Patricia Danel, was macht Pflanzen so faszinierend?

17. Folge vom LBV-Podcast "Ausgeflogen"

Patricia Danel | © LBV © LBV
Zu Gast im Podcast: Patricia Danel

 

 

 

"Rausgehen lohnt sich zu jeder Jahreszeit, auch jetzt im Herbst. Demnächst, wenn dann die Blätter bunt sind und die Früchte anfangen zu leuchten, der Sanddorn kräftiges Orange beimischt, die Berberitze kräftig rot wird, Beeren reif sind und sich die Vögel daran bedienen. Ein schönes Naturschauspiel, Pflanzen und Tiere Hand in Hand miteinander."

 

Herzlich Willkommen zu “Ausgeflogen - der LBV-Podcast". Ich bin Stefanie Bernhardt vom LBV und gemeinsam sind wir unterwegs im ältesten Naturschutzverband Bayerns. In den bisherigen Folgen haben wir viel über Vögel und andere Tiere gesprochen. Heute schauen wir uns aber mal Bayerns Pflanzenwelt etwas genauer an. Dafür ist LBV-Botanikerin Patricia Danel zu Gast. Patricia erklärt uns, wie bedeutsam Pflanzen für unsere Ökosysteme sind, welche besonderen Fähigkeiten sie haben und wie jede und jeder die Pflanzenwelt entdecken und etwas für ihren Schutz tun kann. Viel Spaß bei dieser Folge.

 

Stefanie Bernhardt: Hallo Patricia, herzlich Willkommen im LBV-Podcast “Ausgeflogen”!

Patricia Danel: Hallo Steffi, ich freu mich, dass ich da bin.

 

Es wird schon langsam bunt in Bayern. Im Oktober macht die Natur vielleicht einen ihrer auffälligsten Wechsel durch. Die Blätter von Bäumen und Sträuchern verfärben sich, sie werden rot, grün, braun, gelb und segeln nach und nach zu Boden. Das leitet schon ein bisschen die kalte Jahreszeit ein. Wir haben gerade eine Zeit, in der Pflanzen eigentlich besonders auf sich aufmerksam machen. Was ich mich dabei schon immer gefragt habe: Wie erkennen denn Pflanzen diesen Jahreszeitenwechsel? Also wie wissen sie, wann es so weit ist, sich auf den Winter vorzubereiten?

Das ist eine sehr gute Frage. Pflanzen und Bäume, Hecken, Sträucher haben ja alle keinen Kalender integriert. Sie erkennen das tatsächlich an der Sonneneinstrahlung, an der Länge der Sonneneinstrahlung und an der Intensität der Sonneneinstrahlung und die nimmt ja, auch merklich für uns, zum Herbst, im September, Oktober hin ab. Es wird einfach schneller kühl und später warm, die Niederschläge häufen sich im Normalfall im Herbst und so bekommt der Baum mit, dass es jetzt Zeit ist, die Farbstoffe langsam, aber sicher aus den Blättern zurückzuziehen. Erst geht das Chlorophyll hinaus. Das ist verantwortlich für den grünen Farbstoff. Dann folgen die Xanthophylle. Die sind verantwortlich für den gelben Farbstoff, die werden hineingezogen in den Baum. Und dann kommen noch die Carotinoide. Die sind verantwortlich für die Rotfärbung in den Blättern. Bedeutet, am Ende vom Herbst haben wir nur noch braune Blätter, die dann zum Boden segeln.

 

Du hast ja Biologie mit dem Schwerpunkt Botanik studiert. Welche Aufgaben haben denn Pflanzen im Ökosystem? Welche Rolle nehmen sie ein?

Die Pflanzen im Ökosystem stellen für mich die Grundlage und die Basis dar, warum überhaupt Leben existiert. Da sich Insekten von Pflanzen ernähren und dann Vögel von Insekten oder Fledermäuse von Insekten, ist das Netzwerk endlos lang oder endlos groß und hierbei bilden die Pflanzen die Grundlage für alles.
Auch für uns als Menschen ist es wichtig, dass wir Pflanzen haben. Wir essen viele davon. Zum Beispiel das ganze Obst, das wir haben, wird von Insekten bestäubt. Wenn es zum Beispiel die Pflanze Apfel nicht gibt, kann ihn auch kein Insekt bestäuben. Und am Ende essen wir ihn dann logischerweise auch nicht. Auch als Nutzpflanzen sind Pflanzen für uns einfach eine wichtige Grundlage. Nicht nur für das Ökosystem an sich, in dem wir ausgeklammert sind, sondern auch für uns sind Pflanzen enorm wichtig. Es gibt ja nicht nur den Nahrungsaspekt in Pflanzen, es gibt auch den Arznei-Aspekt und genauso den kosmetischen Aspekt in Pflanzen. Calendula, also die Ringelblume, ist in vielen Kosmetika vorhanden. So eine Ringelblumensalbe kann man auch selbst machen, das ist gar nicht so schwierig, dafür gibt es auch genug Social-Media-Anleitungen. Ansonsten Arzneipflanzen: Salbei benutzen wir in der Küche als auch als Arzneipflanze gegen Husten zum Beispiel. Er lindert Hustenreiz, unglaublich konsequent und auch effizient.

 

Das war jetzt ja eher ein wirtschaftlicher oder landwirtschaftlicher Grund, dass man das wirklich als Nahrung anbaut und dann auch ein ganzer Wirtschaftszweig dahintersteht. Jetzt mal von diesem Nutzen abgesehen, haben Pflanzen ja auch eine bestimmte Wirkung auf uns Menschen, wenn wir draußen in der Natur sind. Wie schätzt du das denn ein?

