Streuobst: wie schmeckt Naturschutz?

24. Folge vom LBV-Podcast "Ausgeflogen"

Ein Portrait des stellvertretenden Vorsitzenden Hartwig Brönner |© LBV Tobias Tschapka © LBV Tobias Tschapka
Zu Gast im Podcast: Hartwig Brönner (zweiter Vorsitzender des LBV).

Herzlich Willkommen zu “Ausgeflogen - der LBV-Podcast". Ich bin Steffi Bernhardt und war für euch wieder unterwegs im ältesten Naturschutzverband Bayerns. Heute geht es bei uns um Streuobstwiesen und ihre Bewohner. Zu Gast ist der LBV-Vogelexperte Hartwig Brönner. Der 66-Jährige ist seit vielen Jahren in der Kreisgruppe Main-Spessart aktiv und ist zweiter Vorsitzender des LBV. Streuobstwiesen bieten uns Menschen wahnsinnig viel: Prächtige Blüten im Frühling, Schatten im Sommer und eine reiche Ernte im Herbst. Was Streuobstwiesen sonst noch können, erfahrt ihr in dieser Folge von “Ausgeflogen”.

Stefanie Bernhardt: Hallo Hartwig, herzlich willkommen im LBV-Podcast “Ausgeflogen”.

Hartwig Brönner: Hallo Steffi! Freut mich, dass wir heute hier sind und zusammen mal ein bisschen über Naturschutz und andere Themen reden.

 

Sehr schön, das freut mich auch. Heute soll es bei uns im Podcast um das Thema Streuobstwiesen gehen, ein sehr spannender und artenreicher Lebensraum. Was ist denn dein persönliches Lieblingsobst oder vielleicht auch Lieblingsprodukt, das von einer Streuobstwiese stammt?

Ganz klassisch der Apfel. Aus dem Apfel kann man sehr viel machen. Ich selbst bin auch im Besitz einer kleinen Streuobstwiese und da verbringt man natürlich sehr viel Zeit und investiert auch viel in Ideen, um am Ende ein schönes Produkt rauszubekommen: einen Apfelsaft, Apfelkuchen, beispielsweise auch Äpfel zum Einlagern für den Winter, die dann bis nach Weihnachten, Januar reichen und genießbar sind. Auf einer Streuobstwiese sind schon sehr viele Ziele machbar. 

 

Streuobstwiesen sind letztendlich menschengemachte Kulturlandschaften. Sie gelten aber auch als Hotspot der Biodiversität und der Artenvielfalt. Welche Tierarten kommen denn auf einer Streuobstwiese vor? 

Typische Arten für das Streuobst, wenn wir vielleicht mit der Vogelwelt einsteigen wollen, sind in erster Linie die Höhlenbrüter. Die kann man über zusätzliche Nisthilfen auch ganz einfach fördern, wenn der Streuobstbestand noch nicht das Alter hat, nicht genug Höhlenbäume aufweist. Hier hat man gute Möglichkeiten, diese Vielfalt auch zu fördern. Der Star und viele Meisenarten kommen am Streuobst vor, natürlich auch Besonderheiten wie Trauerschnäpper, Gartenrotschwanz bis hin zum Halsbandschnäpper in unserer Region. Das ist zwar sehr selektiv und sehr selten der Fall, dass er im Streuobst vorkommt, aber es gibt durchaus ein paar Streuobstwiesen, wo auch immer der Halsbandschnäpper auftaucht. Der Wendehals ist noch so eine typische Art. Dann haben wir auch noch zwei Spechtarten, die da vorkommen, ja eigentlich drei: Der Mittelspecht ist auch mal zu sehen im Streuobst, aber vor allen Dingen Grün- und Grauspecht. Und es sind nicht nur die Bäume, das möchte ich immer wieder sagen, sondern die Wiese gehört eigentlich auch dazu. Und dieses Ganze Mosaik im Habitat, das ist ganz wichtig. 

Streuobstwiese mit Bäumen im Hintergrund | © Franziska Wenger © Franziska Wenger
Die meisten Streuobstwiesen in Bayern gibt es in Franken.

