen wir natürlich auch mit Euch teilen und werden in Zukunft in loser Folge neue Informationen an dieser Stelle veröffentlichen.
Zwei Wochen ist es nun schon her, dass die beiden jungen Bartgeierweibchen in der Halsgrube im Nationalpark Berchtesgaden ausgewildert wurden, und es ist Zeit für das übliche erste Update:
Grundsätzlich: Die beiden entwickeln sich gut und zeigen alle wichtigen Entwicklungsschritte und Verhaltensweisen in ausreichendem Maße.
Zwangsläufig werden wir immer wieder darauf zurückkommen ihr Verhalten mit demjenigen unserer früheren Schützlinge zu vergleichen. Mögliche Parallelen sowie Unterschiede können dadurch besser erkannt und beurteilt werden.
Nahrungsaufnahme: Sehr gut

Die beiden haben häufig einen großen Appetit und verbringen einige Zeit damit zu fressen und die Nahrung zu bearbeiten. Dabei kommen den beiden die hervorragenden Anpassungen der Bartgeier zur Aufnahme dieser Nahrung zugute. Sie üben fleißig den Einsatz ihres Schnabels, als wichtiges Werkzeug zum Zerkleinern und Bearbeiten der Nahrungsstücke und fixieren die jeweiligen Teile mit ihren vier großen Zehen.
Die beiden nehmen derzeit mehr Nahrung als ein erwachsener Bartgeier zu sich.
Wie auch in den letzten Jahren sorgen wir dafür, dass immer ausreichend Nahrung in der Nische ist, damit dieser Konkurrenzfaktor keine Rolle spielt. Ab und an kommt es aber natürlich trotzdem zu einem "Diebstahl" eines begehrten Stückes.
Futterkonkurrenten: Neue Entwicklungen in diesem Jahr

Vor allem in den ersten Jahren hatten wir massive Probleme mit der Entnahme von Futter aus der Nische (und später auch an den externen Futterplätzen) durch Füchse. Im letzten Jahr war zwar auch ein (anderes) Exemplar vor Ort, dies hatte jedoch erstaunlicherweise keinerlei Interesse an dem ausgelegten Aas, obwohl es nachweislich mehrmals relativ nah an den Futterplätzen vorbeikam. Und auch heuer blieben Besuche dieser Spezies in der Nische bisher aus.
Dafür haben zwei Rabenkrähen diese reichhaltige Futtergabe erkannt und fliegen frech in der Nische ein und aus und stibitzen dabei durchaus das ein oder andere Stück. Dies ist insofern interessant, da zwar die Rabenkrähen in den vergangenen Jahren (üblicherweise in Trupps) quantitativ die häufigste Art an den externen Futterplätzen war, jedoch bisher in allen Jahren kein einziges Mal in die Nische kamen und etwas mitgehen ließen.
Auch Alpendohlen haben schon vereinzelt die Neuankömmlinge begutachtet.
Dazu kommt als Neuerung heuer noch ein Steinmarder, der sich ziemlich stetig seit einigen Nächten an dem Futter bedient. Diese Art konnten wir bis dahin nur ein einziges Mal an einem externen Futterplatz nachweisen, wobei jedoch keine Nahrung mitgenommen wurde. Wir werden die Entwicklung in dieser Hinsicht ebenfalls genau im Auge behalten und generell eine häufige und großzügige Versorgung der Jungvögel sicherstellen.
Ausscheidungen: Zeitweise leichte Komplikationen bei Luisa
Generell werden die Ausscheidungen sehr regelmäßig ausgestoßen – übrigens dem praktischen angeborenen Verhalten nach meist in Richtung Nischenausgang. (Dadurch haben sich in manchen Bereichen auch schon durch dasselbe Verhalten in den Vorjahren gut sichtbare, weißliche Stellen gebildet).
Zeitweise kam es bei Luisa aber einerseits zu unüblich zahlreichen Ausscheidungsvorgängen, andererseits zu mehreren Versuchen, die keinen Erfolg zeigten. Wir sind mit den erfahrenen Kollegen und Kolleginnen aus den Zuchtstationen in Kontakt und beobachten die Situation sehr aufmerksam.
Inzwischen hat sich die Angelegenheit aber wieder deutlich normalisiert und wir hoffen, dass es dabei bleibt. Ihre Nahrungsaufnahme und das sonstige Verhalten war während der Zeit auch relativ normal.
Komfortverhalten: Häufig und anhaltend

