Vogelbeobachtung macht glücklich
Naturbegegnungen als Therapie
Intuitiv suchen wir Wohlbefinden in der Natur. Manche beim Gärtnern, andere beim Waldspaziergang und wiederum andere bei der Vogelbeobachtung. Danach fühlen wir uns erholter und glücklicher. Zu diesem mittlerweile auch vielfach wissenschaftlich belegten positiven Effekt ist nun das erste deutschsprachige Buch erschienen, zu dem wir maßgeblich beigetragen haben.
Zeit in der Natur zu verbringen, hilft uns vom hektischen Alltagsleben loszukommen und Ruhe zu finden. Am besten wirkt Natur, wenn wir sie bewusst erleben, uns auf das natürliche Leben um uns einlassen und alles andere ausblenden. Dabei hilft zum Beispiel die Vogelbeobachtung: „Wir fühlen uns gut, wenn wir mit der Natur und ihren Lebewesen in Kontakt sind. Diesen Kontakt zur Natur zu suchen, ist uns angeboren“, beschreibt der US-amerikanische Verhaltensbiologe und Begründer der Soziobiologie E. O. Wilson den Effekt.
Vogelbeobachtung - ein Stück Natur in der Stadt und auf dem Land
Vögel sind ein bunter, sehr lebendiger Teil der Natur. Sie leben auf dem Land ebenso wie in der Stadt und in den Bergen, an Flüssen und an Seen. Jede und jeder kann sie zu Hause vom Fenster aus im Garten oder am Balkon beobachten, ebenso wie bei einem Spaziergang im Naturschutzgebiet. Vögel lassen uns die Natur intensiv erleben. Besonders ihre Vielfalt und ihr Auftreten in großen Schwärmen ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich. Entspannt können wir ihre Bewegungen mit dem Blick verfolgen und die Gedanken schweifen lassen.
Den Gesängen der Vögel zu lauschen ist einfach. Besonders das Morgenkonzert der Singvögel im Frühling ist für unsere Ohren wohlklingend melodisch. Genauso wie unser Lieblingslied können Vogelstimmen Erinnerungen wecken. Wir werden zurückversetzt in entspannende Naturlandschaften und besinnen uns auf positive Erfahrungen in der Natur. So mancher Amselgesang lässt uns zum Beispiel an einen lauen Sommerabend denken. Auf diese Weise lenken uns Vogelgesänge vom Alltag ab und schenken uns Momente der Entspannung und des Glücks.
Bei der Vogelbeobachtung fokussieren wir uns ganz auf das Hier und Jetzt, entkommen negativem Denken oder Handeln. Unsere Sorgen und Ängste sind während dieser Zeit vergessen. Das hat eine positive, wissenschaftlich bewiesene Wirkung auf die körperliche und psychische Gesundheit und auf unser allgemeines Wohlbefinden. Manche Ärzte erkennen und verschreiben deshalb die „Naturpille“ als Unterstützung zur Heilung vor allem psychischer Krankheiten. So gibt es in Kanada Natur auf Rezept und in Japan ist Shinrin Yoku, das Waldbaden, schon lange eine anerkannte Heilmethode.
Das sagt die Wissenschaft zur Ornitherapie
Bereits im Jahr 1979 erkannte der Ärztliche Direktor R.A.F. Cox in England, dass „für depressive oder körperlich an das Haus gebundene Menschen das einfache Vergnügen, Vögel zu beobachten, ein unschätzbarer Trost sein kann. Weiters bringt die tiefere Beschäftigung mit der Bestimmung der Vogelarten und genaue Beobachtungen ihres Verhaltens eine neue Dimension in das Leben der Mutlosesten. Als Beruhigungsmittel kann die Vogelbeobachtung so wirksam wie jede Droge sein, aber billiger und sicherer als viele.“ Das nannte er Ornitherapie.
Vogelgesänge reduzieren Ängste
Hinweise darauf, dass die Vogelbeobachtung eine positive Wirkung auf das menschliche Wohlbefinden und die Gesundheit hat, haben in den letzten Jahren zugenommen. So leiden Menschen, die in Gegenden mit mehr Vögeln, Sträuchern und Bäumen leben, seltener an Depressionen, Angstzuständen und Stress (Cox et al. 2017). Europaweit sind Menschen umso zufriedener und glücklicher, je mehr Vögel in ihrer Umgebung singen und je mehr Arten sie hören (Methorst et al. 2021). Vogelgesang reduziert Ängste und irrationale Gedanken. Im Vergleich zu Verkehrslärm, dem viele Menschen täglich ausgesetzt sind, hat Vogelgesang eine positive Wirkung (Stobbe et al. 2022). Und aus der wissenschaftlichen Begleitung des LBV-Seniorenprojekts „Alle Vögel sind schon da“ in vollstationären Pflegeeinrichtungen wissen wir, dass durch die Vogelbeobachtung besonders die kognitiven Ressourcen, die Mobilität und das soziale Wohlbefinden der Seniorinnen und Senioren gefördert werden (Kals 2020).
