"Der Film ist eine Art Kuckucksei"

Interview mit Regisseur Jörg Adolph zum Film "Vogelperspektiven"

Ab Mitte Februar ist der Dokumentarfilm Vogelperspektiven in den deutschen Kinos zu sehen. Einer der Hauptdarsteller ist der LBV in Person seines Vorsitzenden Dr. Norbert Schäffer. Wir haben mit dem Filmemacher Jörg Adolph über kitschige Naturfilme, geplatzte Tschernobyl-Drehtermine und einen Vergleich mit Peter Wohlleben gesprochen.

Regisseur Jörg Adolph | © Jonas Egert © Jonas Egert
Jörg Adolph mit Kamera beim Beobachten der Bartgeier.

LBV: Sie haben das Drehbuch zu Vogelperspektiven geschrieben, die Idee zum Film stammt, soweit ich weiß, von Produzent Ingo Fliess. Wie hat alles begonnen?

Jörg Adolph: Stimmt, die Idee hatte Ingo, mit dem ich seit Jahren eng zusammenarbeite. Ich war mitten in den Dreharbeiten zu Das geheime Leben der Bäume und erzählte ihm vom Film und von den spannenden Begegnungen mit den Aktivistinnen und Aktivisten. Daraufhin meinte er, wir sollten doch zusammen einen Dokumentarfilm zum zentralen Thema unserer Zeit machen: Ökologie – und dabei herausfinden, ob unter dem aktivistischen Ansatz „Rettet den Planeten“ auch Raum für künstlerisches, dokumentarisches Erzählen ist. Ihm schwebte sofort ein Film über die erstaunliche Welt der Vögel vor, die ja im Vergleich zu Bäumen den Vorteil hätten, dass sie leichter zu filmen sind.

Und er hatte auch schon einen Protagonisten im Sinn: Dr. Norbert Schäffer, mit dem er zusammen Abitur gemacht hat und der bereits als Teenager, zur größten Verblüffung seiner Mitschüler, ein kompromissloser Birder war. Nobert Schäffer ist mittlerweile Vorsitzen - der des LBV.

Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Film?

Vögel können fast alles. Aber Sie können kein Feuchtgebiet schützen. Da muss sich schon der Mensch drum kümmern. Diese zentrale Arbeit im Naturschutz möglichst realistisch abzubilden, stand im Zentrum unserer Dreharbeiten. Wir waren fast immer zu zweit unterwegs: Daniel Schönauer an der Kamera und ich mit dem Tongerät. Wenig Technik, flexibles Team, kein großer Fußabdruck. Wir wollten möglichst unauffällig und ohne einzugreifen Norbert bei vielen Begegnungen und Exkursionen begleiten und das über einen längeren Zeitraum. Das Besondere an Vogelperspektiven ist die Vermischung aus Dokumentarfilm und Naturdoku.

Welchen besonderen Reiz macht das für Sie aus?

Ich wollte einen anderen Naturfilm machen, mich in vielen kleinen ästhetischen Entscheidungen von den in Schönheit und oft auch Kitsch erstarrten Genrekonventionen im Naturfilm unterscheiden. Mir fehlt es an Artenvielfalt und Nachhaltigkeit im Genre des Tier- und Naturfilms. Das ist doch eine ziemlich auf Effekt und Effizienz gebürstete filmische Monokultur. Mir ging es dagegen um ein anderes Narrativ, um den Wildwuchs, um das Wünschens - werte, um das Beiläufige. Dabei ist mir vor allem der Kontrast zwischen Aktivismus und Kontemplation wichtig geworden, die Zweistimmigkeit im Film und was als Montageprodukt daraus entsteht.

Auf der einen Seite die faszinierenden Vogelbilder – gerne länger und genauer gezeigt als üblich – und dann der harte Schnitt zu den Resopaltischen, wo über Naturschutzfragen diskutiert wird. Es ist eine einfache Methode, die ich praktiziere: Ich begleite ohne Interviews und Kommentar Menschen in ihrem Arbeitsumfeld, so entstehen ungestellte Szenen, die in der Montage zu Geschichten verdichtet werden können.

Und genau dafür hat sich die Arbeit des LBV-Vorsitzenden Dr. Norbert Schäffer gut geeignet?

Ja. Denn beeindruckt hat mich, wie es Norbert immer wieder schafft, klar und entschieden aufzutreten und dabei gesprächsfähig und in gutem Kontakt zu bleiben. Dazu gehört auch, dass er Politiker loben kann, wenn sie gute Naturschutzarbeit leisten. Er erklärte mir einmal, es langweile ihn, an einem Tisch mit Naturschützern zu sitzen, die sich alle einig sind in ihrer berechtigten Klage über den elenden Zustand unserer Welt. Er möchte lieber mit Leuten sprechen, die vielleicht ganz anderer Meinung sind, aber diese dann mit guten Argumenten bearbeiten. Und er möchte offen für neue Lösungen sein.

