Interview: „Katzen zur Brutzeit weniger aus dem Haus lassen“
Welchen Einfluss haben Katzen auf die biologische Vielfalt in Gärten?
Bei kaum einem anderen Thema kochen die Emotionen so schnell wie hoch wie beim gespannten Verhältnis zwischen Vogelfreunden und Katzenliebhaberinnen. Im Interview spricht der weltweit renommierte Ornithologe Prof. Franz Bairlein über Zahlen, Fakten und Lösungen zu diesem Konflikt.
VOGELSCHUTZ: Sind Katzen ein Problem für Gartenvögel?
Ja und dies in zweifacher Hinsicht. Zum einen gehören Kleinvögel zum natürlichen Beutespektrum von Katzen, zum anderen haben freilaufende Katzen eine vertreibende Wirkung auf Gartenvögel. In Deutschland leben derzeit rund 16 Millionen Hauskatzen. Zahlen aus anderen Ländern zeigen, dass sich etwa 70 Prozent der Hauskatzen regelmäßig auch draußen aufhalten und dort jagen. Viele Katzen bringen ihre Beute nach Hause, wodurch sich abschätzen lässt, wie viele Vögel eine Katze im Jahr erbeutet. Nach verschiedenen Studien liegt diese Zahl bei durchschnittlich etwa vier Vögel je Jahr und Katze. Bei etwa elf Millionen freilaufenden Hauskatzen macht dies etwa 44 Millionen durch freilaufende Hauskatzen getötete Vögel aus.
Eine beeindruckende Zahl.
Die wirkliche Zahl ist aber gut dreifach höher, also mindestens etwa 132 Millionen, da sich in genaueren Untersuchungen zeigt, dass nur etwa ein Drittel der Beute nach Hause gebracht wird. Zu dieser Zahl kommen noch die von dauerhaft streuenden Katzen erbeuteten Vögel. Ihre Zahl kennen wir nicht, doch jede streunende Katze erbeutet etwa 3-4-mal mehr Vögel als eine freilaufende Hauskatze. Die meisten Vögel werden zur Brutzeit erbeutet, und dabei besonders Jungvögel. Nach einer Erhebung in Baden-Württemberg entfielen zwei Drittel aller Katzenopfer auf Mai bis Juli und sie betrafen zu mehr als 80 Prozent Jungvögel.
Und der zweite Faktor?
Unser Augenmerk liegt meist auf den von Katzen getöteten Vögeln, doch haben freilaufende Hauskatzen noch andere Auswirkungen auf Gartenvögel: allein durch ihre regelmäßige Anwesenheit im Garten vertreiben sie Vögel. In stark von Katzen besuchten Gärten in England war die Vogeldichte um bis zu 95 Prozent niedriger als in Gärten ohne regelmäßigen Katzenbesuch. Zudem war in Gärten mit hohen Katzendichten die Fütterungsrate der Jungvögel um etwa ein Drittel niedriger, mit der Folge, dass die Wachstumsrate der Jungvögel erheblich niedriger war als in katzenfreien Gärten. Auch Futterstellen werden von Vögeln weniger angenommen oder gar verweigert, wenn Katzen in der Nähe sind.
Gefährden Katzen unsere Gartenvögel?
Die von Katzen erbeutete Anzahl an Vögeln ist durchaus gewaltig, dennoch gefährden sie in der Regel unsere Gartenvögel nicht. Die meisten der von Katzen erbeuteten Vögel gehören zu den sehr häufigen Arten. So waren es in Baden-Württemberg zu etwa ein Viertel aller Vogelarten Amseln, gefolgt von Haussperling und Kohlmeise. Auch in einer englischen Studie waren es mit Haussperling, Rotkehlchen, Heckenbraunelle und Amsel häufige Arten. Insgesamt zeigt sich, dass insbesondere solche Vogelarten Katzenopfer werden, die häufig am Boden bzw. bodenah Nahrung suchen oder dort brüten.
Alles also halb so schlimm?
Die Prädation durch Katzen kann allerdings in Einzelfällen schon erheblich sein. So führte die Beraubung von Nestern durch Katzen in einer Untersuchung in England zu einer Verminderung des Fortpflanzungserfolgs bei Haussperling, Heckenbraunelle und Rotkehlchen von bis zu 90 Prozent. Eine generelle Gefährdung sind Katzen für Gartenvögel aber nicht, doch ihre Anwesenheit kann Gärten vogelärmer machen.