Es ist absolut korrekt. Es ist nachgewiesen, dass ein 20-minütiger Spaziergang in einem grünen Wald uns absolut entspannt und runterholt. Die Farbe Grün an sich gilt ja als Farbe der Entspannung und auch als Farbe der Hoffnung. Aber so ein Spaziergang im Grünen hat eine unglaubliche kathartische Wirkung. Es hilft uns, uns zu entspannen und runterzukommen.

 

Dann tauchen wir doch mal ein bisschen tiefer in die Pflanzenwelt ein. Was können denn Pflanzen, was wir vielleicht gar nicht so wahrnehmen? Gibt es da irgendein Beispiel?

Ja, Pflanzen wachsen ja für uns sichtbar immer nur an einem festen Ort, an fester Stelle. Sie sind aber unfassbar anpassungsfähig. Das heißt, manche Pflanzen können zum Beispiel gut mit Trockenheit als auch mit furchtbar nassen Gegebenheiten zurechtkommen. Da passen sie sich einfach an und sind nicht starr und stetig. Das kriegen wir zum Beispiel gar nicht mit, was die Pflanze aushalten muss.
Oder extreme Temperaturschwankungen. Wenn wir an die Pflanzen in den Hochalpen denken, die extremer Sonnenstrahlung ausgesetzt sind, extremer Temperatur, Witterung. Das machen sie zum Beispiel alles wett, indem sie einen Haarmantel über ihren Blättern tragen, der die Kälte weghält. Das kriegt man als Mensch einfach nicht mit. Diese Art plastischen Anpassungen sind einfach faszinierend.

 

Wir sprechen hier im Podcast hauptsächlich viel über Vögel. Das passt natürlich auch gut zum LBV. Im vergangenen Jahr, also 2021, erschien die neue Rote Liste der Brutvögel Deutschlands. Und da war das Ergebnis, dass mittlerweile 43 Prozent der heimischen Vögel in diese aufgenommen werden mussten. Also ist fast jeder zweite Brutvogel bedroht. Wie steht es denn um die Artenvielfalt bei den Pflanzen? Hat man da auch so einen starken Rückgang?

Ja, hat man. Wenn man von der Roten Liste der gefährdeten Gefäßpflanzen ausgeht, ist jede fünfte Art vom Aussterben bedroht.

 

Jetzt ist das “nur” ein Fünftel, aber es ist wahrscheinlich trotzdem genauso schlimm oder gravierend wie bei den Vögeln? Ich frage mich immer: Bei Vögeln oder auch generell bei Tieren bekommt man das mehr mit. Jeder weiß, dass der Orang-Utan oder der Eisbär vom Aussterben bedroht ist. Das nehmen wir auch in gewisser Weise als dramatisch wahr oder wir erkennen, dass man dagegen etwas machen muss. Und dieses Gefühl habe ich bei Pflanzen nicht. Siehst du das auch so?

Ich sehe das schon ähnlich, dass man generell bei Tieren natürlich mehr drauf achtet. Man bekommt es einfach auch besser präsentiert und dargestellt. Das ist auch kein Wunder. Tiere bewegen sich, das kriegt man einfach mit. Pflanzen sind stetig und starr an Ort und Stelle. Da braucht man einfach geschultes Fachpersonal, das rausgeht und sich anschaut, wie häufig und in welchem Lebensraum welche Pflanzenart denn tatsächlich überhaupt noch vorkommt.
Da ist es dann auch kein Wunder, dass man das nicht mitbekommt, wenn eine einzige Pflanzenart weniger wird. Das kriegt man dann mit, wenn sie dramatisch weniger wird oder wenn viele Pflanzenarten gleichzeitig sehr viel weniger werden. Das ist in verschiedenen Ökosystemen oder ökologischen Systemen und Lebensraumtypen auch einfach ganz unterschiedlich.
Es ist auch ein Problem, dass nicht nur viele Pflanzenarten an sich gefährdet sind, sondern auch Lebensraumtypen an sich gefährdet sind, zum Beispiel Magerrasen, Feuchtwiesen, Moore. Das sind alles Biotoptypen, die im Rückgang sind.

 

Bienen-Ragwurz | © Dr. Eberhard Pfeuffer © Dr. Eberhard Pfeuffer
Heimische Orchideen-Arten wie der Bienen-Ragwurz sind in Bayern selten geworden.

 

Was sind denn Gründe für diesen Rückgang der Biotope, der Ökosysteme, aber auch der Pflanzenarten im Speziellen?

Ein Grund ist natürlich unser menschliches Einschreiten, indem wir einfach immer mehr verbauen. Wenn man Galileo Glauben schenkt, verbauen wir fünf Fußballfelder täglich an freier Landschaft, also sind wir im Prinzip selbst schuld, dass viele ökologische Lebensraumtypen einfach im Rückgang sind.
Hinzu kommt eine Nutzungsänderung. Wir intensivieren unsere Landwirtschaft oder auch generell einfach die Nutzung draußen, was nach sich zieht, dass die einzelnen Pflanzen in den Ökosystemen immer seltener werden. Zum Beispiel hätte man in einer Feuchtwiese viele Orchideen, viele Grasarten, Seggen, Binsen. Durch die Intensivierung von Feuchtwiesen oder auch die Trockenlegung von Feuchtwiesen werden die einzelnen Arten immer weniger und nur noch die, die diese speziellen Bewirtschaftungsweisen ausschalten, bleiben übrig und werden dann dominant in diesem Lebensraum.
Wir haben in Deutschland eigentlich keine Wildnis mehr. Die Flecken, die wir übrighaben, sind ja größtenteils aus der Kulturlandschaft entstanden. Das bedeutet, im Endeffekt können wir nur noch das schützen, was wir durch unsere früheren Nutzungsformen geschaffen haben und was dadurch überhaupt wertvoll geworden ist. Zum Beispiel Magerrasen, die wir heute kennen, sind nur durch Schäferei und Wanderschäferei entstanden. Diese Nutzungsform ist sehr im Rückgang, die gibt es fast nicht mehr.