Woran liegt es genau, dass dort so viele Arten zu finden sind? Also aus dieser Kombination, die du gerade schon beschrieben hast.

Das ist zum einen der Lebensraum in seiner Struktur. Die Bäume ab einem gewissen Alter, wenn Höhlen gebildet werden, sind natürlich schon mal sehr wichtig. Dann ist auch die Blütezeit nicht unwichtig für verschiedene Bienen, Wildbienen und so weiter, die dort ihr Auskommen haben. Damit stellen sich auch Ökosysteme ein. Nahrungsverfügbarkeit ist in einer gesunden Streuobstwiese, wo man auch keine Schutzmittel einsetzt, keine Pestizide einsetzt, normalerweise immer gegeben. Und klimatisch macht das Ganze auch etwas aus. Das ist keine Wiese, die im Klimawandel durch die höheren Temperaturen unter Druck gerät, sondern wir haben entsprechende schattenspendende Bäume, entsprechendes Kleinklima. Also umfassend gesehen ein sehr, sehr artenreicher Lebensraum.

 

In welchen Regionen von Bayern gibt es denn sehr viele Streuobstwiesen?

Ich sage mal, wir in Unterfranken sind Streuobst-Region, Oberfranken ebenfalls, Mittelfranken auch noch zum großen Teil. Das sind die Bastionen des Streuobsts in Bayern, würde ich sagen, auch wenn es bis nach Oberbayern runter, Schwaben, Niederbayern auch noch Streuobstbestände gibt, aber nicht in diesen Ausmaßen und sicherlich auch nicht mit dem kompletten Arteninventar.

Nahaufnahme einer blühenden Streuobstwiese | ©Franziska Wenger ©Franziska Wenger
Blühende Streuobstwiesen bieten viel Nahrung für Wildbienen, Schmetterlinge und Co.

 

Obwohl Bayern für Streuobst bekannt ist und man das dort viel findet, gehen die Streuobstbestände in Bayern in den letzten Jahrzehnten stark zurück. Vielerorts ist es sogar gefährdet. Woran liegt es denn?

Streuobst ist historisch betrachtet eine Kulturlandschaft, vom Menschen geschaffen, die in der Regel um die Ortschaften herum liegt, angelegt wurde. Auf Streuobstwiesen gab es früher eine Mehrfachnutzung: Die Leute haben in erster Linie das Obst für zuhause gebraucht, bevor es Supermärkte gab. Sie haben die Streuobstwiesen aber auch anderweitig genutzt. Wenn jemand beispielsweise nur eine Kuh im Stall hatte, hat man Heu gemacht und das war in der Streuobstwiese auch leicht möglich. Dann haben sich die Städte und vor allen Dingen auch die kleineren Ortschaften, Dörfer, Kommunen erweitert. Es wurden Industriegebiete gebaut, es wurden neue Wohngebiete ausgewiesen und dafür braucht man Fläche. Und da ist es naheliegend, dass man das Ganze direkt am Ortsrand sucht, neue Flächen sucht und oftmals fiel da natürlich die Streuobstwiese in diese Planungen rein. Das ist ein Grund. Zum anderen ist es so, dass das Obst in den Supermärkten heutzutage in der globalen Lebensmittelindustrie aus ganz anderen Anbaugebieten kommt, oftmals weltweit und ganzjährig verfügbar ist. Somit ist das heimische Streuobst nicht mehr wirtschaftlich lukrativ genug, um das mit zu vermarkten. Dadurch sind unsere Bestände grundsätzlich veraltet. Das heißt, viele Streuobstbestände sind jetzt am Ende ihres Lebensalters angelangt. Die Bäume sind alt, werden nicht mehr gepflegt, wurden vielleicht in der Vergangenheit zu wenig gepflegt, in Anführungsstrichen, um diese Bestände zu erhalten. Und es fehlt eigentlich die nächste Generation an jungen Bäumen.

