Weißstorch: eine bayerische Erfolgsgeschichte?

23. Folge vom LBV-Podcast "Ausgeflogen"

Oda Wieding | © Nina Meier © Nina Meier
Zu Gast im Podcast: Oda Wieding

Herzlich Willkommen zu “Ausgeflogen - der LBV-Podcast". Ich bin Stefanie Bernhardt vom LBV und war für euch wieder unterwegs im ältesten Naturschutzverband Bayerns. Heute geht es um einen wahren Frühlingsboten, den Weißstorch. Wir haben die Storchen-Expertin schlechthin zu Gast. Seit knapp 30 Jahren engagiert sich Oda Wieding für diese Vogelart und kennt so gut wie jeden Storch in Bayern beim Vornamen. Was diesen Vogel so besonders macht, erfahrt ihr jetzt. Wenn ihr den LBV-Podcast regelmäßig hört und ihr gerne etwas zurückgeben möchtet, geht das ganz einfach: Abonniert “Ausgeflogen” bei dem Podcast-Anbieter eurer Wahl und bewertet ihn gerne bei Spotify oder iTunes. Das hilft uns, sichtbar zu sein und noch mehr Menschen für den Naturschutz zu begeistern.

Stefanie Bernhardt: Hallo Oda, sehr schön, dass du heute zu Gast bist bei uns im LBV-Podcast “Ausgeflogen”.

Oda Wieding: Hallo, vielen Dank für die Einladung.

 

Sehr gerne. Es klappert wieder von Bayerns Dächern. Der Weißstorch ist aus dem Süden zurückgekehrt. Bei mir in der Stadt hat auch schon ein Storchenpaar wieder das Nest auf der Kirche erobert und beginnt mit dem Nisten und der Brut. Wie entsteht denn eigentlich dieses charakteristische Klappern, was man jetzt überall in Bayern wieder hören kann?

Störche können, anders als andere Vogelarten, nicht richtig singen und darum verständigen sich die Störche, indem sie ihren Schnabel aufeinander hauen, sozusagen einfach beide Schnabelhälften zusammen, ja, klappern lassen. Sie können auch Fauchen. Das hat man noch als zusätzliche Möglichkeit, sich zu unterhalten.

 

Und was hat es für einen Zweck? Warum machen die das überhaupt?

Alle Vogelarten kommunizieren miteinander. Der schöne Gesang der Amsel ist eigentlich auch nur Revierkampf: „Das ist mein Platz! Geh weg! Und ich bin der Tollste! Hallo, ihr tollen Amsel-Weibchen!” Und das machen die Störche auch. Es dient sowohl dem Revierabgrenzen „Das ist mein Nest!” oder auch „Hier in dem Dorf bitte kein zweites Nest.”, aber auch zur Begrüßung des Partners/der Partnerin und das bleibt dann eigentlich auch während des ganzen Sommers, dass die sich immer wieder begrüßen, wenn einer angeflogen kommt.

 

Jetzt sagt man ja auch, dass der Klapperstorch die Kinder bringt. Weißt du denn, woher diese Legende stammt?

Das ist immer wieder nett. Der Storch ist ja eine der Vogelarten, die den Menschen schon immer begleitet haben. Und wir Menschen neigen natürlich dazu, unsere Kultur und Geschichten mit unserer Umgebung zu verweben, mit der Natur draußen; früher noch stärker als heutzutage. Das geht leider ein bisschen unter. Und der Storch ist als großer Vogel einfach viel besser sichtbar als kleine Vögel und weil er unsere Gebäude zum Nisten nutzt, ist er uns auch sehr nahe.
Und ein Faktor ist sicherlich, dass er im Frühjahr angeflogen kommt und im Frühjahr beginnt ja sozusagen das Leben wieder zu sprießen, die Fruchtbarkeit geht los. Für viele ist das etwas sehr Positives, das mit Gesundheit zu tun hat. Dann hat man den Störchen alles Mögliche angedichtet; Gerichtsbarkeit, Ehe und eben auch das Kinderbringen.

 

Der Weißstorch ist ja eigentlich auch unverwechselbar. Er ist sehr groß, er hat seinen roten und langen Schnabel, die roten Beine. Er ist überwiegend weiß, hat aber dann diese schwarzen Schwungfedern. Der Weißstorch hat eine Flügelspannweite von bis zu zwei Metern und so segelt er dann ganz entspannt durch die Luft. Ich kann es auch bei mir zu Hause ganz oft beobachten. Wie genau funktioniert denn das Fliegen bei dieser Art, beim Storch?