 

Magst du vielleicht kurz erklären, was Wanderschäferei ist?

Gerne. Als Wanderschäferei betitelt man die Nutzungsform, dass Schäfer mit ihren Schafen von einem Ort zum nächsten gewandert sind. Und das war früher auf sogenannten Allmend-Weiden, also Weiden, auf die jeder Zugang hatte. Und diese Wanderschäferei hatte dann ihre Ausdehnung bis hin nach Frankreich und transalpin zurück. Das heißt, diese Schafe sind viel rumgekommen. In diesen Schafen wurden zum Beispiel viele Samen transportiert. Somit gab es auch immer einen genetischen Flow auf den verschiedenen Weiden und Magerrasen. Die Samen konnten sich verbreiten. Wenn dieser Aspekt fehlt und er fehlt, kann sich eine Verinselung bilden. Sprich, die einzelnen Lebensräume sind voneinander getrennt und durch das Fehlen der Wanderschäferei nicht mehr verbunden. Das heißt, die Schafe wandern nicht mehr von A und B und die Samen sind nicht mehr im Austausch.

 

Jetzt hast du schon ein bisschen diese Trennung von Lebensräumen und Verinselung beschrieben. Die Ökosysteme werden immer kleiner und sie sind voneinander abgetrennt. Wie könnte man es schaffen, dass die sich verbinden und warum möchte man, dass sie sich verbinden?

Man kann es über das große Ziel Biotopverbund schaffen, was bei uns ja in Bayern auch ein großes Thema ist. Wenn sich die verschiedenen verinselten Gebiete verbinden würden, hätte man natürlich einen genetischen Austausch. Man kennt es: Eine genetische Verarmung kann am Ende auch zum Aussterben von bestimmten Arten führen. Man muss also darauf achten, dass ein genetischer Austausch vorhanden ist. Und das kann man zum Beispiel über solche Korridore im Biotopverbund schaffen.

 

Du hast vorhin schon den Lebensraum Magerrasen erwähnt. Von dem hatten wir es auch in unserem Vorgespräch und ich fand das so spannend, weil ich mir darunter einfach nichts vorstellen konnte. In der Folge zuvor ging es bei uns um das Ökosystem Moor. Falls euch das interessiert, hört da auch gerne nochmal rein. Und bei einem Moor hatte ich gewisse Assoziationen, das habe ich bei einem Magerrasen nicht. Wie sieht so ein Magerrasen denn aus? Wie kann ich mir den vorstellen? Welche Pflanzen sind da vielleicht auch vor Ort?

Ein Magerrasen, das beschreibt schon das Wort, ist ein magerer Rasen. Der sieht für den Normalbürger auch nicht spannend aus. Das ist ein mitunter vertrockneter Fleck Erde mit Offenstellen. Das schaut nach nichts Besonderem aus. Dass man genau dort in nur drei bis vier Wochen im Jahr wunderschöne Farbteppiche mit vielen Arten findet, die gefährdet und auch auf der roten Liste sind, weiß man einfach nicht, wenn man sich vorher nicht damit beschäftigt hat. Die Heidenelke findet man da zum Beispiel wunderschönen, ganz in pink. Unseren Thymian, den wir auch als Gewürzpflanze konsumieren, findet man auf so einem Magerrasen. Man streicht mit der Hand darüber und es werden sofort die Öle freigesetzt. Das riecht dann herrlich aromatisch. Auch der Wacholder steht in solchen Heiden öfter mal drinnen. Aus den Beeren wird unser Gin gewonnen. Also lauter Dinge, die man kennen sollte.

 

Sandmagerrasen ohne Blüte | © Patricia Danel © Patricia Danel
Ein Sandmagerrasen ohne Blüte sieht auf dem ersten Blick etwas unscheinbar aus.

 

Was genau ist dann problematisch an diesem Magerrasen? Also werden die einfach versiegelt oder für andere Zwecke genutzt oder womit hat dieses Ökosystem zu kämpfen?