 

Jetzt hast du eben beschrieben: Das hat einfach eine historische Brisanz, das gibt es schon immer, es hat eine lange Tradition. Wenn das aber nach und nach nachlässt und diese nächste Generation an Streuobstbäumen fehlt und vielleicht auch Menschen, die sich dafür einsetzen, die das bewirtschaften: Gerät dann auch das Wissen über Streuobst in Vergessenheit?

Ja, natürlich. Das Streuobst ist ein Begriff, der für viele Menschen erstmal schwer zuzuordnen ist. Es geht darum, dass die Bäume verstreut in der Landschaft stehen. Wenn ich jetzt eine Obstbaumwiese habe, ist das noch lange kein Streuobst, mal ganz altersunabhängig gesehen. Wir brauchen bestimmte Abstände, die Wiese muss auch noch zu managen sein. Das heißt, heute sind die technischen Hilfsmittel oder die Maschinen natürlich nicht mehr streuobstgerecht. Die sind auf Großflächen ausgelegt und somit ist eine Wiesenmad, was im Streuobst auch sehr, sehr wichtig ist, fast nicht mehr umsetzbar. Das sind oftmals kleinere Bauernbetriebe, die das noch machen oder das Heu dann auch noch selbst nutzen oder es gibt Pferdehalter, die da noch aktiv sind. Aber die Bewirtschaftung der Streuobstwiesen wird auch immer schwieriger heutzutage.

Blühende Bäume auf Streuobstwiese | ©Thomas Staab ©Thomas Staab
Viele Arten sind im Streuobst und im Baumholz aktiv.

Wann ist eine Streuobstwiese dann eine richtige Streuobstwiese? Welche Kriterien müssen erfüllt sein?

Man spricht von Maximum 100 Bäumen pro Hektar. Das ist in meinen Augen keine Streuobstwiesen mehr. Das geht schon Richtung Plantage, muss man ganz ehrlich gestehen. Ich würde sagen, zwei Hektar, 100 Bäume ist die absolute Grenze. Und dann reden wir natürlich von Hochstammobstbäumen, die einen Kronenansatz in 1,80 Meter Höhe haben. Das ist jetzt auf 1,60 Meter runtergenommen worden und das ist schon die Grenze, wo man überhaupt über Streuobst spricht.

 

Warum spielt diese Höhe eine Rolle? Was macht den Unterschied zwischen 1,80 und 1,60 Meter?

Ja gut, das ist so die Grenze. Je höher die Krone ist, sage ich mal, desto größer ist die ökologische Wertigkeit eines Baumes ab einem gewissen Alter. Wenn dann auch gewisse Alterserscheinungen eintreten, Baumhöhlen da sind, der Specht diesen Baum auch als Höhlenbaum akzeptiert, wo er seine Höhle anlegt. Es sind auch viele Arten im Streuobst und am Totholz aktiv. Da geht es nicht nur um die Vogelarten, die Höhlen brauchen. Da reden wir auch von ganz anderen Arten: Von Fledermäusen, die das nutzen oder von xylobionten Käfern, die am Xylobiont, am Holz, Totholz leben und das auch brauchen, um sich fortzupflanzen.

Nahaufnahme eines Steinkauz, der aus Baumhöhle schaut | © Roessner Rosl/ LBV Bildarchiv © Roessner Rosl/ LBV Bildarchiv
Der Steinkauz macht sich Baumhöhlen des Streuobstes zu Nutze.

 

In naturnahen Gärten raten wir immer dazu, nicht zu viel zu pflegen oder zu wirtschaften, sondern die Natur machen zu lassen, weil sie sich dann entfalten, entwickeln kann. Jetzt hast du vorhin gesagt, dass Streuobstwiesen eine gewisse Pflege brauchen. Warum ist es so wichtig Streuobstwiesen zu pflegen und zu bewirtschaften?