Gebietsbetreuer Tobias Petschinka und Jan Heikens mit Dr.  Norbert Schäffer bei der Beobachtung von Wiesenbrütern | © 2022 if..productions/Filmperlen © 2022 if..productions/Filmperlen
Gebietsbetreuer Tobias Petschinka und Jan Heikens mit Dr. Norbert Schäffer bei der Beobachtung von Wiesenbrütern

Und genau das haben Sie auch bei Ihren Dreharbeiten erlebt?

Das haben wir vielfach erlebt. Beim LBV gibt es tendenziell keine Feindbilder, sondern Norbert bleibt immer ein kompetenter Ansprechpartner, der zu vielen Menschen in Wirtschaft und Politik einen direkten Draht hat. Sein Ego erdrückt nichts und niemanden, er lässt alle leben, kommt bescheiden und leise daher und bewegt gerade dadurch enorm viel.

Er ist der ideale Protagonist für eine andere Art von Naturfilmerzählung. Denn so sieht heute gute Naturschutzarbeit aus, so humorvoll und geduldig, so intensiv und fachkundig. Die Vögel helfen ihm dabei, denn Vögel mag fast jeder. Und Vögel sind gute Indikatoren für den Zustand unserer Natur. Sie zeigen uns unmissverständlich, wie es um die Natur steht: „Wenn die Vögel sterben, sind auch die Menschen nicht mehr lange sicher.“

Und wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Autor Arnulf Conradi als zweiten Protagonisten zu integrieren?

Für Vogelperspektiven habe ich meinen Dokumentarstil mit den großen Bildern des Naturfilms und den persönlichen Erzählungen von Arnulf Conradi kombiniert. Dessen Buch Zen oder die Kunst der Vogelbeobachtung hat mich sehr beeindruckt. Es erzählt viel von den Glücks- und Ruhemomenten bei der Vogelbeobachtung. Und ich wollte mit ihm als Sprecher seiner Texte eine zusätzliche, emotionale Perspektive auf die Welt der Vögel eröffnen.

Auch die Filmmusik von Acid Pauli unterscheidet sich deutlich von den geläufigen Naturfilm-Soundtracks. Der Film ist so eine Mischform aus klassischer dokumentarischer Beobachtung im Stil des „direct cinema“ und Naturfilmerzählung im Geist des „nature writing“. Vielleicht ist der Film eine Art Kuckucksei. Die Schale mag sich dem Genre des Naturfilms annähern, aber im Kern ist es ein klassischer Dokumentarfilm. Es geht mir um das Zusammen spiel von poetischem und politischem Aktivismus.

Kuckuck mit Wirtsvogel | © if...-Productions/Filmperlen © if...-Productions/Filmperlen
Filmszene: Ein Kuckuck wird gefüttert

Inwiefern hat Ihnen Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht? Mussten Sie Pläne komplett verwerfen oder dachten Sie vielleicht sogar mal ans Aufhören?

Es waren ursprünglich auch einige gemeinsame Reisen geplant, vor allem ins „Birding“-verrückte England, aber auch in die Katastrophenregion rund um Tschernobyl, die jetzt „by desaster“ zwangsläufig ein Naturschutzgebiet geworden ist. Dann – direkt vor Drehbeginn – kam die Corona-Pandemie und änderte alles. Plötzlich war Norberts sonst randvoller Kalender leer, fast alle LBV-Termine wurden abgesagt und Besprechungen gab es nur noch online. Das Maskentragen ist epidemiologisch wichtig, aber filmisch eher undankbar, ebenso die 1,5-Meter-Abstandsregelung im täglichen Miteinander. Was soll man so filmen, wie eine Beziehung zu den Protagonisten aufbauen?

Wir hätten auch etwas pausieren können, aber keiner konnte wissen, wie lange die Krise anhalten würde. Selbst die Klimakatastrophe und der Zusammenbruch der Biologischen Vielfalt standen während der Pandemie nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit. Auch Fridays for Future mussten auf unbestimmte Zeit pausieren und über alternative Aktionen nachdenken.

Aber Sie haben trotzdem weitergemacht?

Im Dokumentarfilm sollte sich doch immer die Zeitgeschichte spiegeln und wir können gar nicht verstecken, was um uns herum passiert. Also haben wir aus der Not eine Tugend gemacht und Corona wurde zu einem Thema: Mit Masken und Stirnlampen drehten wir zum Beispiel auf einem nächtlichen Dachboden, als Norbert Kotproben bei der letzten deutschen Kolonie der Großen Hufeisennase einsammelte, um sicherzustellen, dass diese Fledermäuse das Virus nicht übertragen können. Dieser Drehtag fühlte sich so aufregend an, als würden wir gerade einen Katastrophenfilm produzieren. Und plötzlich kannte jeder das Fachwort Zoonose und das wurde auch eine wichtige Verbindung zu unserem Filmprojekt.