Entspannung durch Vogelbeobachtung - Ein Interview mit Dr. Angelika Nelson
LBV: Wie haben Sie Ihre Leidenschaft für die Vogelwelt entdeckt?
Angelika Nelson: Schon als Kind habe ich mich für die Natur interessiert. Tiere zu beobachten hat mich besonders fasziniert und so habe ich später Verhaltensforschung an den Universitäten Wien und Kopenhagen studiert. Vögel waren dabei die idealen Studienobjekte, da sie viele interessante Verhaltensweisen zeigen. Nahe der Uni nahm ich den Morgengesang der Blaumeise für meine Diplom- und Doktorarbeit auf, verbrachte viele Stunden mit den Vögeln, und habe mit ihnen regelrecht mitgelebt, wenn es um Partnerwahl und Jungenaufzucht ging.
Und wie ging es nach Ihrer Doktorarbeit weiter?
Einen anderen Aspekt der Vogelbeobachtung lernte ich an der Ohio State Universität in den USA kennen, wo ich einen Kurs in Ornithologie unterrichtete. Jedes Jahr im Frühling unternahmen wir mit Studentinnen und Studenten Exkursionen in den Park oder in nahe Naturschutzgebiete auf der Suche nach Vögeln. Wir wollten möglichst viele und verschiedene Arten finden, um den Studierenden einen guten Einblick in die heimische Vogelwelt zu geben.
Im Frühjahr, wenn viele Zugvögel nur vorübergehend beobachtet werden können, traten wir regelrecht in einen Wettbewerb mit der Zeit, aber auch mit anderen Beobachtenden, um möglichst ungewöhnliche Vogelarten zu dokumentieren. Seither betreibe ich die Vogelbeobachtung als Hobby, sie macht Freude und gibt jedem Spaziergang einen weiteren Sinn.
Besonders Spaß macht es mir, andere Menschen in die Vogelbeobachtung einzuführen, sie auf Vögel in ihrer nächsten Umgebung aufmerksam zu machen und mein Wissen und meine Leidenschaft mit ihnen zu teilen.
Wie genau beobachten Sie Vögel?
Es gibt verschiedene Arten der Vogelbeobachtung. Mich hat zu Beginn vor allem die Aussicht auf neue und verschiedene Vogelarten angetrieben. Ich führe auch heute noch eine Liste aller Vogelarten, die ich je gesehen habe, aber mehr aus Gewohnheit und weil man nie weiß, wofür diese Datenvielleicht einmal gut sein können. Da denkt wohl die Wissenschaftlerin in mir.
Für manche Leute haben solche Listen auch eine große Bedeutung: Eine Freundin schrieb mir erst vor Kurzem aus Brasilien, wo sie ihre 7.500ste Vogelart gesehen hat. Sie reist in der Weltumher, um möglichst viele der weltweit über 10.000 Vogelarten zu entdecken und auf ihre life list (Lebensliste) zu setzen. Sie schließt sich dabei meist organisierten Gruppen an, die Reiseführern vor Ort im Land Arbeit bieten, und auch Geld in Naturschutzprojekte investieren.
Und was geben Sie den Teilnehmenden Ihrer Vogelexkursionen weiter?
Während meiner wissenschaftlichen Forschung wurde ich angeleitet, die Welt zu bestaunen, genau zu beobachten und Beobachtetes zu hinterfragen. Ich beschäftigte mich intensiv mit dem, was direkt vor mir lag. Dieses staunende Beobachten und Hinterfragen, was man sieht und hört, versuche ich heute an Teilnehmende bei Exkursionen weiterzugeben.
Auch als Erwachsene können wir unsere Umwelt bewusst wahrnehmen und darüber staunen. So habe ich entdeckt, dass man Vogelbeobachtung einfach genießen und sich an jedem Vogel erfreuen kann, den man sieht, und Spaß dabei haben kann mit Gleichgesinnten in der Natur unterwegs zu sein.
Klar freue ich mich immer noch im Winter eine Schwanzmeise zu entdecken, aber ich würde keine 30 Kilometer fahren, um eine zu sehen. Selbst wenn man schon sein Leben lang Vögel beobachtet, kann es sich lohnen, Vogelbeobachtung auf eine neue Art zu probieren.
Wie genau erholen Sie sich durch Vogelbeobachtung?