Man merkt, dass die Vögel einen unterschiedlichen Körperbau haben. Manche flattern und Störche und andere Großvögel haben dann diese langen und breiten Flügel, mit denen sie gut in der Luft liegen können. Sie machen das schon, wenn sie zur Nahrungssuche fliegen, dass sie sich von ihrem hochgelegenen Nest einfach nur in die Luft werfen und dann da einen Großteil gleiten können. Und auf dem Zug ins Winterquartier nutzen sie das auch. Sie suchen sich Thermikschläuche, also Warmluft, die aufsteigt. Wenn sich in der Sonne ein Waldstück schneller erwärmt als die umliegende Wiese, dann entsteht diese Differenz, die dann zum Aufsteigen der Luft führt. Da kreisen sie sich hoch und dann gleiten sie eine lange Strecke; die kann unterschiedlich sein, aber das sind sicher, weiß ich jetzt nicht auswendig, mehrere hundert Meter, ein paar Kilometer, das kann im Einzelfall sicher unterschiedlich sein.

 

Weißstorch mit erbeuteter Maus im Schnabel in grüner Wiese | © S. Muthsam © S. Muthsam
Dieser Weißstorch hat auf einer Wiesenfläche eine Maus erbeutet.

In welchen Lebensräumen ist der Weißstorch denn zu Hause?

Störche lieben die großen, breiten Talauen mit viel Wiesenfläche. Da hat der Mensch ja die Landschaft seit Jahrtausenden verändert, überprägt. Wir nennen es Kulturlandschaft und der Storch hat sich angepasst. Da, wo wenige Bäume sind, nutzt er dann unsere Siedlungen für seine Nester und kann auf den von uns angelegten Wiesen und Feuchtbereichen, teilweise auch auf Äckern, gezielt seine Nahrungstiere suchen.

 

1984 hat der LBV das Artenhilfsprogramm für den Weißstorch in Bayern gestartet. Wie ist es denn dazu gekommen bzw. wie ging es denn damals dem Weißstorch?

Weil der Storch eine Vogelart ist, die schon immer unter der Beobachtung stand, hat man früher auch schon mal gezählt. Da gibt es Daten aus dem Jahr 1900 und über die Kriegszeiten hinweg und man merkte, dass die Zahlen immer weiter zurückgehen. Bis in die 60er-, 70er-Jahre hinein wurden die Störche immer weniger und die Leute fingen an, Angst zu bekommen, dass der Storch bis zum Jahr 2000 ausgestorben ist.
Und dann hat das Landesamt für Umwelt zusammen mit dem Umweltministerium beschlossen: Da müssen wir etwas tun. Die kümmern sich ja gezielt um gefährdete Arten. Und dann wurde ein Gutachten erstellt. Über drei Jahre wurde der Bestand gezählt, 1980 bis 1982. Dann hat es noch eine Zeit lang gedauert, bis die Entscheidung gefallen ist: Wir müssen etwas unternehmen. Und dann kam es eben dazu, dass gemeinsam dieses Artenhilfsprogramm ins Leben gerufen wurde, das der LBV jetzt im Auftrag vom Landesamt für Umwelt durchgeführt hat.

 

Und woran lag das, dass die Situation damals so krass war? Welchen Gefahren war er ausgesetzt?

Es gibt viele Faktoren, die sich dann auch immer ungünstig kombinieren. Der Mensch hat ja letztes Jahrhundert erst mit der Drainage von Feuchtflächen angefangen, auch die großen Flüsse wurden begradigt. Dann wurden die Maschinen immer größer. Früher machten Pferd und Pflug auf dem Acker nicht viel aus, aber wenn der Traktor mit 40 km/h über die plattgewalzte Wiese brettert, weil die EU-Vorgaben so sind; also das ist jetzt nicht Schuld der Landwirte, oder so. Es ist die Menschheit, die die Landschaft einfach überprägt, gemeinsam, alle miteinander. Und dann natürlich auch die Erfindung von Kunstdünger, um die Flächen noch stärker nur für uns, unsere Lebensmittel zu optimieren und auch gleichzeitig Pestizide, um alles, was den Menschen das Essen wegnimmt, auszurotten. Das sind die Faktoren, die auf der Nahrungsfläche zusammenkommen.
Wir haben auch viel mehr Flächen überbaut, unsere Siedlungen sind gewachsen, jedes Gewerbegebiet, alles kommt in die Talauen, weil die Wiese ein bisschen weniger wert ist als der Acker, zumindest aus unserer menschlichen Sicht. Und dazu kommen weitere Faktoren: Wir haben Stromnetze ausgebaut mit gefährlichen Masten, wir haben andere Gefährdungsfaktoren auf dem Zug. In Afrika war es lange trocken. Wenn dann die Heuschreckenschwärme ausbleiben, dann verhungern die Störche dort. Dann gibt es Müllkippen und Kläranlagen und ja, viele Möglichkeiten, wo ein Vogel zu Tode kommen kann.