Unter Komfortverhalten versteht man sämtliche Tätigkeiten, die der Körperpflege zugeordnet werden können. Dies ist auch meist ein guter Indikator für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Tiere. Die beiden erledigen das sehr gründlich und intensiv, Luisa möglicherweise noch etwas anhaltender. Dazu gehört ein ausschweifendes Durchkämmen des Gefieders oder auch ein Kratzen an den Ansätzen der Schwungfedern, die durch teilweise nur durch artistische Verrenkungen erreicht werden. Dieses Verhalten wurde bisher von allen ausgewilderten Vögeln intensiv ausgeführt.
Interaktionen: Ähnlich 2024 - Nahezu geräuschlos und von niedriger Intensität

Bei den Interaktionen der beiden fallen einige markante Unterschiede zu den früheren Jahren und die Ähnlichkeit zu 2024 auf. Auffällig ist das zum Beispiel bei der geringen Anzahl an Lautäußerungen. Vor allem im Vergleich zur ersten Auswilderung mit Wally und Bavaria könnte das ähnlich wie bei Vinzenz und Wiggerl in 2024 heuer kaum unterschiedlicher sein.
Die Ausprägung eines Dominanzverhaltens ist subtiler, als es sich beispielsweise bei Dagmar und Recka entwickelte. Da kam es, ebenso wie im allerersten Jahr, in häufigerer Zahl zu im Vergleich heftigeren Konfrontationen und das Dominanzverhalten (jeweils von Bavaria gegen Wally und Recka gegen Dagmar) war jeweils sehr stark ausgeprägt.
Kleinere Reibereien und Attacken gehen quasi ausschließlich von Generl aus, bleiben aber sowohl was die Anzahl als auch die Intensität angeht, auf einem niedrigen Niveau. Im Gegensatz zu Wally und Dagmar wirkt Luisa auch nicht ganz so verschüchtert, bleibt durchaus des Öfteren an Ort und Stelle plustert sich auf oder reagiert ebenso auf die Angriffe.
Gleichzeitig scheint Generl aber auch häufig Abstand zu suchen und hat sich die tieferen, steileren und äußeren Bereiche des Nischenbereichs erschlossen.
Ab und an gab es aber auch schon relative physische Nähe ohne aggressive Reaktion.
Alles in allem handelt es sich wie im vergangenen Jahr wieder um ein recht moderates Verhalten zweier Jungvögel untereinander, vor allem im Vergleich mit den ersten beiden Projektjahren. Den Erfahrungen aus den Vorjahren nach, wird es sich mit zunehmender Zeit auch bei den beiden noch mehr einspielen und vermutlich auch eine festere Bindung geschlossen werden.
Die Größe der Nische und die ausreichende Nahrungsversorgung sind zwei Schlüsselgrößen, die sich ganz allgemein positiv auf die Beziehungen auswirken dürften.
Training der Flugmuskulatur: Überdurchschnittliche Leistungen

Beide starteten immens mit dem notwendigen Training der Flügelmuskulatur. Üblicherweise ist der Auswilderungstag ein Tag mit sehr niedrigen oder keiner Aktivität (zum „Auswilderungsschock“ kommt ja auch die kürzere Zeitdauer hinzu). Die meisten unserer Vögel verzeichneten am ersten Tag keine Aktivität, die höchste bisherige Anzahl mit 13 Schlägen zeigte paradoxerweise Wally (die ansonsten insgesamt mit Abstand die bisher niedrigsten Werte von allen aufweist). Doch vor allem Generl setzt hier neue Maßstäbe und übte schon am ersten Tag 46-mal! Luisa bleibt mit 19 Flügelschlägen zwar deutlich dahinter, weist aber trotzdem den bis dato zweithöchsten Wert auf.
Insgesamt bewegt sich Generl bisher meist auf einem etwas höheren Niveau als Luisa. Bei den Tageswerten der ersten zwei Wochen befinden sich die beiden im Vergleich gesehen im oberen Bereich. Hier hat Luisa mit 248 Schlägen am 14. Tag leicht die Nase vorn, Generl erreicht ihren bisherigen Höchstwert von 241 am 10. Tag.
(Absoluter Spitzenreiter in diesem vergleichbaren Zeitraum ist Vinzenz, der die Bewegung am 15. Tag schon eindrucksvolle 412-mal ausführte und diese außerordentliche Leistung gleich am darauffolgenden Tag mit 472 toppte).
Die längste Serie am Stück weist bis dato mit 38 Flügelschlägen Generl auf.
Was die Gesamtleistung der ersten 15 Tage betrifft, sind die beiden ebenfalls überdurchschnittlich dabei. Nach Vinzenz, der mit 2.552 Schlägen an der Spitze steht, kommt mit 2.324 Flügelschlägen gleich Generl an nächster Stelle. Und hinter Recka auf Platz 3 (2.118) reiht sich dann gleich Luisa mit 1952 Schlägen ein.
(Dies sind aber wie gesagt nur die Zwischenstände nach 15 Tagen. Demnächst wird im Blog eine ausführliche Analyse und ein detaillierter Vergleich aller Vögel zu dem Thema erscheinen).
Weitere Beschäftigungen, Bewegungen und Aktivitäten