Zum einen möchte ich sagen, dass eine gewisse Unordnung auf einer Streuobstwiese dazu beiträgt, Artenvielfalt zu fördern. Das ist ganz klar. Man darf ruhig mal einen Reisighaufen liegen lassen oder ein paar Steine auf einem Haufen zusammensetzen. Eine Brombeerhecke darf auch mal stehen. Das macht Vielfalt aus. Ein Jungbaum ist schnell gepflanzt. Wenn man aber nicht gleich ansetzt ihn zu schneiden, ihn zu erziehen, wie das so schön heißt, dann wird man, was das Ergebnis betrifft, oft auf lange Sicht enttäuscht. Der Baum muss in seinem Wuchsstadium immer wieder neu betrachtet werden. Dazu gehört auch in der Umweltbildung Leute, Privatleute zu schulen oder ein Angebot zu schaffen, dass man das als Dienstleistung abrufen kann, um möglichst lange viel Freude an den Bäumen zu haben. Dazu gehört auch die Pflege der Wiese. Eine Streuobstwiese sollte schon mindestens einmal im Jahr zu einem gewissen Zeitpunkt gemäht werden, um sie zu ertüchtigen, um artenreiche Wiesen zu generieren. Das ist ganz wichtig, sonst verfilzt die Wiese irgendwann und verarmt in der Artenvielfalt. Eine schöne, gelbe Löwenzahnwiese zum Beispiel, das ist keine artenreiche Wiese, sondern verschiedene Gräser und Pflanzen müssen die Möglichkeit haben sich dort zu entwickeln. Und das wurde früher eben immer durch die extensive Nutzung einer Wiese aufrechterhalten. Das ist leider sehr in Vergessenheit geraten.

 

Ich hatte auch gerade den Gedanken, als du die Löwenzahnwiese beschrieben hast: Ich muss es ja auch irgendwie erkennen. Wenn ich Laie bin, freue ich mich vielleicht einfach über eine Löwenzahnwiese, weil sie schön bunt ist. Wenn da auch noch andere Pflanzen mit dabei sind, dann mache ich mir als Laie erstmal gar keine Gedanken, dass das vielleicht für die Artenvielfalt gar nicht ausreichend ist. Und dann ist es natürlich schade, wenn dieses Wissen nach und nach verloren geht.

Oftmals ist es die Gesamtlandschaft, die dann, ich sage mal, die Artenvielfalt aufrechterhält. Das ist nicht nur die Streuobstwiese allein. Das ist, ich sage mal, die Bebauungsgrenze, wo dann auch noch Gärten sind, vielleicht auch der Übergang in eine kleinflächige Landwirtschaft. Das ist so die Traum- und Optimal Vorstellung unserer Kulturlandschaft, mit ein paar Hecken dazwischen und, und, und. Deswegen lasse ich bei mir auf der Streuobstwiese gerne mal so einen Schnitt in Form von Ästen für ein paar Jahre liegen. Das ist ein schönes Element für den Winter, wo sich einige Arten aufhalten bis hin zum Feldhasen, der da drunter schlüpft oder der Igel findet eine Möglichkeit, auch verschiedene Vogelarten. Ich habe beispielsweise auf meiner Streuobstwiese einen Teich angelegt, weil diese Region dort oder die Umgebung sehr wenig Wasser aufweist. Das ist fantastisch, was dort im Laufe der Zeit alles zu beobachten ist. Es ist unglaublich, wie schnell die Natur solche kleinen Elemente aufnimmt und annimmt. Das zeigt, dass wir viel mehr Diversität in der Fläche brauchen. Das ist kein großes Hexenwerk; das ist einfach möglich und macht auch sehr viel Freude.

Nahaufnahme grüner Äpfel, die am Ast hängen |©Rudolf Wittmann/ LBV Bildarchiv ©Rudolf Wittmann/ LBV Bildarchiv
Äpfel von Streuobstwiesen lassen sich perfekt zu Apfelsaft verarbeiten.

Was mich noch interessiert: Wie unterscheidet sich denn die Bewirtschaftung von einer Streuobstwiese, die du gerade schon ein bisschen geschildert hast, von einem konventionellen Obstanbau auf einer Plantage, wirklich ganz großflächig, geradlinig? Wie ist da der Unterschied?