 

Was genau ist das Problem bei den Stromnetzen?

Je mehr ausgebaut wird, desto mehr Leitungen sind auch über Land. Und wenn da Masten angebracht werden, also Masten aufgestellt werden, wo ein Vogel die Möglichkeit hat, eine der zwei Leitungen zu berühren und sich einen Kurzschluss zu holen oder zwischen Leitung und Masten einen Erdschluss herzustellen, dann ist er natürlich ruckzuck tot. Das ist etwas, was ja auch nicht gelernt werden kann. Bei anderen Gefährdungsursachen geht das: Kommt ein bellender Hund und ich fliege rechtzeitig weg, dann habe ich das gelernt, dann kann ich überleben. Manche Todesarten können aber eben nicht vom Altvogel auf den Jungvogel als Gefährdung weitergegeben werden. Die sind jetzt zum Glück ja alle gesichert, fast alle. Einzelne Ausnahmen gibt es natürlich immer mal, aber das haben wir in den Ländern, wo der Storch auf dem Durchzug, auf dem Zug durchkommt.

 

Du arbeitest jetzt bereits seit 1995 beim LBV und bist im Weißstorchenschutz aktiv und unsere, ja, die bayerische Weißstorchen-Expertin. Jetzt machst du es aber natürlich nicht alleine, sondern dich unterstützen 350 ehrenamtliche Horstbetreuer*innen, in ganz Bayern verteilt, die dann direkt vor Ort etwas für diese Vogelart tun. Was genau machen sie denn da?

Ja, das ist was ganz, ganz Wertvolles und Wichtiges. Und das ist ja auch unglaublich schön, sich da mit irgendetwas, das einem gefällt, für die Natur einsetzen zu können. Das war eine ganz wichtige Voraussetzung für das Schutzprogramm für die Störche, dass wir möglichst an jedem Nest oder an jeder Gemeinde jemanden haben, der guckt. Nur dann kann man ja einen Bestand zählen, wenn viele Leute zusammenhelfen und mitzählen und einfach die Daten melden. Und das ist eine wichtige Aufgabe, schauen, wann kommen die Störche, sind es die gleichen wie vorher, wenn sie zum Beispiel Ringe am Bein haben, sonst kann man es nicht genau wissen. Und dann kann man natürlich noch weiter erfassen: Brutbeginn, Anzahl der Jungen, die flügge werden, Abflugsdaten.
Und eine andere wichtige Funktion ist, den Kontakt vor Ort zu halten, auch zu schauen, wird vielleicht die Nisthilfe gerade alt und bröckelig oder bekomme ich mit, dass eine neue Ortsumgehung geplant ist? Dann kann ich beim Bürgermeister einfach kurz den Finger heben: Habt ihr daran gedacht, dass das die Storchenwiese ist? Diese Kontakte vor Ort nutzen, das ist auch etwas, was vielerorts helfen kann, damit wir zum einen die Störche und mit dem Storch natürlich alle anderen Vogelarten, die auf dieser Wiese vorkommen, schützen; sei es ein Wiesenpieper, Braunkehlchen, die schon kaum noch da sind, auch Kiebitze und die ganzen anderen, gerade auch Insekten. Wer kennt schon noch unsere ganzen verschiedenen Insektenarten?

 

Wie hat sich denn dann die Situation des Weißstorchs durch das Artenhilfsprogramm verändert?

Wir haben anfangs wirklich auch Gelder bekommen für Maßnahmen, sowohl vereinzelt um Nisthilfen zu sanieren oder neu anzulegen, aber eben auch für Maßnahmen auf der Fläche. Wir haben Tümpel angelegt, wir haben Gräben aufgeweitet, wir haben mit Landwirten teilweise gezielt Pachtverträge abgeschlossen, damit sie ihre Flächen anders bewirtschaften. Weil sie dann aber weniger Ertrag bringen, bekommen die Landwirte das ausgeglichen. Und wir haben natürlich auch versucht, die Landwirte anzuregen, dass sie die vorhandenen Programme nutzen, also Vertragsnaturschutzprogramm, Landschaftspflegeprogramme. Das ist sicher ein Stück weit ein Beitrag gewesen, dass der Storch wieder zunimmt, aber natürlich sind es viele Faktoren, die Einfluss nehmen auf so einen Bestand. Verbesserungen auf dem Zug und im Winterquartier, das sind natürlich auch wichtige Faktoren.

 

Wie viele Storchenpaare gibt es denn jetzt dann mittlerweile wieder in Bayern?

