Vom Tiergarten Nürnberg in die Berchtesgadener Alpen: Ammen-Bartgeier wird ausgewildert
Erfolgreiche Brutsaison im europaweiten Zuchtnetzwerk – Letzte Vorbereitungen für die Auswilderung werden getroffen
Ende Mai werden zum dritten Mal zwei junge Bartgeier in Berchtesgaden ausgewildert. Der ursprünglich hierfür vorgesehene Jungvogel aus der österreichischen Richard-Faust-Bartgeier-Zuchtstation Haringsee kann jedoch nicht in die Felsnische entlassen werden. Sein Federkleid ist für die Auswilderung noch nicht weit genug entwickelt.
Doch es gibt gute Nachrichten aus dem Tiergarten Nürnberg: Ein Adoptivküken aus der gleichen österreichischen Zuchtstation hat seit Mitte März Unterschlupf bei dem Bartgeierpaar im Nürnberger Tiergarten gefunden und wird den freigewordenen Platz einnehmen. Ebenfalls in Berchtesgaden ausgewildert wird ein zweiter Bartgeierjungvogel, der aus dem Alpenzoo Innsbruck stammt. Der Tiergarten ist Partner im gemeinsamen Projekt von LBV und dem Nationalpark Berchtesgaden in Zusammenarbeit mit der internationalen Vulture Conservation Foundation (VCF).
Fürsorgliche Adoptiveltern helfen beim Zuchtprogramm
Da ein Bartgeierpaar aus der Zuchtstation Haringsee in Österreich sogar zwei Eier erfolgreich ausgebrütet hatte – Bartgeier aber immer nur einen Jungvogel großziehen – wurde das zweite Junge den Nürnberger Bartgeiern, bei denen es in diesem Jahr leider nicht mit der eigenen Brut geklappt hat, Mitte März als Ammenvogel zugewiesen. Im Alter von sechs Tagen übergaben ihn die Pflegerinnen und Pfleger aus Haringsee auf Empfehlung des Europäischen Erhaltungszuchtprogrammes EEP (EAZA ex-situ Programme) in die Obhut des Nürnberger Tiergartens und seines Bartgeierpaares. Die beiden Vögel haben das Küken gut angenommen und es in der 2016 eröffneten Voliere aufgezogen, die der Tiergarten mit Unterstützung des Vereins der Tiergartenfreunde e.V. gebaut hat.
„Als das Küken zu uns kam, wog es gut 240 Gramm und war etwa so groß wie eine Taube“, sagt Tierpfleger und Revierleiter Thorsten Krist. „Beide Altvögel haben sich fürsorglich darum gekümmert: das Männchen hat es gehudert, das heißt gewärmt, und das Weibchen hat es gefüttert.“ Vier Tage später wog es bereits knapp 400 Gramm. „Da wussten wir, dass alles in Ordnung ist“, sagt Krist. Inzwischen wiegt der junge Bartgeier zwischen drei und vier Kilo, vor einer Woche hat er das Nest verlassen und frisst selbstständig.
Wenn eines der Küken – wie im Fall des Adoptivgeiers in Nürnberg – von einem Ammenpaar aufgezogen wird, erhöht sich die Anzahl der Tiere, die für eine Auswilderung in Frage kommen oder innerhalb des europäischen Zuchtprogramms für den Fortbestand dieser Art sorgen können. Außerdem werden die adoptierten Küken von Artgenossen aufgezogen, was sich positiv auf das Verhalten der Tiere auswirkt. Wir freuen uns sehr, dass trotz naturbedingten Unwägbarkeiten beim Geiernachwuchs in den Zuchtstationen der Auswilderung in Berchtesgaden in diesem Jahr nichts im Wege steht. Das europaweite Bartgeiernetzwerk – besonders mit unserem fränkischen Partner, dem Tiergarten Nürnberg – unterstützt mit seiner professionellen Arbeit die Rückkehr dieser faszinierenden Art.
Nachzucht der Bartgeier wichtig für die Wiederansiedlung
„Die Nachzucht gefährdeter Tierarten ist ein wichtiges Element des Artenschutzes. Allein in dieser Brutsaison sind bisher über 30 Geierküken in Zoos und Zuchtzentren geschlüpft, das ist ein tolles Ergebnis. Und natürlich freuen wir uns sehr, dass ein junger Geier aus Nürnberg in Kürze im Nationalpark ausgewildert wird“, erklärt Nationalparkleiter Dr. Roland Baier.
Der Tiergarten Nürnberg hält – mit nur kurzen Unterbrechungen – bereits seit 1965 Bartgeier. „Das Bartgeiermännchen im Tiergarten Nürnberg ist eines der ältesten im EEP“, sagt der stellvertretende Direktor und biologische Leiter des Tiergartens Nürnberg, Jörg Beckmann. „Auch wenn es in diesem Jahr mit dem eigenen Nachwuchs nicht geklappt hat, konnte unser Paar dennoch die überaus wichtige Rolle der Adoptiveltern erfüllen.“
Entscheidend für eine Wiederansiedelung in der Natur ist, dass sie nach den Richtlinien der Weltnaturschutzunion IUCN sinnvoll und verantwortbar erscheint. Die Begleitung und Beobachtung der ausgewilderten Tiere übernehmen Naturschützer vor Ort. Auf diese Weise greifen Artenschutzmaßnahmen außerhalb des natürlichen Lebensraumes der Tiere und innerhalb ihres Lebensraumes ineinander – „One Plan Approach“ heißt dieser umfassende Einsatz für den Artenschutz in der Fachsprache.