Das ist ganz unterschiedlich. Zum einen, wie schon erwähnt, dass immer mehr verbaut wird. Zum anderen ist das Problem, dass dieser Magerrasen auch durch die natürliche und luftbürtige Stickstoffdeposition an Nährstoffen überschwemmt wird. Das Problem ist, dass der Magerrasen auch mager bleiben soll. Das macht ihn aus. Das heißt, wenn wir Nährstoffe zusetzen, sei es durch Düngung oder sei es durch Stickstoff in der Luft, zerstören wir das Habitat. Im Magerrasen sind häufig sogenannte Mykorrhiza-Pilze vorhanden. Die helfen den Pflanzen die paar wenigen Nährstoffe, die es im Boden gibt, aufzudröseln und für die Pflanze verfügbar zu machen. Wenn wir Stickstoff zusetzen, zerstören wir dieses Mykorrhiza-Pilz-Geflecht. Damit kann die Pflanze nicht mehr auf die Nährstoffe, die im Boden sind, zurückgreifen. Aber die Nährstoffe, die wir zu führen, sind schlichtweg nicht brauchbar für die Pflanzen. Damit kommen die seltenen Arten nicht zurecht, die brauchen es mager und nur die Nährstoffe aus dem Boden. Sonst kommen andere Arten zur Dominanz, Gräser zum Beispiel. Über kurz oder lang werden dann die seltenen und mageren Pflanzen von dem Gras überwuchert.
Ein weiteres Problem für Magerrasen ist die sogenannte Sukzession, die Aneinanderreihung von Pflanzen an einem Standort. Sprich, erst hat man einen offenen Lebensraum, einen Graslebensraum. Wenn man den sich selbst überlässt, wird das zu einer Hecke oder irgendwann mit vielen Sträuchern durchsetzt und dann, viele Jahre später wird es am Ende vielleicht ein geschlossener Wald.
Deswegen ist das Prinzip “Natur Natur sein lassen” nicht immer das Richtige. Wenn es um geschützte Lebensräume geht, wie zum Beispiel einen Magerrasen, ist es wichtig, die Pflege, die auf solchen Flächen stattfindet, weiter zu erhalten oder überhaupt zu etablieren. Insofern wäre auf einem Magerrasen eine Offenhaltung wichtig. Das erreicht man natürlich wieder über Beweidung, Schafe, Rindvieh, Kühe, eventuell auch Ziegen.

 

Überwucherter Magerrasen | © Patricia Danel © Patricia Danel
Wenn dem Magerrasen zu viele Nährstoffe zugesetzt werden, kommen Gräser zur Dominanz.

 

Das heißt, wir können jetzt auf jeden Fall schon mal festhalten, dass sich Pflanzen in der Natur, aber auch in den Kulturlandschaften durch den Einfluss des Menschen, wahrscheinlich auch durch die Änderung des Klimas, einfach verändern. Es gibt wahrscheinlich noch viele andere Gründe, die auch dazu führen, dass sich Landschaft verändert. Es ist ja auch so, dass vermehrt neue Pflanzenarten mittlerweile bei uns auftreten. Pflanzen, die vielleicht vor einigen Jahren oder vor einigen Jahrzehnten hier in Bayern noch nicht heimisch waren. Was hat es denn damit auf sich?

Stimmt, es kommen immer mehr nicht-heimische Pflanzenarten bei uns vor. Das muss erstmal nichts Schlechtes heißen. Die sogenannten Neophyten, also Neophyt - neue Pflanze oder neues Grün - kommt meistens aus dem Süden. Der Grund dafür ist, dass wir immer wärmere Tage haben, auch über den Winter gibt es weniger Frosttage. Das bedeutet, dass die Pflanzen aus dem Süden, die eventuell dem Frost zum Opfer fallen würden, dableiben.
Mit einigen Pflanzen gibt es damit aber ein Problem. Das sind dann sogenannte invasive Neophyten. Sie sind deshalb invasiv, weil sie sich hier einfach sehr schnell sehr breit machen können. Sie nutzen, ich sag jetzt mal Wanderwege, wie Autobahnen oder Flüsse, sehr schnell und sehr effizient. Es fehlt einfach der natürliche Feind.

 

Hast du ein Beispiel für so einen invasiven Neophyt?

Ja, zum Beispiel der japanische Flügelknöterich. Den sieht man immer öfter entlang von Autobahnen. Erst letztens habe ich ihn an der Autobahn bei München gesehen, dort kann man ihn wunderbar vor der Lärmschutzwand bewundern. Der japanische Flügelknöterich wird unglaublich hoch und bildet unglaublich große Blätter aus. Das macht es den Pflanzen, die darunter wachsen oder dazwischen wachsen würden, schwer in Konkurrenz zu treten, weil sie einfach nichts vom Licht abbekommen. Zusätzlich saugen diese invasiven Neophyten den Boden aus, so dass die Pflanze, die ursprünglich vorkam, chancenlos bleibt, was das Überleben angeht. Sie bleibt wortwörtlich auf der Strecke.

 

Und es ist ein Baum oder ein Strauch, oder?

Es ist ein Kraut, dass sehr hoch wächst. Man kennt vielleicht auch das indische Springkraut, das an Gewässern entlang wächst. Das blüht so schön rosa, wird von unseren Hummeln auch beflogen und war auch mal so ein invasiver Neophyt. Mittlerweile ist es fast schon verbreitet und gängig.

 

Du hast schon gemeint, sie nutzen Wege wie Autobahnen oder Flüsse. Wie kommen denn solche Arten noch in neue Gebiete? Und, wie kann man das vielleicht verhindern?

Unter Umständen kann es auch passieren, dass man solchen Pflanzen durch sein Gärtnern aus Versehen den Freiraum gibt, sich zu vermehren. Man geht zu einem gängigen Gartenfachbaumarkt und kauft sich eine Pflanze in dem Unwissen, ob es ein invasiver Neophyt ist. In ein paar Jahren gefällt einem die Pflanzen nicht mehr. Man tut ihr vermeintlich etwas Gutes und schmeißt sie nicht zuhause in den Kompost, wo sie einfach verrotten könnte, sondern pflanzt sie raus in die Natur, wo sie sich aber fröhlich und munter verbreitet. Das wäre aber nicht erwünscht. Das heißt, der Mensch trägt auch zur Verbreitung bei. Oder man bringt sie einfach aus dem Urlaub mit. Das heißt, über Flüge verbreiten sich solche Pflanzen auch relativ häufig.
Bis hinzu, eine ganz absurde Idee, Baggerarbeiten: Ein Baggerunternehmen fährt zum Standort A, baggert dort und nimmt dort ein Rhizom, also ein Wurzelstück einer Pflanze, mit. Es klebt einfach irgendwo am Bagger. Er fährt ins Gebiet B und dort verliert er dieses Rhizom, weil die Erde angetrocknet ist. Dort hat die Pflanze dann wieder die Möglichkeit sich neu zu entfalten und zu entfachen. So hat man schon zur Verbreitung beigetragen.