Nach einem Tiefststand in den 80er-Jahren mit weniger als 60 Brutpaaren, ist der Bestand dann erst ganz langsam angestiegen. Um die Jahrtausendwende waren wir dann schon froh, dass wir über 100 Storchenpaare hatten und haben immer noch geglaubt, die 250 von Anfang des Jahrhunderts, also 1900, werden wir nie wieder erreichen. Und dann sind wir recht schnell eines Besseren belehrt worden und staunen jetzt immer noch. Wir sind jetzt schon bei weit über 1000 Storchenpaaren.
Ja, und da ist es jetzt tatsächlich ein bisschen mehr Arbeit. Unsere Ehrenamtlichen sind froh, wenn sie Unterstützung kriegen. Also wer Lust hat, auch mit Störche zu zählen, gerne melden. Wir müssen auch gucken, dass wir überhaupt alle erfasst kriegen. Also wer ein Storchennest sieht, das noch nicht auf unsere Karte ist, gerne auch melden.

 

Falls ihr keine Störche bei euch vor Ort habt: Der LBV hat mehrere Webcams. Man kann dann auch online Störche beobachten. Was hältst du denn davon, dass man so online am Storchenglück teilhaben kann?

Ja, das bietet, wie bei allen Webcams, ganz faszinierende Einblicke in die Natur, wie das Leben bei einzelnen Vogelarten ist, egal ob im Kasten oder beim Wanderfalken oder eben ganz oben auf dem Turm beim Weißstorch. Und es ist vor allem Umweltbildung. Wir sehen, wie sie sich verhalten, dass kleine Babystörche schon ab dem ersten Tag auch klappern; es klappert vielleicht noch nicht so, aber sie tun so als ob. Sie betteln ihre Altvögel an, nur dann kriegen sie Futter, sonst kriegen sie keins. Ein kranker Jungvogel wird dann von den Altvögeln auch aussortiert. Die halten ihr Nest sauber. Die sagen, lieber zwei Jungvögel gut durchfüttern als drei kranke; das ist Natur. Man schaut dann schon auch manchmal zu, wie etwas Unschönes passiert.
Es gibt ja den Spruch “Natur ist grausam” und das ist dann eben kein Grund zum Eingreifen. Das sollten wir uns alle klar machen. Eine Webcam dient nicht dazu, zu überwachen und dann rumzutüdeln und die Störche wie Haustiere zu behandeln, sondern wir dürfen Zuschauer sein und greifen nur in schlimmen Fällen ein, wenn sich ein Jungstorch zum Beispiel in landwirtschaftliches Bindegarn verheddert hat, dann kann man den mal runterholen. Aber wenn die Nahrung nicht reicht, das ist Natur; wenn die bei Regen nass werden, das ist Natur. Die Altstörche schirmen ihre Jungen ab, aber das kommt bei jedem großen Regenguss vor, dass dann mal nicht alle überleben.

 

Ihr seid Storchenfans und wollt dem Weißstorch in eurer Umgebung helfen? Dann könnt ihr ganz einfach LBV-Storchenpate werden. Als Pate könnt ihr viel bewegen, um diese Vogelart langfristig zu schützen. Dank eures Beitrags kann der LBV Lebensräume wie Flussauen und Feuchtwiesen für den Storch und für viele andere Vögel erhalten. Außerdem bekommt ihr als Pate viermal im Jahr das LBV magazin direkt nach Hause geschickt. Alle Infos zur Storchenpatenschaft findet ihr hier.

 

Jetzt hast du vorhin schon angesprochen, dass immer mehr Störche im Siedlungsraum bei uns in den Städten nisten. Gerade neue Brutpaare lassen sich vielleicht auch mal an problematischen Orten nieder, also zum Beispiel auf einem Kamin oder auf einer Photovoltaikanlage. Es gibt auch, ich nenne es mal Extrembeispiele, in Bayern. Im mittelfränkischen Uehllfeld sind es mittlerweile 50 Storchennester in der kleinen Stadt. Kann es vielleicht sein, dass, jetzt wo wir immer mehr Störche haben, der Weißstorch zunehmend Probleme macht?