Neben den bereits genannten hauptsächlichen Aktivitäten bleibt aber natürlich auch noch Zeit die Nische und ihre Umgebung zu entdecken. Generl ist hier etwas kletterfreudiger und stieg relativ früh aus der Nische hinaus, hinab zum Eingang (und damit außerhalb des Sichtbereichs der Kameras). Sie sitzt und bewegt sich auch ausgesprochen häufig in steileren Bereichen unterhalb des Nischenplateaus.
Wie auch in den vergangenen Jahren liegt ein besonders gerne aufgesuchter Platz am obersten Eck des Zaunes über dem Abgrund. Die Weite dieser Stelle scheint auf die Jungvögel einen besonderen Reiz auszuüben. Hier hat man natürlich den besten Überblick und es lässt sich allerlei beobachten – soweit es die Witterungsbedingen zulassen.
Auch die Schafwolle oder Stöckchen aus dem Horst werden untersucht und teilweise verfrachtet. Vor allem Generl bearbeitet gerne allerlei Objekte in der Nische: Pflanzen, Ästchen oder Steine werden interessiert mit dem Schnabel bearbeitet. Mitunter verabschiedet sich neben Steinen auch das ein oder andere Knochenstück nach einer solchen Behandlung den Abgrund hinunter. Auch die Stabilität des Zauns wird öfters auf die Probe gestellt.
Anders im vergangenen Jahr (und ähnlich wie bei Recka und Dagmar) findet vor allem der untere Horst bei Luisa großen Anklang. Nach wenigen Tagen konnte man sie desöfteren bei ausgedehnten Ruhephasen dort auffinden.
Wasserstelle: Nicht so früh wie 2024, wurde aber relativ bald das erste Mal genutzt

Die Wasserstelle, die wir vor zwei Jahren durch ein kleines Becken stabilisiert hatten, wurde relativ bald entdeckt. So früh wie bei Vinzenz war es zwar nicht, aber der hatte sich diesen Bereich schon am zweiten Tag und damit bisher auch am frühesten erschlossen.
Luisa erkundete diesen Bereich der Auswilderungsnische das erste Mal am 31.05. und nahm dann auch gleich ein Bad.
(Eine kurze, an anderer Stelle schon geschriebene Anmerkung: Das Wasserbecken stellt ein „luxuriöses Extra“ dar und kommt in freier Natur im Horstbereich so gut wie nie vor. Aufgrund des bei Jungvögeln noch üblichen Fleischanteils an den Knochen wird auch bei hohen Temperaturen genügend Wasser zugeführt).
Monitoring und Infostand: Ein großartiges Team
Unsere zeitintensive Arbeit am Monitoringstand ist beinahe schon wieder der Normalzustand geworden.
Ohne das große Team, das neben den Projektmitarbeiter*innen aus vielen engagierten und motivierten Praktikant*innen, Bufdis und Ehrenamtlern besteht, wäre ein Projekt dieser Größenordnung nicht möglich. Hierbei wird täglich die Sicherheit und das Wohlergehen der Vögel überwacht und zahlreiche Verhaltensparameter aufgenommen und gesammelt.
Gleichzeitig stehen jeden Tag (außer bei Katastrophenwetter) zwei Teammitglieder am Infostand zum Halsalmweg und informieren die Besucherinnen und Besucher umfassend und kompetent über das Projekt und zeigen ihnen im Idealfall auch die beiden Geier.
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von David Schuhwerk,