 

Was man daran kritisch sieht, ist, dass sich diese Arten, weil sie hier keine natürlichen Feinde haben, invasiv gegenüber anderen Pflanzen verhalten und denen so das Leben schwer machen?

Ganz richtig, genau. Sie verbreiten sich unglaublich schnell. Das Problem ist nicht das Verbreiten, sondern dass sie dann die anderen Arten, die schon da waren, unter Umständen ersticken können, dass die einfach nicht mehr vorhanden sind. Sie erdrücken das, was schon da war und verbreiten sich selbst.

 

Du hast vorhin schon beschrieben, dass es diese echte vom Menschen unbeeinflusste Wildnis oder Natur eigentlich nicht mehr gibt. Wie kann man denn das Letzte, was vielleicht doch noch da draußen ist, schützen? Wie kann man generell Pflanzen schützen?

Zum Beispiel durch die Ausweisung von Nationalparks. Das ist der intensivste Schritt, so kann man noch versuchen etwas zu schützen. Aber auch durch Flächenankauf, das macht der LBV ja vorrangig. Der LBV kauft Flächen an und widmet sie dem Naturschutz. Auf diesen Flächen wird dann auch aktiver Naturschutz betrieben. Natur sich selbst zu überlassen, ist in den seltensten Fällen der richtige Weg. Somit versuchen wir, die vorhandene Natur entweder zu erhalten oder aber zerstörte oder beeinflusste Gebiete so zurückzubauen, dass die Natur davon wieder einen Vorteil hat.

 

Welche Flächen oder Gebiete sind das dann zum Beispiel?

Zum Beispiel besitzt der LBV Flächen im Moor, Waldflächen, Flächen im Grünland, vor allem Feuchtwiesen. Ein ganz bunter Mischmasch aus verschiedenen Ökosystemen und Lebensraumtypen.

 

Patricia Danel | © LBV © LBV
Patricia Danel gibt in Führungen ihre Artenkenntnis weiter.

Neben Nationalparks und Naturschutzverbänden fragen wir uns im Podcast auch immer, was wir als Einzelne für die Artenvielfalt tun können. Wir haben schon viel darüber gesprochen, dass man im Garten natürlich etwas machen kann, z.B. insektenfreundliche Pflanzen anpflanzen. Dazu gibt es auch eine eigene Folge. Aber was kann ich ein bisschen größer gedacht darüber hinaus als Einzelne tun?

Für meine Begriffe steht hier die Bildung an vorderster Stelle. Man kann nur schützen, was man kennt. Das heißt Artenkenntnis müsste viel mehr in die Bildung mit etabliert werden. Schulen und Kindergärten wären für mich die Anlaufstellen. Außerdem könnte man vielleicht auch in seiner eigenen Kommune ein bisschen etwas vorantreiben - #volksbegehrenartenvielfalt.

 

Auf wen kann ich in der Kommune zu gehen? Was kann man da besser machen?

In der Kommune könnte man auf den Bürgermeister selbst zugehen oder auf den Umweltbeirat, sollte die Kommune einen haben oder vielleicht auf einzelne Parteien, die sich sowieso schon in diese Richtung engagieren.
Straßenbegleitgrün-Pflege oder generell die Grünflächen-Pflege in den Kommunen könnte man zum Beispiel besser machen. Man sollte die Bürger auch informieren, dass eine sauber abgemähte Wiese nicht immer das Beste für die Artenvielfalt ist. Aber vorrangig würde ich tatsächlich sagen, Artenkenntnis muss von Klein auf einfach beigebracht werden.

 

Wir sprechen auch immer wieder über Artenkenntnis, hauptsächlich bei Vögeln. Da hat der LBV auch schon eine Studie in Auftrag gegeben, die dann zu dem Ergebnis kam, dass die zurückgeht. Wie sieht es denn bei Pflanzen aus? Wie ist es da um die Artenkenntnis bestellt?

Sehr schlecht. Artenkenner sterben bei uns in der Botanik im wahrsten Sinne des Wortes tatsächlich aus. Es gibt ein unglaubliches Problem im Nachrücken. Es gibt wenige junge Menschen, die sich damit auskennen oder sich auskennen wollen.

 

Woran liegt das? Was denkst du?

Ich denke, das liegt daran, dass die Pflanzen scheinbar einfach unscheinbar sind. Sie bewegen sich nicht, sie sind einfach da. Was kann man da schon an Faszination abgewinnen? Da muss man sich tatsächlich erst mal genauer darüber informieren und Zeit investieren, um zu erkennen, welche Schönheit und Vielfalt in so einer Pflanze stecken kann. Wie gesagt, von der Anpassungsfähigkeit, nicht nur genetisch, aber auch plastisch ist da wahnsinnig viel dabei. Oder auch der Verbund von Pflanzen ist interessant. Die Tatsache, dass sie unterirdisch kommunizieren über Pilzgeflechte, seien es jetzt Bäume oder einzelne krautige Arten, ist für mich einfach ein spannendes Thema.

 

Du hast schon gesagt, sie kommunizieren. Kann man Pflanzen dann vielleicht doch ein bisschen als soziale Wesen sehen oder wie kommunizieren sie? Ja nicht mit Sprache oder Lauten, so wie wir es bei Mensch und Tier haben.