Das ist tatsächlich der Fall, dass wir jetzt so viele Störche haben, dass es vereinzelt wirklich dann auch dazu führt, dass Ärger entsteht, wenn ein Storch einen beheizten Kamin zubaut und dann auch wirklich Gefahr im Verzug sein kann, wenn die Abgase nicht nach oben abziehen können. Und ja, die Funktion einer Solaranlage ist recht schnell beeinträchtigt, wenn eines von diesen Panels zugeschissen ist; dann sinkt ja, glaube ich, der Ertrag der gesamten Anlage.
Für solche Fälle versuchen wir dann auch da zu sein, indem wir beraten, indem wir versuchen, Kontakte zu knüpfen, indem wir Hausbesitzer entsprechend unterstützen, mit dem Bemühen um Ausgleich oder eben sagen, hier ist wirklich eine ernsthafte Gefährdung da. Und dafür gibt es ja auch Ausnahmen im Naturschutzgesetz. Da wird auch keiner alleine gelassen. Man muss sich kurz bei der Naturschutzbehörde melden, einen Antrag auf Genehmigung stellen und dann wird, wenn es nicht nur der Dreck ist, der einen stört, sondern ein ernsthaftes Problem ist, einem das ja auch gestattet, dass man das Nest versetzt. Oder auf dem Kamin kann man ja auch ein Gestell anbringen, sodass der Storch höher sitzt. Dann zieht der Rauch ab und der Storch hat auch noch eine Fußbodenheizung. Es gibt viele mögliche Kompromisse; man muss sie nur suchen und da versuchen wir zu beraten und zu unterstützen.

 

Und in welchen Fällen muss dann ein Nest wirklich doch entfernt werden?

Wie gesagt, wenn es wirklich eine Gefährdung für Menschen darstellt oder mal eine Nisthilfe runterkommt oder durch einen Sturm schief geworden ist, dann muss man auch mal während der Brutzeit eingreifen. Das kann passieren. Wir haben ja auch Verkehrssicherungspflicht. In anderen Fällen, sagen wir, na gut, die runterfallenden Äste, die sind lästig, im Schneefanggitter, in der Regenrinne, aber das ist kein echter Grund, den Storch wegzumachen. Ein bisschen gehört Natur einfach auch in die Stadt rein. Wir haben ja auch Bäume, deren Laub uns manchmal stört und da wäre es dann auch schön, wenn die Gemeinden einzelne Bürger vielleicht auch unterstützen könnten.

 

Ich habe früher immer gelernt, dass der Storch im Winter nach Afrika fliegt. Mittlerweile trifft es aber nicht mehr auf alle Störche zu. Wohin ziehen denn die Weißstörche, wenn es bei uns kälter wird?

Ein Großteil zieht tatsächlich noch nach Afrika, entweder links oder rechts ums Mittelmeer herum, weil über dem Wasser keine Thermik ist. In Bayern haben wir tatsächlich beides, also sowohl Störche, die nach Westen abziehen, über Spanien und Gibraltar nach Westafrika, als auch solche, die ums Mittelmeer im Osten herumfliegen, an Israel vorbei, Ägypten und dann auch nach Nordafrika, Nordostafrika, in die Sahelzone; da können die sich theoretisch auch treffen. Im Osten können sie auch wirklich bis in den Süden noch ziehen, da haben wir auch immer noch Vögel, die teilweise bis Südafrika ziehen.
Aber von den Westziehern bleibt mittlerweile ein Großteil einfach in Spanien. Das ist letztendlich ein ganz natürliches Verhalten. In Afrika würden sie auch den Heuschreckenschwärmen folgen und wenn die Nahrung knapp wird, ziehen sie weiter. Wenn jetzt unterwegs schon genug Nahrung da ist und einfach rumliegt, wie auf unseren Müllkippen, haben sie keinen Grund dazu. Es ist ja unglaublich, was wir Menschen alles wegschmeißen. Warum sollten die Störche dann weiterziehen? Und dann hat der Mensch in den 80er-Jahren auch angefangen in Spanien Reis anzubauen. Es sind große Flächen mit Gräben vernässt worden, da sind kleine Insekten drin. Da ist einfach genug Nahrung da und darum sparen die sich den anstrengenden Flug; der ist auch gefährlich. Und dann haben wir jetzt mehr Vögel, die schneller zu uns zurückkehren.
Und dann haben wir natürlich auch noch andere Länder gehabt, in unserer Umgebung, in der Schweiz, im Elsass, wo die Störche in den 60er-, 70er- Jahre fast ganz ausgestorben waren, bis auf einzelne Vögel. Die haben gefangen zu züchten und wieder auszusetzen. Das hat man ja mit vielen Vogelarten schon mal probiert. Häufig denken wir Menschen nicht an alle Faktoren. Langfristig vorausdenken liegt uns nicht so und an alles denken, was ein Tier vielleicht braucht, liegt uns manchmal auch nicht so. Bei diesen Wiederansiedlungsprojekten war es dann so, dass Störche ja erst mit zwei, drei Jahren geschlechtsreif werden. Wenn man die also nachzüchtet, möchte man natürlich auch, dass die dann wirklich auch hier das Brüten anfangen. Also hat man sie behalten, drei Jahre eingesperrt und dann haben die gelernt, hier zu bleiben. Als sie dann ausgesetzt wurden, hatte man ihnen diesen Zugtrieb, der angeboren ist, regelrecht abtrainiert. Und die ersten Vögel, die bei uns angefangen haben zu überwintern, die hatten alle Ringe aus der Schweiz oder aus Frankreich. Und da haben wir gemerkt, ok diese dort ausgewilderten Vögel bleiben nicht nur dort, wo man sie haben will, sondern kommen auch zu uns rüber ins schöne Bayern. Ansonsten waren die ja recht normal, also haben sich einigermaßen normal verhalten bei der Brut und haben sich dann ja auch mit ihrem Verhalten unter den Wildstörchen ausgebreitet, sich mit Wildstörchen verpaart. Und wenn dann ein Vogel im Herbst nicht abfliegt, dann lernt der Partner von dem „Naja, wenn du nicht fliegst, ok, stimmt, wir haben noch ein bisschen Zeit, es ist noch nicht so kalt.“ Die gucken sich das richtig voneinander ab. Jetzt haben wir relativ viele normale Störche, die auch im Winter hier bleiben.