Auf einer Plantage hat man meistens die Niederstammobstbäume, um einfach und teilweise maschinengerecht zu bewirtschaften. Hier sind sehr wenige Arten, die dort noch ein Auskommen haben. Am ehesten die Arten, die am Boden noch Nahrung finden, wie der Grünspecht, wenn sich dort doch noch irgendeine Rasenameisenart ansiedelt. Oftmals werden dann noch Spritzmittel eingesetzt, um Schädlingen entgegenzuwirken. Da kann man nicht mehr von einer artenreichen Landschaft, von einem Habitat mit vielen Arten, sprechen. Das ist der Unterschied.

 

Wenn ich mir so eine großflächige Obstbaumplantage vorstelle, dann denke ich schon, dass sich dort mehr ernten lässt. Sind traditionelle Streuobstwiesen überhaupt rentabel? Lohnt sich das für die Bewirtschafter?

Ja, man unterschätzt das oftmals. Gerade die alten Bäume, die auf der einen Seite Totholz aufbieten, wo über die Jahre Äste abgestorben sind, die tragen immer noch sehr, sehr lange. Es sind die alten Sorten, die leider aus unserem Angebot verschwinden. Wer diese Unterschiede mal kostet, der legt wirklich viel mehr Wert darauf, dass man die alten Sorten erhält. Ich würde schon sagen, das rentiert sich, aber es ist natürlich eine andere Welt des Bewirtschaftens. Man muss schon ein bisschen Eigeninitiative mitbringen und Abstriche machen in der Effektivität, bei der Bewirtschaftung, das ist ganz klar. Mittlerweile gibt es Maschinen, die auch die alten Bäume rütteln. Das Auflesen ist natürlich sehr mühsam. Man muss größere Wege gehen als in Plantagen. Es ist ein bisschen anders, aber ich finde, in Anbetracht des Ergebnisses für den Menschen, also in Richtung Obsternte, ist es das immer noch wert, hier doch mal neu anzusetzen und neue Vermarktungsstrategien anzugehen.

 

Was ist denn das Besondere an diesen alten heimischen Sorten? Was unterscheidet die von irgendwelchen Supermarktsorten, sage ich mal?

Es gibt unterschiedliche Geschmacksrichtungen, unterschiedliche Lagerungsmöglichkeiten. Es gibt sehr frühreife Äpfel; es gibt Äpfel, die später reif werden, die sehr lange zu keltern sind oder zu lagern sind in Kellern oder zuhause in der Garage, wo auch immer. Und es gibt unterschiedliche Geschmacksrichtungen im Saft. Wenn man das weiß, kann man natürlich einen sortenreinen Apfelsaft produzieren und das ist wirklich eine Besonderheit. Ich habe das bei mir auf der Wiese schon geschafft mit fünf Bäumen, dann für den Apfelsaft nur einen Rambur-Apfel zu verwenden. Dann schmeckt man die Unterschiede raus, auch wenn ein gemischter Apfelsaft natürlich wieder ganz andere Nuancen mit sich bringt. Das ist fast wie beim Weinbau, dass man da neue Sorten zusammenstellt und dadurch den Verbraucher mal ein bisschen neu orientieren lässt: Was schmeckt mir eigentlich am besten am Apfelsaft? Die Apfelsäfte, die man heutzutage für wenig Geld bekommt, die kommen meistens von Konzentraten. Man muss sich das vorstellen: Oftmals kommt das Konzentrat, ohne jetzt ein Land zu nennen, aus Asien. Das muss wirklich nicht sein, wenn wir Streuobst ein bisschen mehr in den Fokus nehmen, dann muss es doch … wir fliegen auf den Mond … es muss doch möglich sein, hier auch diese Vermarktung des Streuobsts in guter Kombination zur Ökologie, im Einklang mit dem Naturschutz, besser auf den Markt zu bringen; vielleicht auch mal als Verbraucher ein bisschen mehr zu investieren. Der Verbraucher entscheidet im Endeffekt, das ist ganz klar.

 

Das wäre jetzt mein nächster Gedanke: Da schwingt viel mehr Genuss mit und ein Respekt gegenüber den Lebensmitteln, dass es einfach dauert bis die entstehen, bis die produziert werden. Würdest du sagen, es liegt letztendlich an den Verbrauchern, wie viel Geld sie zum Beispiel für einen Apfelsaft ausgeben?