Ich weiß jetzt nicht, ob man sie soziale Wesen nennen kann. Die Kommunikation findet auf chemischer Basis statt. Das bedeutet, dass zum Beispiel in diesem Pilzgeflecht gewisse Ionen ausgeschüttet werden, die dann als Schlüssel-Schloss-Prinzip in einem Baum eine gewisse chemische Reaktion heraus- oder hervorbringen. Und diese chemische Reaktion hat dann wieder Einfluss auf eine weitere Schlüssel-Stelle. Es ist im Endeffekt eine Kaskade an einzelnen chemischen Reaktionen und so kommunizieren Bäume untereinander.

 

Wenn bei mir jetzt ein kleines Interesse an Pflanzen entstanden ist: Wie kann ich denn am besten anfangen, mich da zu informieren, wenn ich Hobby-Botanikerin werden möchte?

Es ist wichtig das richtige Werkzeug zur Hand zu haben, sei es ein Buch, zum Beispiel “Was blüht denn da?”. Das ist immer schön für Anfänger. Dort sind die einzelnen gängigen Pflanzen, die man so am Wegesrand trifft oder auf einer Wiese nach Farben aufgeschlüsselt. Da kann man fast nichts mehr falsch machen und Bilder sind auch dabei. Dementsprechend kann man sich das einfach auseinander sortieren.
Man kann es auch über Apps machen, zum Beispiel “Flora Incognita” oder “Pl@ntNet”. Jedoch finde ich es schwierig mit den Apps, da man dort einfach die Unterscheidungsmerkmale zu ähnlichen Pflanzen nicht dargestellt bekommt oder nicht ausführlich dargestellt bekommt.

 

Wie funktionieren die denn? Also mache ich einfach ein Foto?

Genau, man geht in die App hinein. Die App fragt, was das für eine Pflanze ist, die ich fotografieren möchte. Ich klick dann “Es ist eine krautige Pflanze” an und dann fragt mich die App von selbst: “Ich möchte ein Foto von der Blüte, ein Foto vom Blatt, ein Foto von der gesamten Pflanze”. Das heißt, man ist nur am Fotografieren und hinterher spuckt die App dann mit einer gewissen prozentualen Sicherheit aus, welche Pflanze man da vor sich sieht. Meistens geben sich die Leute dann damit zufrieden, dass sie sehen, was es ist. Das ist im Buch nicht so. Da schlägt man eine Seite auf, hat vielleicht eine lilafarbene Blüte mit fünf Blütenblättern und bekommt dann viele verschiedene Möglichkeiten aufgeschlüsselt und vielleicht bleibt man dann bei der ein oder anderen Art doch hängen und liest sich dort mehr ein, weil es gerade interessiert oder weil sie schön ausschaut. Da bekommt man einfach mehr Informationen, ohne sich selbst durch die verschiedenen Register in einer App zu klicken.

 

Das ist auch ein bisschen aktiver. Ich muss wirklich mehr durchblättern, sehe die Unterschiede zu den anderen Pflanzen und, wie du gesagt hast, bin nicht nur am Fotografieren. Und dann bekomme ich irgendein Ergebnis, das ich dann einfach glaube. Aber vielleicht ist es doch etwas anderes. Spannend, ok, also du empfiehlst eher Bücher?

Ich empfehle eher Bücher, definitiv ja.

 

Mit welcher Pflanzengruppe kann ich denn am besten anfangen, meine Artenkenntnis zu verbessern. Also Bäume, Sträucher, Blumen – was würdest du da empfehlen?

Am einfachsten ist es tatsächlich mit Bäumen zu beginnen, da man dort anhand der Form der Blätter gut unterscheiden kann: Habe ich jetzt ein Ahornblatt in der Hand? Das macht einen enormen Unterschied zu einem Eichenblatt oder zu einem Kastanienblatt.
Wenn man dann angefangen hat, die einzelnen Laubbaumblätter zu unterscheiden, kann man hinübergehen zu den Nadelgehölzen, wo es dann schon ein bisschen schwieriger wird, denn Nadel ist nun mal Nadel, auch wenn es am Ende nicht so ist. Auch blühende, bunte Pflanzen eignen sich perfekt für einen Einstieg.
Wovon ich abraten würde, ist mit Gras zu beginnen. Das ist ein bisschen schwierig. Es blüht unscheinbar und man bekommt es einfach schwerer bestimmt oder schwerer unterschieden von anderen Grasarten.

 

Ja, das wäre glaube ich am Anfang auch nicht sehr motivierend.

Nein. (lacht)

 

Sandmagerrasen in Blüte | © Patricia Danel © Patricia Danel
Für eine kurze Zeit blühen die Pflanzen auf dem Sandmagerrasen in bunten Farben.

Wir vom LBV raten immer dazu, rauszugehen, die Natur zu entdecken, die Arten kennenzulernen, ein bisschen zu lernen, wie man sie bestimmen kann und da wirklich mitzumachen. Wir sagen aber auch immer, dass es wichtig ist, das respektvoll gegenüber den Tieren zu machen. Gerade, wenn man vielleicht mit Hunden unterwegs ist. Aber auch generell, wenn man allein ist, sollte man nicht zu sehr in die Brutgebiete gehen. Man soll natürlich auch keinen Müll in der Natur hinterlassen. Wie verhalte ich mich denn respektvoll gegenüber Pflanzen?