Denn eine wesentliche Ursache für den in den letzten Jahrzehnten beobachteten Anstieg von neuen, zwischen Tier und Mensch übertragenen Infektionskrankheiten ist die rasant voranschreitende Zerstörung des Lebensraums von Wildtieren. Die Pandemie hat uns somit deutlich gezeigt: Wenn wir gegen die Natur leben, wird sich die Natur gegen uns wenden.

Gelbes Schild Naturschutzgebiet mit zusätzlicher Schrift "Die ganze Welt ist ein..." Naturschutzgebiet | © if... Productions/Filmperlen © if... Productions/Filmperlen

Wie fällt ein Vergleich Ihres letzten Films Das geheime Leben der Bäume mit Vogelperspektiven aus?

Man kann die Filme gut miteinander vergleichen, denn Vogelperspektiven ist aus den Erfahrungen mit Das geheime Leben der Bäume hervorgegangen. Im Vergleich zum Vorgängerfilm scheint mir hier die Gewichtung der filmischen Stilmittel ausgewogener zu sein. Für mich ist es der rundere Film, der sich mehr Zeit für die dokumentarischen Szenen nehmen kann.

Zudem bin ich mit dem Thema Naturschutz noch lange nicht fertig, sondern möchte weiterhin eine andere Perspektive anbieten, die sich deutlich von den gängigen Naturdokus und deren Erzählmustern unterscheidet. So ist Vogelperspektiven ein Film geworden, der nicht nur abgehoben in wunderschönen Bildern schwelgt, sondern durch die Beobachtung der konkreten Naturschutzarbeit deutlich geerdet in der Realität ist.

Und welche Unterschiede und Parallelen gibt es zwischen Dr. Norbert Schäffer und Peter Wohlleben außer der Frisur?

[lacht] Als Unterschied wäre auf jeden Fall die Körpergröße zu nennen: Peter Wohlleben ist ja fast zwei Meter groß. Als „Deutschlands bekanntester Förster“ und internationaler Bestseller-Autor ist er eine populäre Person und vieles über ihn ist bereits aus den Medien bekannt. Zudem polarisiert er stark. Für die einen ist er „das Beste, was dem Wald passieren konnte“, für die Forstwirtschaft ist er die größte Plage seit dem Borkenkäfer. Das macht es für eine genaue dokumentarische Beobachtung nicht eben leicht.

Auf dem Film lasteten große Erwartungen und es war auch ein Kampf gegen Vorurteile. Das war bei Norbert Schäffer anders: Seine Arbeit findet eher im Unsichtbaren statt und es ist für ihn wichtig, mit möglichst unterschiedlichen Gruppen im Gespräch zu bleiben, um geduldig, humorvoll und mit viel Fachwissen zu überzeugen. Das trifft sich gut mit meinen Interessen: Es fällt mir nicht leicht, die „große Bühne“ zu filmen, lieber beobachte ich die Arbeit im Hintergrund.

Wenn Sie nach dieser Drehzeit nun einen Vogel vor sich herfliegen sehen, denken Sie heute anders über ihn als vor dem Film?

Keine Frage – ich habe durch die Filmarbeit gelernt, Vögel in ihren Lebensräumen besser wahrzunehmen und wertzuschätzen. Ich habe mir ein gutes Fernglas zugelegt und bin natürlich Mitglied beim LBV geworden. Wie das Wissen über die Vogelwelt den Blick verändert, zeigt sich eindrücklich am viel besungenen Mauersegler: Wenn man den durch Häuserfluchten fliegen sieht, ist das schon sehr beeindruckend. Wenn man aber noch ein bisschen was über seine Biologie weiß, dann öffnet sich eine „Welt des Staunens“, wie Arnulf Conradi sagen würde.

Weitere Infos

INTERVIEW: Markus Erlwein

Dieses Interview erschien im LBV magazin 01/2023.

Hier geht's zur vollständigen Ausgabe.

LBV Magazin 01/2023

Spezial-Folge des LBV-Podcasts "Ausgeflogen" mit Regisseur Jörg Adolph

In der 20. Folge des LBV-Podcasts "Ausgeflogen" erwartet euch eine Spezial-Folge. Zu Gast ist der Regisseur Jörg Adolph, der ab dem 16. Februar mit VOGELPERSPEKTIVEN einen neuen Dokumentarfilm in die deutschen Kinos bringt. Jörg erzählt, welche Herausforderungen es bei den Dreharbeiten gab und wie er die Faszination Vogelbeobachtung für die große Leinwand eingefangen hat.

Wie sind die beeindruckenden Vogelaufnahmen entstanden? Warum wollte Jörg einen Film über praktische Naturschutzarbeit produzieren? Und was haben seine bisherigen, mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilme gemeinsam? In dieser besonderen Folge tauchen wir in die Welt des Kinos ein. Hier finden Sie auch ein ausführliches Interview mit Jörg Adolph aus unserem LBV-Magazin.

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