 

Schätzt du das dann als problematisch ein, dass man damals Störche gezüchtet hat und dann erst so spät ausgewildert hat?

Wenn der Mensch zu viel eingreift und zu viel Verhalten ändert, dann kann es in Einzelfällen schon dazu kommen, dass es für den Wildbestand problematisch ist. Wir hatten Vögel, die durchgehend gefüttert wurden, die auch im Sommer gefüttert wurden, die waren regelrecht zu faul zur Nahrungssuche. Die haben dann angefangen, ihre Küken mit Eintagsküken zu füttern. Und ein kleines Storchenküken ist ja kaum größer als ein Eintagsküken, das kann das nicht fressen und dann ist die Brut kaputt gegangen. Dann sind sie am Nachbarnest stören gegangen. Also das kann schon auch einen negativen Einfluss auf den Wildbestand haben. Wir sollten wirklich die Finger davon lassen, unsere Natur noch weiter beeinflussen zu wollen.
Dieses veränderte Zugverhalten ist jetzt wahrscheinlich kein großer Schaden in dem Sinne, dass die bei uns überwintern; sie kommen ja durch den Winter. Und wir sehen sogar auch, dass Störche weiterhin abfliegen, wenn es hier kalt wird; wir nennen sie dann Winterflüchter. Das haben wir oft. Bei uns kommt ja meistens Anfang Dezember das erste Mal eine Schneefront; dann ziehen viele Störche weg. Oder auch, wenn im Januar nochmal die Kältefront kommt, gehen manche Störche erst los Richtung Westen, teilweise nur rüber zum Bodensee, ins Rheintal. Dann warten sie da nur ein paar Wochen ab, manchmal einfach nur sechs, sieben, acht Wochen und kommen dann Anfang, Mitte Februar schon wieder zu uns rüber.

 

Jetzt hast du vorhin auch ganz kurz diesen Zugtrieb erwähnt. Wie wissen die Vögel denn eigentlich, wann die richtige Zeit ist, sich auf den Weg zu machen?

Wir wissen bei vielen Vogelarten, dass sie sich auch nach der Tageslichtlänge richten, auch im Winterquartier, damit sie wissen, wann es Zeit ist, wieder nach Norden zu fliegen, denn da ist es ja warm. Die können dort ja nicht sehen, ob bei uns noch Winter ist oder nicht. Und so ist es auch im Spätsommer, in den Herbst hinein; da werden die Tage ja auch schon kürzer. Diese Zugunruhe ist auch angeboren und die Jungvögel wissen „Ok, wir müssen uns jetzt so langsam auf den Weg machen.“ Es kommt dann dazu, dass sich richtige Trupps bilden, dass sie, wenn sie in den Talauen ihre Übungsflüge machen, merken: „Ach, da stehen schon ein paar Störche auf der Wiese. Da stelle ich mich mal dazu.“
Und dann hat man auch Experimente mit Jungstörchen gemacht. Wenn man die alleine auf den Weg schickt, also sie irgendwo hin verfrachtet, wo sie keinen Anschluss haben, wo keine anderen Störche vorkommen, dann fliegen die zwar ungefähr nach Süden, aber die können sich total verfliegen, aufs Meer hinaus oder sonst wie. Also die wissen, sie müssen ungefähr nach Süden, aber sie lernen von den Altvögeln, wo sie hin müssen, wo gute Plätze zum Rasten sind, wo es gute Thermikschläuche gibt, an welchen Flussläufen oder Bergrücken man sich orientieren kann. Man merkt richtig, dass die auch voneinander abschauen.

