VOGELSCHUTZ 1-23

FOTOS: TANJA KÖNIG, MICHAEL SCHÖDL (5) Die illegale Begradigung des Rappenalpbachs im Rappenalptal war bei Redaktionsschluss noch Gegenstand von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Kempten. Klar ist bereits jetzt, dass ein wertvoller Lebensraum für lange Zeit zerstört ist. Der Eingriff erfolgte in einem Bereich, der als Lebensraumtyp „Alpine Wildflüsse mit krautiger Ufervegetation“ in der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) beschrieben ist. Das Gebiet war im FFH-Managementplan in die beste Kategorie A eingestuft worden, mit der Vorgabe, die natürliche Dynamik zu erhalten. Im Jahr 2002 wurden hier 130 Pflanzenarten festgestellt. Erste Verbesserungen des Lebensraums in Deutschland bestätigte der Nationale FFH-Bericht 2019. Der illegale Eingriff im Herbst 2022 wirft all diese Bemühungen wieder zurück. Wir wissen aus anderen Verfahren an Wildflüssen oder -bächen, wo normalerweise für Genehmigungen umfangreiche Gutachten vorgelegt werden müssen, dass bereits minimale Eingriffe (ab 50 m²) in diesem Lebensraumtyp erhebliche Folgen haben. Daher ist eine rücksichtsvolle, abgestimmte und gesetzlich festgelegte Vorgehensweise unbedingt erforderlich. Entsprechend kontaktierten unsere Gebietsbetreuer der Allgäuer Hochalpen, Tanja König und Felix Steinmeyer, sofort die Behörden, als sie den massiven Eingriff in den Rappenalpbach entdeckten. Die Auskunft, dass dieser genehmigt war, stellte sich im Nachhinein als falsch heraus. Europaweit seltene Lebensräume Der LBV setzt sich seit Jahrzehnten für den Lebensraum „Alpine Wildflüsse mit krautiger Ufervegetation“ ein. Er ist die Basis für weitere wichtige Lebensraumtypen an den letzten wildflussähnlichen Abschnitten in Europa. In ihm kommen Arten vor, die nur noch sehr lokal beschränkte Vorkommen haben und genauso wie der Lebensraum vom Aussterben bedroht sind. Im Übrigen steht ein vom LBV neu beantragtes bundesweites Projekt zu Trockenlebensräumen an Flüssen kurz vor der Bewilligung. Wenn ein solcher dynamischer Fluss Sukzession (biologische Abfolge) zulässt, entwickeln sich die Flächen weiter zum Lebensraumtyp „Alpine Wildflüsse mit Ufergehölzen von Lavendelweide“. Dann entsteht ein Mosaik aus unterschiedlich reifen Stadien beider Typen. Dies schließt ein, dass solche Lebensräume durch die Dynamik bei extremen Hochwässern sogar auf natürliche blanke Kiesfläche zurückgesetzt werden können. Noch seltener und nur noch an wenigen Flussabschnitten in Bayern zu finden ist der Lebensraumtyp „Alpine Wildflüsse mit Ufergehölzen von Deutscher Tamariske“. Dieser Lebensraum verschlechtert sich aktuell leider auch EU-weit. Die beste Ausprägung findet sich bei uns an der Oberen Isar, wo der LBV mit einer Gebietsbetreuung seit Jahrzehnten aktiv ist. Da dort aus Gründen des Hochwasserschutzes auch immer wieder eingegriffen werden muss, brauchen wir gute Daten, um den Schutz der Arten in diesem dynamischen Wildflusssystem entsprechend beurteilen zu können. Auf politischer Ebene koordiniert seit einigen Jahren Fabian Unger für den LBV im „Walchensee-Dialog“ die Aktivitäten von zahlreichen Naturschutzverbänden und Umweltgruppierungen, da die Neukonzessionierung des Walchenseekraftwerk-Systems 2030 ansteht. Damit versucht man das Beste für die Obere Isar und auch die drei hier vorgestellten Lebensraumtypen zu erreichen. Ergänzt werden diese Aktivitäten durch das bayernweite „Artenhilfsprogramm Kiesbrüter“, das der LBV weiterhin für das Landesamt für Umwelt durchführt. Viele Brutplätze sind nur noch an den alpinen Flüssen zu finden und gerade der Flussuferläufer nutzt die halboffenen Strukturen der besonders seltenen Lebensraumtypen. MICHAEL SCHÖDL LBV-Alpenreferent E-Mail: michael.schoedl@lbv.de Die seltene Gefleckte Schnarrschrecke lebt an den Ufern alpiner Wildflüsse. Tamariskenkeime müssen feuchte Sandflächen erreichen, um Jungpflanzen entwickeln zu können. LBV MAGAZIN 1|23 25

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