Natürlich. Der Verbraucher entscheidet das, weil der Markt sich am Verbrauch beziehungsweise an der Orientierung des Kunden ausrichtet. Der Absatz muss gewährleistet sein. Es gibt viele Produkte, die man aus Streuobst machen kann, über Konfitüren, Gelee und so weiter. Trockenobst ist ein Thema, das viel zu wenig beachtet wird. Wir können uns im Supermarkt alle möglichen Sorten von Trockenobst kaufen. Hier könnte man viel größere Anteile aus den Streuobstprodukten ziehen und vermarkten.

Portrait Foto von Hartwig Brönner auf Streuobstwiese | © LBV © LBV
Hartwig Brönner ist seit 1998 im Vorstand der LBV Kreisgruppe.

 

Du bist Vorsitzender der LBV-Kreisgruppe Main-Spessart und ihr habt mit eurer Kreisgruppe auch eigene Streuobstwiesen. Wie genau engagiert ihr euch da? Wie sieht da eure aktive Arbeit aus?

Wir haben eine große Streuobstwiese mit 100 Bäumen auf zwei Hektar. Die ist noch nicht so alt, dass sie jetzt Baumhöhlen aufweist. Da helfen wir den Höhlenbrütern mit Nistkästen entgegen. Das ist die klassische Art Naturschutz zu betreiben. Aber da steckt natürlich viel, viel mehr dahinter. Wir müssen gerade dafür sorgen, dass diese Bäume, wie schon erwähnt, in einen Zustand kommen, wo sie uns Menschen möglichst viel Obst bringen und gleichzeitig muss der Naturschutz passen. Die Wiese gehört dazu. Wir haben dort einen Landwirt, der mit Schafen beweidet und zusätzlich nochmal eine Wiesenmad durchführt, so wie wir uns das vorstellen, wenn es wirklich positiv läuft.Wir haben diese Wiese jetzt seit 1998, glaube ich. Mein Vorgänger hat es eigentlich ganz klug eingefädelt. Der hat sich Streuobst-Paten angelacht, würde ich fast sagen. Er hat sich um Streuobst-Paten bemüht. Leute, die einen Obolus leisten und dafür ein, zwei, drei Bäume zugeordnet bekommen, die sie dann nutzen dürfen. Wir waren damals schon der Meinung, das wird irgendwann schwierig, weil du die Leute auch begeistern musst, damit sie die Bäume pflegen. Ansonsten bleibt die Arbeit bei wenigen in der Kreisgruppe hängen und ob wir das stemmen können, sei mal dahingestellt. Wir hatten riesige Schwierigkeiten ein vernünftiges Management aufzubauen. Momentan läuft es ganz gut. Wir haben in der Kreisgruppe auch drei, vier Leute, die sich um den Baumschnitt mit kümmern. Die haben Schulungen gemacht, sich ausbilden lassen, um vom Jungbaum bis zum ganz alten Baum die Schnitte und die Pflege zu beherrschen und die teilweise sogar schon Sorten bestimmen können. So haben wir auf der Schiene ein vernünftiges Management mit eingebracht.

 

Du bist bereits seit 1998 im Vorstand dieser LBV-Kreisgruppe. Warum engagierst du dich schon seit so vielen Jahren für den Naturschutz?

