Lichtverschmutzung - Das Ende der Nacht
Beeinträchtigt nächtliches Licht das Zugvermögen von Vögeln?
Rund zwei Drittel aller Zugvögel ziehen nachts. Ihre Zugrichtung ist angeboren und sie nutzen verschiedene Kompasssysteme zur Orientierung. Da liegt die Vermutung nahe: Schadet die immer mehr werdende Lichtverschmutzung dem Zugvermögen unserer Vögel?
Zwar orientieren sich die Vögel an den Sternen, doch weniger an den Gestirnen an sich als vielmehr an deren Rotationszentrum, das von den Jungvögeln in einer sensiblen Phase erlernt wird und das für sie „Norden“ anzeigt. Im Herbst orientieren sie sich weg vom Rotationsmittelpunkt, also südwärts, im Frühjahr dagegen auf ihn zu, also nordwärts. Nächtlicher Vogelzug findet allerdings auch unter bedecktem Himmel statt.
Komplexer Orientierungssinn
Jüngste Untersuchungen zeigen, dass der für die Zugorientierung erforderliche, lange Zeit unbekannte „Magnetsinn“ im Auge sitzt und lichtsensitiv ist. In Orientierungskäfigen untersuchte Vögel sind desorientiert, wenn man ihnen die Augen abdeckt. Zudem spielt die Wellenlänge des Lichtes eine Rolle: Testete man Rotkehlchen in blauem, türkisem und grünem Licht, waren die Vögel gut orientiert, in gelbem und rotem dagegen desorientiert.
Zugvögel „sehen“ also das Erdmagnetfeld und zwar über Moleküle in der Netzhaut, den sogenannten Cryptochromen, die sensitiv gegenüber kurzwelligem Licht und dem Magnetfeld sind. Um sich während des nächtlichen Zuges erfolgreich orientieren zu können, brauchen die Vögel also Licht einer ganz bestimmten Qualität. Nächte, in denen Vögel ziehen, sind natürlicherweise nie „stockdunkel“ und so hat sich dieses Orientierungssystem entwickeln können.
Doch was passiert heute, wo vielerorts die Nächte durch Kunstlicht sehr hell und „farbenprächtig“ geworden sind?
Es gibt keine sicheren Belege dafür, doch es ist sehr wahrscheinlich, dass dieses Kunstlicht die Magnetfeldwahrnehmung und somit das nächtliche Orientierungsvermögen beeinträchtigt. Unter den heimischen Zugvögeln nehmen gerade die Trans-Saharazieher besonders stark ab, also Arten, die sehr viel strenger von ihrem angeborenen Zugverhalten, einem sehr viel engeren Zeitkorsett und somit vermutlich auch mehr von „perfekter“ Orientierung bestimmt sind, als dies bei den innerhalb Europas überwinternden Arten der Fall ist.
Selbstverständlich stehen an erster Stelle der Gefährdungsfaktoren der Verlust und die Beeinträchtigung von Lebensräumen und damit oft einhergehend des Nahrungsangebotes in den Brut-, Durchzugs- und Überwinterungsgebieten, gefolgt von direkter menschlicher Verfolgung.
Doch Verluste durch Lichtverwirrung des nächtlichen Orientierungsverhaltens sollten nicht unterschätzt werden. Sie fallen nur nicht direkt auf, könnten aber durchaus von großer Bedeutung sein. Hier wären Untersuchungen unter Einsatz moderner Radar- und Nachtsichtgeräte sehr wünschenswert
Licht wirkt anziehend
Seit langem schon ist bekannt, dass künstliches Licht nachts ziehende Vögel unter bestimmten Umständen, insbesondere bei diesigen Bedingungen in großer Zahl anziehen kann. Schon vor mehr als hundert Jahren wurde von Leuchttürmen und Feuerschiffen berichtet, an denen in manchen Nächten zigtausende von Zugvögeln zu Tode gekommen waren. Rudolf Drost, ein früherer Leiter der Vogelwarte auf Helgoland, schrieb, dass in einer Herbstnacht vom Licht des Leuchtturms angezogene Stare „säckeweise“ eingesammelt werden konnten und es „Vögel schneite“.
Heute sind es besonders beleuchtete Hochhäuser, Brücken und Funktürme, an denen nächtlich ziehende Vogelarten in großer Zahl zu Tode kommen können, insbesondere bei nebligen Bedingungen oder Nieselregen. Von am beleuchteten „Post-Tower“ in Bonn verunglückten Vögeln stammten mehr als 90 % aus der Herbstzugzeit zwischen August und Oktober. Betroffen waren vornehmlich Sommergoldhähnchen und Rotkehlchen, aber auch Steinschmätzer, Dorngrasmücke und Rohrsänger.
In den USA kamen an einem beleuchteten Sendemast in einer einzigen Nacht 12.000 Vögel zu Tode. An den Glasfassaden der Hochhäuser in der kanadischen Stadt Toronto am Ontario See kommen pro Jahr bis zu 9 Millionen Zugvögel um. Die Spitze des Empire-State-Building in New York wird nur noch außerhalb der Zugzeiten beleuchtet, um die Verluste unter den Zugvögeln zu verringern.