Da ist es einfach nur wichtig, nach dem Prinzip zu gehen “Ich schädige nichts”. Also kein Ausrupfen der Pflanzen, kein Mitnehmen der Pflanzen und vielleicht bleibe ich auch auf den ausgewiesenen Wegen, damit ich nicht eine seltene Orchideen-Art zertrample, die ich als Laie als solche vielleicht nicht erkenne.

 

 

Warum sollte ich Pflanzen nicht rausreißen?

Es ist vielleicht deshalb nicht ratsam, Pflanzen auszurupfen, weil man dann vielleicht, man weiß es ja nie, eventuell das einzige Individuum ausgerupft hat, das seit Jahren dort existiert. Und vielleicht kommt es genau in diesem einen Jahr zur Blüte. Es gibt auch Pflanzen, die blühen nicht jedes Jahr. Die blühen nur alle zwei Jahre oder alle drei Jahre oder wenn die Klima-Gegebenheiten passen, wenn es trocken genug ist oder wenn es feucht genug ist. Und man stelle sich vor, es ist das perfekte Jahr für die eine Pflanze und die blüht und ich nehme sie mit, dann wars das. Sie kann keine Samen bilden und sich auf dem Weg weiterverbreiten. Das Individuum ist weg und damit ist die Population für diesen Ort ausgestorben. Dann kommt der Botaniker nächstes Jahr und sieht, sie ist nicht mehr da. Dann ist in der Roten Liste schon mal 0 – ausgestorben - eingetragen.

 

Nicht nur wir, sondern ich glaube viele Menschen, haben festgestellt, dass sich in den letzten Jahren der Druck auf die Natur erhöht hat. Das war zum einen so ein Corona-Effekt. Dadurch, dass bestimmte Freizeitangebote nicht mehr möglich waren, sind viele Menschen in die Natur gegangen, was auf jeden Fall erstmal sehr begrüßenswert ist und was wir uns ja auch wünschen. Aber es ist einfach so, dass bestimmte Gebiete zu Hotspots werden, wo dann eben sehr, sehr viele Menschen hinströmen. Social Media verstärkt es auch noch dadurch, dass bestimmte Orte geteilt werden. Wie schätzt du das denn ein? Auf der einen Seite bist du ein junger Mensch, der auch Social Media nutzt und auch selbst Fotos zum Beispiel teilt. Auf der anderen Seite bist du aber auch die Botanikerin und Naturschützerin, die möchte, dass es nicht zerstört wird.

Richtig absolut. Ich sehe das auch als dramatisch an. Ich poste auch gerne mal eine Pflanze oder einen wunderschönen Lebensraum. Mir würde aber nicht unbedingt einfallen, ortsgenau zu nennen, wo ich mich befinde. Als Influencer oder als Instagramer kann ich das natürlich nicht machen. Da ist es total wichtig, zu teilen, wo man ist und alle die dem folgen, sehen es auch. Natürlich könnten alle, die das sehen, auch dort hin. Das ist der negative Effekt dieser Social Media Seite auf die Natur, das ist richtig absolut. Deswegen verstehe ich auch bestimmte Städte oder Kommunen oder Gemeinden, dass sie bestimmte Orte einfach von der Öffentlichkeit ausschließen. Es ist verboten, diese weiter zu betreten, um einfach dort die Natur zu erhalten, die ist.

 

Hat Social Media dann in manchen Bereichen vielleicht doch auch positive Seiten?

Selbstverständlich, denn durch Social Media werden Informationen, die schwierig sind zu bekommen, einfacher zugänglich gemacht. Bedeutet, wenn ich bestimmte Arten vorstellen möchte. Social Media macht es einfacher für mich, bestimmte Hashtags zu setzen. Die Leute bekommen das mit, sehen das und können sich dann von selbst auch ein bisschen informieren. Da packt man dann einfach alle Informationen rein, die es zu der Pflanze oder zu diesem Lebensraum gibt.

 

Man kann also Wissen über die Artenvielfalt und Artenkenntnis vielleicht da doch ein bisschen verbreiten und neue Interessierte gewinnen. Warum ist denn Artenkenntnis aus deiner Sicht überhaupt wichtig?

Man kann nur schützen, was man kennt. Wenn ich nicht weiß, dass es in meinem ökologischen Lebensraum Magerrasen oder einfach wichtige Kennarten und auch Arten darüber hinaus gibt, könnten die verschwinden.
Jetzt kann man natürlich argumentieren: Es ist nicht schlimm, wenn eine Art verschwindet, auch nicht, wenn zwei Arten verschwinden. Aber ich weiß es nicht und es ist auch bisher nicht erforscht, ab wann oder ab der wievielten Art dieses Ökosystem, dieser Lebensraumtyp dann zusammenbricht. Wir haben natürlich auch eine bestimmte Ausfallversicherung. Wenn man es zum Beispiel auf die Bestäuber umlegt: Vielleicht macht es keinen Unterschied, ob die Hummel ausstirbt oder die Biene noch ausstirbt. Aber wenn zum Beispiel die Schwebfliege mit ausstirbt oder meinetwegen auch die Wespe. Wir können nicht sagen, ab welcher Art das Ökosystem an der Stelle dann zusammenbricht und wir keine Ausfallversicherung mehr haben. Und wenn ich weiß, was wächst, kann ich auch schützen, was wächst.

 

Welche Folgen hätte es für den Menschen, wenn bestimmte Ökosysteme zusammenbrechen?