Ich bin eigentlich Techniker von Beruf aus gewesen, jetzt Rentner, habe Maschinenbau studiert und war lange Jahre im Maschinenbau tätig. Aber ich bin als Kind schon zwangsläufig an die Natur herangeführt worden und habe mich auch immer selbst für die Natur sehr interessiert. Wenn ich da mal aushole in meine Kindheit: Wir hatten einen kleinen Familienbetrieb, eine kleine Sandgrube, wo Sand gesiebt und verkauft worden ist. Da bist du als Kind schon eingespannt, als Jugendlicher und hilfst mit. Wenn ein bisschen Wasser dabei ist, bist du unmittelbar auch umgeben von Eisvogel, Flussregenpfeifer und Uferschwalbe. Du saugst das in der Kindheit schon auf. Und mein Großvater hat sich schon für Waldvögel interessiert, hat die aber in Volieren gehalten. So kommt man in den Genuss, mit den entsprechenden Arten direkt in Kontakt zu treten. So hat sich das Interesse bei mir intensiviert. Dann hatte ich in meiner Jugendzeit schon immer mal wieder etwas vom LBV gehört, bin aber doch erst 1978 in den LBV eingetreten; das ist schon 45 Jahre her. Damals war ich noch nicht aktiv, habe aber an Veranstaltungen teilgenommen, beispielweise an Vogelstimmen-Wanderungen und habe mich da weitergebildet. Das hat mich immer interessiert.

 

Du hast mir auch erzählt, dass du viele Vogel-Exkursionen anbietest, weil du einfach ein unfassbar großes Wissen an Vogelarten und Vogelstimmen hast. Das finde ich sehr schön an der Vogelwelt: Es gibt einfach keinen Anfang und kein Ende. Es gibt so viele Arten, so viele Lebensräume. Hast du da trotzdem eine Vogelart, wo du sagst, die ist eigentlich mein Liebling, die fasziniert mich am meisten?

Ja, das ist eine Vogelart, die hier bei uns immer mehr in Mitleidenschaft gerät: Der Bluthänfling ist mein Lieblingsvogel. Schon als Kind, als Jugendlicher hat mich dieser Vogel fasziniert. Die Leute fragen mich immer, warum das so ist. Ich habe jetzt keine besondere Begegnung. Es gibt andere Arten, wo ich wirklich besondere Begegnungen darstellen könnte, aber der Bluthänfling hat mich irgendwie immer fasziniert. Die Finkenvögel allgemein, Stieglitz, Dompfaff, so diese Arten waren meine Jugend- und Kindheitsarten, die mich immer angesprochen haben. Und der Bluthänfling hat einen, für mich persönlich, ganz besonderen Gesang [Audio Bluthänfling]; ein sehr wohlklingender, vielfältiger Gesang, ein paar klagende Laute sind dabei und das hat mich bei dem Vogel so beeindruckt; natürlich auch die Färbung des Männchens mit den Rotanteilen. Eine große Freude, wenn ich heute die Bluthänflinge beobachten darf.Leider sind die auch etwas rückläufig. Das hängt mit den Lebensräumen zusammen. Er braucht sehr dichte Hecken. Sehr gerne kommt er bei uns in Wacholderheiden vor. Beispielsweise konnte ich erst gestern wieder einige Paare beobachten. Aber er braucht Nahrung und da ist er in der Krautschicht unterwegs, er frisst gerne einfach Wildkräuterarten, wie Hirtentäschel. Das hat es früher auf jedem Friedhof bei uns gegeben, an jedem Grabesrand standen diese Unkräuter, in Anführungszeichen. Heute ist alles bereinigt, alles glatt gemacht, und da leiden natürlich solche Arten darunter.

 

Um nochmal zu den Streuobstwiesen zurückzukommen: Im Oktober 2021 hat die bayerische Staatsregierung gemeinsam mit Verbänden aus Naturschutz, Landwirtschaft und Wirtschaft den bayerischen Streuobstpakt unterzeichnet. Das gemeinsame Ziel dieses Paktes ist es, die derzeitigen Streuobstwiesen zu erhalten, aber auch bis 2035 1.000.000 neue Obstbäume zu pflanzen. Wie kam es dazu, dass sich so viele, unterschiedliche Akteure, für Streuobst zusammengeschlossen haben?