 

Seit 2014 stattet der LBV gemeinsam mit der Vogelwarte Radolfzell Weißstörche mit Sendern aus. Per Satellitentelemetrie erhalten wir dann so einfach mehr Daten über den Vogelzug. Was kannst du denn aus diesem, wahrscheinlich mittlerweile großen Datenschatz alles ablesen?

Das ist ganz faszinierend, was man bei so einer Vogelart immer noch lernen kann, wo wir doch schon so viel wissen. Bei vielen kleinen Vögeln wissen wir noch nicht einmal, wie viele wir haben. Und beim Storch weiß man so viel und kann jetzt trotzdem noch ganz neue Sachen dazulernen, weil die Sender auch die ganzen Bewegungsdaten aufnehmen, ob der Storch jetzt frisst, steht, fliegt oder sich gar nicht mehr bewegt.
Man kann unglaublich viel rauslesen, zum Beispiel, dass diese jungen Störche, die auch noch nicht so gut fliegen, in einem Thermikkreisel mehr Kreise machen müssen bis sie oben ankommen, mehr Flügelschläge dazwischen brauchen. Für die ist also der Flug anstrengender und man merkt auch, dass die zwischendurch mal einen Tag länger Rast machen und dann auf den nächsten Storchentrupp warten, der sie dann wieder mitnimmt; dass sie auf der Reise also mehr Pausen einlegen. Darum ziehen die auch vor den Altvögeln weg. Das hat man immer schon gesehen und jetzt haben wir da auch die Erklärung dazu. Klar, der braucht länger für die Strecke, da ist es gut, wenn er rechtzeitig losfliegt.

 

Kann man dann daraus auch irgendwie ablesen, welche Gefahren ihnen vielleicht auf dem Zug oder auch in den Überwinterungsgebieten begegnen können?

Ja, wir kriegen ganz, ganz viele tolle neue Erkenntnisse. Nicht alle sind schön. Wie du gerade gesagt hast, wir haben auch neue Gefahren entdeckt. Man hat zum Beispiel festgestellt, dass ein Storch sich in Frankreich irgendwo auf einem Acker nicht mehr bewegt hat. Und dann haben sie ihn lange gesucht, bis sie auf die Idee kamen, mal auf den Bewässerungsturm rauf zu steigen, wo der Punkt eigentlich auch herkam. Dann haben sie festgestellt, dass das oben offen ist, wie ein Trichter, der Regenwasser sammelt. Und da ist kein Gitter drauf. Wenn die Störche dann versuchen am Rand zu landen, rutschen sie in den Trichter hinein und schwimmen ein paar Tage, solange sie Kraft haben und gehen dann ein. Und da schwamm nicht nur der Senderstorch, da schwammen mehrere Störche. Das wäre eine Möglichkeit, dass man dann auch anregt, diese Trichter oben wenigstens mit Gittern zu versehen. In Israel gibt es neben den Kläranlagen auch Färbebecken. Die sind teilweise auch so gebaut, dass die Vögel, wenn sie reinrutschen, nicht mehr rauskommen. Das ist ganz ungünstig. Auch bei uns hatten wir schon einen Senderstorch, der in so eine Silageanlage, so eine Grube reingerutscht ist. Klar, das ist ähnlich wie eine Kläranlage, hat eine harte Kante. Man müsste überall ein Brett reinstellen, damit auch Säugetiere, Eichhörnchen oder alle, die da reingefallen, wieder raus können.

 

Jetzt hast du vorhin auch kurz erwähnt, dass Störche auf Müllkippen unterwegs sind. Ist es da nicht auch irgendwie gefährlich oder unhygienisch, oder welche Nahrung suchen sie denn generell?

Ja, das ist tatsächlich nicht schön, die Störche da zu sehen und da gibt es auch Gefahren. Sie können sich an, was weiß ich, Metallplatten aufkratzen, sie können sich in irgendwelchen Bändern verheddern. Es gibt auch ganz unschöne Bilder von Störchen, die sich in Plastiktüten eingewickelt haben, entweder um den Flügel oder mit dem Schnabel drin stecken und die Tüte ist über den Körper gerutscht oder der Schnabel guckt gerade noch raus, aber er kann nicht mehr fliegen. Also sehr unschön. Aber es ist so viel an Fressbarem dort, dass der Vorteil trotzdem den Nachteil überwiegt. Wir schmeißen ja alles weg, seien das Fischreste, seien das Fleischreste; ja auch eine aufgeweichte Sahnetorte hat für den Storch einen Nährwert, auch wenn er eigentlich überwiegend oder eigentlich nur Fleischfresser ist.
Da finden sich auch andere seltene Greifvögel. Wir haben auch Ornithologen, die ihren Winterurlaub in Spanien auf der Müllkippe verbringen, weil da tolle Schlangenadler, Schreiadler oder Sonstiges zu sehen sind. Dort lesen sie auch Ringe ab, also Storchenringe. Das war ja früher die Möglichkeit festzustellen, wo sich die Störche aufhalten und das ist, neben der Satellitentelemetrie, immer noch ein wichtiger Punkt, dass man über Störche weitere Infos bekommen kann.