Die Folgen wären unter Umständen auch leere Regale im Supermarkt, kein Obst, kein Gemüse, kein Honig und alle anderen Dinge, die mit Hilfe von Bestäubern auf unseren Tischen landen.
Hochwasserschutz ist wichtig, vor allem jetzt, wenn wir immer mehr und immer heftigere Regenfälle haben und wenn Moore dann zerschnitten werden. Die Trockenlegung von Feuchtwiesen ist zum Beispiel genauso dramatisch. Die Anbindung von Grünflächen an Flusssysteme wird auch immer unterbunden. Diese Grünflächen an Flüssen können wie ein Schwamm wirken, wenn wir ein Hochwasserereignis haben. Das Ahrtal ist ein gutes Beispiel. Wenn wir diese Anbindungen an die angrenzenden Grünflächen unterbrechen, dämmen wir diese Rezensionsfunktion der Fläche ein. Das heißt, wir haben an der Stelle keinen Hochwasserschutz und haben etwas kaputt gemacht, von dem wir unter Umständen auch gar nicht gewusst haben, dass es dem Hochwasserschutz dient.
Weil wir eben so viel nicht wissen, ist es gefährlich damit zu spielen, dass wir es uns leisten können, Arten zu verlieren. Wenn wir bestimmte Lebensraumtypen verlieren, verlieren wir damit nicht nur die bestimmten Pflanzenarten, sondern auch die bestimmten Vogelarten oder die bestimmten Tierarten. Und was verlieren wir damit noch? Das ist für uns schlichtweg nicht sichtbar. Das heißt, wir begeben uns da auf ein Terrain, welches für uns komplett unsicher ist und von dem wir nicht wissen, ab wann es zusammenbricht.

 

Und was wir auch noch gar nicht kennen. Bei Vögeln merkt man zum Beispiel vielleicht, dass der Vogelgesang weniger wird. Man sieht bestimmte Art seltener oder gar nicht mehr. Oder sie sind nur noch in sehr, sehr wenigen Gebieten. Eine Welt, in der ich, wenn ich früh aufwache, keine Vögel mehr singen, kann und will ich mir eigentlich gar nicht vorstellen. Das ist fast schon apokalyptisch.

Wir befinden uns auf jeden Fall in der nächsten Aussterbewelle, das ist bekannt. Und die ist eindeutig durch den Menschen verursacht worden.

 

Dann hat man eigentlich auch wieder die Verantwortung, wenn man als Mensch dafür verantwortlich ist, diese Arten auch zu schützen. Dann ist es eigentlich auch egal, ob es Tiere oder Pflanzen sind. Du hast es heute schon ziemlich gut erklärt, wie einfach dieser Zusammenhang ist; dass ich die Tiere auch schütze, wenn ich die Pflanzen schütze. Warum empfinden denn wir Menschen für Pflanzen so, so viel weniger Empathie als für Tiere?

Pflanzen haben kein süßes Gesicht. Sie sind hübsch anzusehen, aber das wars. Jeder schätzt eine wunderschöne, gefüllte, perfekte rote Rose, das ist klar, aber das ist eine gezüchtete Form. Kaum einer kann die Schönheit von Orchideen schätzen, die wild wachsen. Man kennt überwiegend nur die Baumarkt-Orchideen, sag ich mal, die Luftwurzeln haben, die aber im Prinzip überwiegend aus den Tropen kommen. In Feuchtwiesen wachsen ganz viele unserer wunderschönen heimischen Orchideen. Die sind wunderschön knallpink, wenn man einfach zum richtigen Zeitpunkt draußen ist. Rausgehen lohnt sich zu jeder Jahreszeit, auch jetzt im Herbst. Demnächst, wenn dann die Blätter bunt sind und die Früchte anfangen zu leuchten, der Sanddorn kräftiges Orange beimischt, die Berberitze kräftig rot wird, Beeren reif sind und sich die Vögel daran dann bedienen. Ein schönes Naturschauspiel, Pflanzen und Tiere Hand in Hand miteinander.

 

Blumenwiese | © Oliver Wittig © Oliver Wittig
Die Mageriten blühen in wunderschönem Weiß.

Was ist denn deine Lieblingspflanze?

Die Margerite.

 

Warum?

Weil sie unscheinbar ist, aber gleichzeitig sehr schön und für magere Lebensräume steht. Also sie kann natürlich auch in Fettwiesen vorkommen. Das fasziniert mich so an Pflanzen, weil sie sehr plastisch sind. Sie kann auch in nährstoffreicheren Lebensräumen vorkommen. Aber zuhause ist sie prinzipiell in mageren Wiesen. Ich habe immer mein erstes Jahr im LBV im Kopf. Da bin ich auf eine LBV-Fläche rausgefahren und das war der perfekte Tag. Sonniger Himmel, blau, Wolken und dazu eine Wiese voller Margeriten, die war komplett weiß. Das hat mich sehr beeindruckt, das fand ich einfach ein sehr schönes Naturschauspiel.

 

 

Vielen Dank, Patricia! Es war ein sehr schönes Gespräch. Danke, dass du dir Zeit genommen hast.

Freut mich, dass ich dabei sein durfte, danke auch.

 

Diese Folge hatte einen sehr wichtigen Appell: Wir sollten Pflanzen nicht unterschätzen, sondern rausgehen, sie entdecken und schützen. Wenn ihr im Naturschutz in Bayern aktiv werden wollt, findet ihr bei uns Mitmachaktionen, Veranstaltungen und die LBV-Kreisgruppen vor Ort. Wenn euch diese Folge gefallen hat, empfehlt sie gerne weiter. Außerdem freuen wir uns über eine Bewertung auf Spotify oder iTunes. Genießt den bunten Herbst in Bayern und bis zum nächsten Mal.

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