Erstmal ist das ein Ergebnis unseres sehr erfolgreichen Bürgerbegehrens „Rettet die Bienen”. Das muss man mal klar an dieser Stelle erwähnen, ein sehr schöner Erfolg. Man hat in der Staatsregierung auch die Möglichkeiten aufgenommen, die man jetzt ansetzen sollte, um dieses Bürgerbegehren in vernünftiger Art und Weise umzusetzen. Und Streuobst war von Anfang an ein großes Thema im Arbeitskreis.Jetzt geht es darum, das umzusetzen. Und das lief schon ganz gut los. Ich meine, einfach mal zu sagen, wir pflanzen 1.000.000 Bäume in die Landschaft, ist ganz schön, aber da kriegen wir noch lange kein Streuobst in die Fläche. Das ist wichtig, das immer wieder anzumahnen. Natürlich versuchen wir erstmal das Positive zu bewerten. Auch die dreistellige Millionenzahl, also im 100-Faktor, die da genannt wurde ist erstmal ganz schön und da muss man mal gucken, wie man das vernünftig in die Fläche kriegt.Gut angelaufen ist, dass jetzt mehr hauptamtliche Kräfte in den Behörden sitzen, die versuchen, das Ganze anzutreiben, zu managen. Wir sind im Naturschutz, und das geht runter bis zum ehrenamtlichen Naturschutz, auf jeden Fall in der Pflicht, da mitzuhelfen, anzuschieben. Wie gesagt, wir brauchen neue Generationen im Streuobst, was die Bäume betrifft. Aber wir brauchen grundsätzlich ein neues Bewusstsein für dieses Kulturland und für dieses Habitat, diesen Lebensraum Streuobst. Da bietet diese Plattform eine sehr gute Basis.

Streuobstwiese mit Schnee bedeckt | ©Dr. Eberhard Pfeuffer/ LBV Bildarchiv ©Dr. Eberhard Pfeuffer/ LBV Bildarchiv
Die Schönheit einer Streuobstwiese lässt sich auch ganzjährig genießen.

Was fasziniert dich persönlich so an Streuobst? Oder was möchtest du unseren Hörer*innen noch mitgeben, warum man das wieder mehr schätzen sollte?

Man sollte das mit allen Sinnen genießen. Man sollte erstmal rausgehen. Jetzt ist die beste Zeit Anfang Mai, jetzt blühen die Bäume. Es gibt im Moment fast kein schöneres Landschaftsbild als diese Streuobstwiesen in voller Blüte. Und bitte auch die Akustik genießen, den Gesang. Das dauert jetzt noch ein Weilchen, bis in den Juni, Juli, bis es dann etwas abebbt. Man kann das auch ganzheitlich genießen: Eine Streuobstwiese im Schnee beispielsweise ist auch sehr, sehr ästhetisch.Und wer eine Streuobstwiese hat oder wer Bekannte mit einer Streuobstwiese hat, es rentiert sich auch wirklich, eine Vogelfutterstelle, Winterfutterstelle im Streuobst einzurichten. Das ist ein bisschen anders als direkt in der Stadt oder im Ort, weil dann oftmals auch der Wald oder andere Landschaften nicht so weit weg sind. Und ich muss sagen, ich habe bei mir auf meiner Streuobstwiese auch eine sehr große Futterstelle und kann mich noch an sehr vielen Arten erfreuen, die man bei uns im Umfeld eigentlich gar nicht mehr so oft sieht.Streuobst ist ganzjährig ein Genuss, unabhängig von dem, was wir verkosten können. Ich empfehle natürlich und fordere auch die Gesellschaft auf, das mit zu unterstützen. Das kann man ganz einfach, indem man den Bio-Bauern vor Ort, den Vermarkter von Streuobstprodukten unterstützt, indem man die Produkte kauft und das auch weiterempfiehlt.

 

Dann würde ich sagen: Schuhe anziehen, raus auf die Streuobstwiese und danach am besten in den Biomarkt und sich einen leckeren Apfelsaft holen.

Unbedingt. Ein Gewinn für alle und nicht zuletzt für die Natur.

 

Vielen Dank für dieses schöne Gespräch.

Danke auch von meiner Seite, hat mir sehr gefallen. Dankeschön.

 

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„Wenn die Natur zum Tatort wird”: In der kommenden Folge von “Ausgeflogen” spreche ich mit einem Experten über Verbrechen gegen Tiere und Natur. Seid gespannt und bis zum nächsten Mal.

Antworten auf die häufigsten Fragen zu Streuobst finden Sie hier.

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