 

Ich frage meine Gäste ja immer nach ihrem Lieblingsvogel. Ich glaube, das kann ich mir bei dir sparen. Die Frage wäre aber, wieso dich denn der Weißstorch seit so vielen Jahren so fasziniert.

Naja, klar, eigentlich sind alle Vögel toll und andere Tiere und Pflanzen genauso. Ich glaube, das kann jeder feststellen, wenn man sich ein bisschen Zeit nimmt, rausguckt, egal ob man eine Blüte anschaut oder plötzlich eine Hummel vorbeischwirren sieht. Und beim Weißstorch, gerade weil er so bekannt ist, weil man so viel weiß, ist es trotzdem faszinierend, etwas dazu zu lernen, weil man ihm so schön zuschauen kann, weil man Altvögel und Jungvögel mitbekommt. Und weil es auch so toll ist, mit den Menschen zu arbeiten, die dann begeistert irgendeine Beobachtung schildern. Also das ist etwas, was mir auch nach so vielen Jahren immer noch jeden Tag Spaß bereitet. Da bin ich glücklich. Es kann nicht jeder sagen, dass er gerne in die Arbeit fährt.

 

Was können wir Menschen von den Weißstörchen oder von den Vögeln generell lernen?

Ich glaube, wir sollten grundsätzlich, wie sage ich das jetzt am besten, runterkommen von unserer vermeintlichen Überlegenheit. Ich habe gerade jetzt gelesen, dass unser Bundespräsident Steinmeier gemeint hat, wir sind eigentlich nur Gärtner in Gottes Paradiesgarten, wir sollen bewahren und schützen und aufpassen. Das tun wir nicht, wir nutzen es bis auf den Rand für unseren Vorteil aus. Und ein wichtiger Punkt wäre, schon mal zu sagen: „Ich muss nicht noch mehr haben, als ich schon habe. Ich muss nicht noch mehr Gier befriedigen, noch mehr Konsum haben. Eigentlich reicht es, egal wovon.“ Und dieser übermäßige Konsum, den zurückzufahren und dafür in Qualität zu ändern. Da kann man genauso Arbeitsplätze erhalten, man kann sich darauf fokussieren, dass Sachen wirklich besonders gut sind. Aber ich muss nicht jedes Jahr ein neues, Was-weiß-ich-was-Gerät haben, neue Anziehsachen. Diese Wegschmeiß-Mentalität, das ist etwas, was Tiere nicht haben. Teilweise leben sie im Überfluss, natürlich. Mücken produzieren Milliarden von Eiern und Larven, andere Vögel leben davon. Klar, das ist eingepreist. Aber Vorräte für sich horten, das machen nur ganz wenige Arten, die über den Winter kommen müssen und von dem Zeitpunkt sind wir Menschen schon lange weg.

 

Was braucht es deiner Meinung nach für erfolgreichen Vogelschutz?

Für erfolgreichen Vogelschutz braucht es einfach jede Menge Leute, die sich gerne einsetzen, die mitmachen. Jeder kann etwas beitragen, eine Beobachtung melden, bei sich zu Hause schauen, Kompromisse suchen, im Garten nicht alles aufräumen, das ist ganz wichtig. Dieser übertriebene Ordnungsfanatismus ist nicht gut für die Natur. Alles, was sich bewegt oder irgendwie grün ausschaut, das ist kein Dreck. Nein, das ist unsere Lebensgrundlage. Das ist so wichtig, dass sich das in den Köpfen wieder ändert. Und Schottergärten sind gar nicht pflegeleicht. Da kommt Moos drauf und dann muss man da auch hinterher.

 

Das stimmt. Vielen Dank, liebe Oda, für dieses schöne Gespräch.

Ganz herzlichen Dank. Schade, dass wir uns nicht noch drei Stunden unterhalten.

Nach dieser Folge seid ihr jetzt bestimmt auch im Storchenfieber. Alle Infos zu den bayerischen Glücksbringern findet hier. Hat euch diese Folge gefallen? Dann empfehlt sie gerne weiter an Freund*innen oder Bekannte. Bei Spotify habt ihr jetzt auch die Möglichkeit, unter jede Folge zu schreiben, wie es euch gefallen hat. Ich freue mich auf Feedback von euch und den Austausch mit euch. Ich wünsche euch ganz viel Spaß in der Natur und wir hören uns in der nächsten Folge.

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