Welche Möglichkeiten haben Katzenhalter*innen, um negative Auswirkungen ihrer Katze auf Gartenvögel zu minimieren?
Da gibt es eine ganze Reihe. Die effektivste wäre, die Katzen gerade zur Brutzeit im Frühjahr und Sommer nicht oder weniger aus dem Haus zu lassen. Lässt man sie raus, sollte man sie vorher gut und fleischreich füttern. Solche fleischreiche Nahrung reduzierte in einer Studie in England die Prädation von Vögeln durch Katzen um etwa 30 Prozent. Auch fünf- bis zehn-minütiges Spielen mit der Katze vor dem Freigang verringerte die Prädation.
Und was ist mit Halsglöckchen?
Diese werden oft empfohlen, da sie die Vögel auf die jagende Katze aufmerksam machen und sie veranlassen zu fliehen. Solche Glöckchen haben sich in vielen Untersuchungen als durchaus sehr erfolgreich gezeigt, mit bis zu 50 Prozent geringerem Jagderfolg, doch die Glöckchen können die Katzen selbst stören, vor allem aber erhöhen sie die Vertreibewirkung auf Vögel. Ähnliches gilt auch für andere, dauerhafte akustische Signale.
Welche anderen Möglichkeiten gibt es noch?
In mehreren Studien sehr bewährt haben sich bunte Halskrausen und Lätzchen, die den Jagderfolg auf Vögel um bis zu 78 Prozent verringern können. Solche Halskrausen wurden in einer Studie in Australien auch von nahezu 80 Prozent der Katzenbesitzer*innen als für ihre Katzen völlig problemlos gesehen, anders als Glöckchen. Eine zukünftige Möglichkeit dürfte eine Entwicklung ergeben, die derzeit am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie geprüft wird. Die Katzen tragen dazu ein Halsband, in dem sich ein Sensor befindet, der erkennt, ob eine Katze in Jagdverhalten geht. Ist dies der Fall, ertönt ein Signal, das den Vogel warnt.
Wie können Gartenbesitzer*innen ihre Gartenvögel vor Katzen schützen?
Vor allem, in dem sie ihre Gärten wild und strukturreich sein lassen. So zeigt eine Studie keinen Effekt von Katzen auf die Vogelgemeinschaft von Gärten, wenn diese vegetations- und strukturreich waren. Wichtig dabei ist, besonders dichte und auch dornige Gebüsche zu haben, in denen sich die Vögel selbst und ihre Nester sehr viel besser vor Räubern verstecken und schützen können.
Und die Vogelfutterstellen?
Futterstellen sollten so aufgehängt werden, dass sie von Katzen durch Klettern und Anspringen nicht erreicht werden - dabei aber berücksichtigen, dass Katzen recht hochspringen können. Bodenfutterstellen können mit einer grobmaschigen Drahthaube geschützt werden.
Welche anderen Tiergruppen werden durch Katzen in Gärten beeinflusst?
Die häufigste Beute von Katzen sind Kleinsäuger. In den meisten Studien machen sie 60-80 Prozent der Beute aus. Darunter sind oft auch Spitzmäuse. Die zweithäufigste Beute sind Kleinvögel. Doch auch Amphibien, Reptilien und große Insekten wie Heuschrecken, Schmetterlinge und Käfer, gehören zum Speiseplan von freilaufenden Hauskatzen. In Großbritannien machten Amphibien 4 Prozent, Reptilien, v. a. Blindschleichen und Eidechsen, und Insekten je 1 Prozent der Nahrung aus. Gelegentlich werden auch kleine Fische aus Gartenteichen erbeutet.
Was können Gartenbesitzer*innen tun?
Für die Schweiz schätzt man, dass jährlich über eine halbe Million Amphibien und Reptilien Hauskatzen zum Opfer fallen, darunter viele Zauneidechsen. Zum Schutz der Eidechsen bietet sich an, ihre Sonnenplätze mit trockenen, dornigen Ästen locker zu schützen oder mit einem Maschendrahtgitter zu überbauen. Vor allem aber braucht es Versteckmöglichkeiten, die den Echsen kurze Fluchtwege ermöglichen.
Interview: Anita Schäffer