Weitgehend unbekannt sind die Auswirkungen von beleuchteten Gewächshäusern, von Höhenscheinwerfern und Sky-Beamern auf Zugvögel. Von Höhenscheinwerfern wird berichtet, dass sie ziehende Vögel irritieren und es zur Auflösung von Zugformationen kommt. An einer Großgewächshausanlage in Schleswig-Holstein wurde beobachtet, dass dort Zugvögel in Nächten mit schlechter Sicht stundenlang kreisten oder gar landeten, also aus ihrem Zug „herausgerissen“ wurden.
Künstliches Licht lässt Vögel nicht zur Ruhe kommen
Zugvögel unterliegen einem jahreszeitlichen Rhythmus, aber auch einem tageszeitlichen. Während des Zuges wechseln sie zwischen nächtlichem Fliegen und oft tagelanger Rast zum Fressen und Ruhen. Ihre Tagesrhythmik ist in erheblichem Umfang von einem Hormon gesteuert, dem Melatonin, das nur in Dunkelheit vom sog. Pinealorgan (Zirbeldrüse) ausgeschüttet wird. Dieses Pinealorgan ist lichtempfindlich und unterdrückt die Ausschüttung von Melatonin unter nächtlichem Lichteinfluss.
Hält man Vögel nachts in Kunstlicht, verlieren sie ihre tageszeitliche Rhythmik und ihr Schlaf ist beeinträchtigt. Während ihrer Rast von künstlichem Nachtlicht beeinflusste Zugvögel könnten so in ihrer Fähigkeit beeinträchtigt sein, sich zu erholen bzw. Energie für den Weiterflug aufzutanken. Denn künstliches Nachtlicht und dadurch fehlendes Melatonin beeinträchtigt nicht nur den Schlaf von Vögeln, es lässt die Vögel auch so nicht zur Ruhe kommen. Vögel reduzieren nachts ihre Körpertemperatur und so ihren Stoffwechsel und damit ihren nächtlichen Energieverbrauch. Gerade für Vögel im Winter ist diese nächtliche Energieeinsparung überlebenswichtig.
Nächtliches Kunstlicht führt aber dazu, dass diese nächtliche Absenkung der Körpertemperatur nicht mehr erfolgt. Vögel in künstlich hellen Nächten haben damit einen höheren Energieverbrauch, wodurch ihre Überlebensfähigkeit in kalten Winternächten beeinträchtigt sein kann.
Doch auch Zugvögel senken üblicherweise während der Rast nachts ihren Stoffwechsel, um weniger Energie für die nächtliche Ruhe zu verbrauchen und damit mehr für die Bildung von Fettvorräten als Treibstoff für den Flug zur Verfügung zu haben. Auch das Orientierungsvermögen ist von Melatonin mitbestimmt. So konnte gezeigt werden, dass bei fehlender Ausschüttung von Melatonin ziehende Trauerschnäpper desorientiert sind.
Die Nächte werden immer heller
Schließlich könnten Zugvögel noch in anderer Weise von nächtlicher Lichtverschmutzung betroffen sein, auch wenn dies an einem Zugvogel so noch nicht untersucht ist. Aber an Amseln wurde gezeigt, dass diese, wenn sie experimentell hellen Nächten ausgesetzt wurden, etwa einen Monat früher fortpflanzungsbereit waren.
Dies mag auf den ersten Blick nicht nachteilig wirken. Wenn allerdings die Nahrung keine solche Verfrühung erfährt, führt dies dazu, dass die Amseln schon Junge im Nest haben, wenn es noch gar nicht ausreichend Nahrung für deren Aufzucht gibt. Licht-indiziertes früheres Brüten kann damit nachteilig für den Bruterfolg sein.
Fazit:
Künstliches Nachtlicht hat also vielfältige Auswirkungen auf Zugvögel. Die Konsequenzen dieser nächtlichen Lichtverschmutzung für die Bestände unserer Zugvögel sind bisher nicht bekannt, weil auch nicht quantitativ untersucht. Dennoch sollte sie nicht unterschätzt werden, zumal sie stetig zunimmt mit einer Rate von etwa 6 % je Jahr.
Weltweit wird es nachts also immer heller. Was uns Menschen vielleicht ganz angenehm erscheinen und auch manchen urbanisierten Tierarten zu Gute kommen mag, kann ganz erhebliche Auswirkungen auf die Lebensfähigkeit von Tieren und somit ihre zukünftigen Bestände haben. Angesichts der jetzt schon sichtbaren Gefahr, die von zunehmender nächtlicher Lichtverschmutzung ausgehen kann, ist die Zeit zum Umdenken gekommen.
[Autor: Prof. Dr. Franz Bairlein. Dieser Artikel ist zuerst im LBV-Magazin 02/2015 auf S. 34 f. erschienen]