Vor allem, wenn ich ein Teil meiner natürlichen Umgebung werde, wenn die Vögel sich an mich gewöhnen und ihrem bunten Treiben nachgehen. Wenn ich an einen Ort komme, bin ich zuerst eine Fremde. Wir Menschen bewegen uns auffällig, die Vögel entdecken uns und begrüßen uns scheinbar lautstark. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Vögel sich gegenseitig warnen, dass ich in ihr Umfeld eingedrungen bin – oder sie verstummen wie im Fall der Spatzen. Sie sehen mich also zunächst als potenzielle Gefahr.
Doch wenn ich dann ganz stillstehe, mich mit dem Rücken an einen Baum lehne und ruhig verharre, scheinen sie zu vergessen, dass es mich gibt. Sie gewöhnen sich an meine Anwesenheit und sie fressen und putzen sich und füttern ihre Jungen. Ich werde ein Teil dieses Treibens, genieße ihre Nähe und vergesse die Welt um mich herum.
Wann finden Sie Zeit zur Vogelbeobachtung?
Eigentlich immer und überall: auf dem Weg zur Arbeit, beim Spaziergang in der Nachbarschaft, im Wald, oder beim Blick aus dem Fenster im Zug. Arnulf Conradi beschreibt es in seinem Buch Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung sehr passend: „Das Vogelbeobachten ist eher eine Lebensform als ein Hobby, man tut es eigentlich immer, man guckt stets nach Vögeln.“
Sie haben selbst auch ein neues Buch zu den Auswirkungen der Vogelbeobachtung geschrieben, das Erste zu diesem Thema auf dem deutschsprachigen Markt?
Eigentlich hat meine US-amerikanische Kollegin Holly Merker mit Richard und Sophie Crossley ein Buch zu „Ornitherapy“ geschrieben. Ich war begeistert davon und habe es mit ihr ins Deutsche übersetzt und für eine deutschsprachige Leserschaft umgeschrieben. Wir bieten darin Anleitungen, Vögel bewusst zu beobachten, sich Gedanken zu ihrem Verhalten zu machen, dabei zu entspannen und das Glück der Vogelbeobachtung zu genießen.
Warum sollten die Menschen das Buch lesen?
Wir hören ständig, dass es der Natur schlecht geht, Arten aussterben, Lebensräume verschwinden, und dass wir Menschen der Grund dafür sind. Ändern können wir das nur, indem wir uns anders verhalten. Doch Statistiken und rationale Argumente können Menschen nur bedingt zu einer positiven Verhaltensänderung gegenüber der Natur bewegen.
Wir müssen erleben, wie eine Amsel ihr Junges groß zieht, ein Braunkehlchen auf der Wiese rastet, bevor es weiter in den Norden zum Brüten fliegt, und wie ein Türkentäuberich seine Partnerin anbalzt. So baut man eine intensive Beziehung zur Vogelwelt und zur Natur um uns auf und will sie dann nicht mehr missen.
Wir hoffen, dass die Leserinnen und Leser durch das Buch Vögel lieben lernen, sich durch Beobachtungen mit ihnen verbunden fühlen und sich für ihren Schutz einsetzen. Wir hoffen, dass eine intensive Beziehung zur Natur zu einem nachhaltigeren Verhalten gegenüber der Natur führen wird. Und Menschen sollen diese Liebe zur Vogelwelt und zur natürlichen Umwelt auch an andere weitergeben.
Und wie kann jetzt jede und jeder sofort mit dieser Art der Vogelbeobachtung anfangen?
Am besten beginnt man bei einem gemütlichen Spaziergang. Das kann überall sein, auch entlang einer Straße in der Stadt. Man sollte möglichst keine Erwartungen haben, sondern sich einfach überraschen lassen, was man sieht, hört und findet. Man beobachtet und horcht, ob man in der Nähe Vögel entdeckt. Wie viele verschiedene Vögel sind es?
Man muss sie nicht bestimmen können, um Unterschiede zu bemerken, aber man nimmt ihre Vielfalt wahr. Einfach nur zuhören, zuordnen und genießen. Am besten schreibt man nach dem Spaziergang auf, wie man sich fühlt, was man er lebt und entdeckt hat. Wenn man den Spaziergang am nächsten Tag wiederholt, kann man dann vergleichen und merkt, was man Neues beobachtet.
Und welche Wirkung hat dies dann bestenfalls?
Wenn wir uns mit dem Leben von Vögeln und anderen Tieren beschäftigen, relativieren sich Dinge in unserem eigenen Leben. Wir bemerken vielleicht, was uns wichtig ist, fühlen uns geerdet und zentriert. Wir kommen in Kontakt mit uns selbst, wo wir sind: in unserem Körper, im Hier und Jetzt.