Stunde der Wintervögel - Zwischenfazit am Abend des letzten Zähltages

Interview mit LBV-Ornithologin Dr. Angelika Nelson

Die Sonne ist untergegangen und damit ist das lange Zählwochenende auch schon wieder vorbei. Bis zum 17.01.2022 haben Sie noch die Möglichkeit, Ihre Meldung in unserem Online-Formular nachzutragen. Stand Sonntagabend, 20:30 Uhr, haben 23.000 Naturfreundinnen und Naturfreunde in über 16.000 Gärten, Balkonen oder Parks in Bayern an der Stunde der Wintervögel teilgenommen. Vielen Dank allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen!

Amsel sitzt auf einem toten Stück Holz | © Frank Derer © Frank Derer
Ein Anstieg der Amselmeldungen zeigt sich diese Jahr zum ersten Mal seit 2017

Was sagt eine Vogel-Expertin zum Zwischenergebnis?

Dr. Angelika Nelson

Wir haben LBV-Ornithologin Dr.  Angelika Nelson gebeten, mit uns ihre Einschätzung zu den bisherigen Beobachtungen zu teilen. Angelika ist Biologin, begeisterte Ornithologin und Expertin für Vogelstimmen. Sie arbeitet als Gebietsbetreuerin in unserer LBV-Geschäftsstelle in Cham (Oberpfalz).

Blaumeise am Futterhaus | © Dominik Kindermann © Dominik Kindermann

Liebe Angelika, die Stunde der Wintervögel ist vorbei! Hast du auch mitgezählt und was hast du Schönes gesehen? Worüber hast du dich gefreut?

Angelika: Ich freue mich schon jedes Jahr auf diese tolle Mitmach-Aktion des LBV und NABU, es ist ein schöner Start ins neue Jahr und man kann gut über die Jahre vergleichen, welche Vögel man im eigenen Garten beobachtet. Ich hatte heuer zwei Gimpel zur Beobachtungsstunde im Garten, über die habe ich mich besonders gefreut. Aber jeder Vogel zählt und ist wichtig für die Statistik.

Was sich jetzt schon abzeichnet: Die Sorgenkinder vom letzten Jahr – Blau- und Kohlmeise – scheinen sich wieder erholt zu haben. Ursächlich war im letzten Jahr ein Ausbruch des Bakteriums Suttonella ornithocola. Ist der Erreger damit verschwunden oder haben sich die Meisen angepasst? Wie schätzt du die Lage ein?

Ich denke nicht, dass der Erreger verschwunden ist, sondern die Vögel müssen damit leben. Besonders Singvögel wie Meisen können sich von einem Bestandseinbruch relativ rasch erholen, da sie jedes Jahr entweder große Gelege haben – Blaumeisen-Weibchen legen bis zu 18 Eier in ihr Nest – oder mehrmals brüten. So haben Kohlmeisen oft zwei Bruten in einem Jahr. Daher sehen wir bereits nach einer Brutsaison Verbesserungen.

Ein Buntspecht sitzt auf einem abestorbenen Ast im Schnee | © Frank Derer © Frank Derer

Zum ersten Mal seit 2017 wurde auch wieder die Amsel in knapp 90 % aller teilnehmenden bayerischen Gärten beobachtet. Eine positive Entwicklung und vielleicht ein Zeichen dafür, dass die Folgen des Usutu-Virus überwunden sind?

Das Usutu Virus scheint der Amsel-Population stärker zugesetzt zu haben. Es dauerte mehrere Jahre bis sich das Virus in ganz Deutschland ausgebreitet hatte und ebenso scheint es einige Jahre zu dauern bis sich die Populationen wieder erholen. Daher freut es uns heuer besonders, dass die Amsel wieder an so vielen Zählorten gemeldet wurde. Es scheint im Bestand wieder aufwärts zu gehen.

Was auffällig ist: Der Buntspecht ist momentan sogar in den Top Ten der meistgezählten Vögel. Das gab es vorher so noch nicht. Hast du eine Theorie, weswegen er heuer so häufig in den Gärten zu sehen ist?

Der Buntspecht als häufigste und am weitesten verbreitete Spechtart Bayerns ist ein typischer Waldbewohner. Die Bestände von Waldvögeln haben sich im letzten Jahrzehnt erfreulicherweise erholt. Das zeigt eine wissenschaftliche Studie zur Bestandssituation der Vögel Deutschlands. Nach einer sehr erfolgreiche Brutsaison kann es dann vorkommen, dass die Vögel nicht genug Nahrung in den Wäldern finden und daher in den Siedlungsbereich ausweichen. Es könnte aber auch sein, dass wir einen vorübergehenden Zuzug von Spechten aus kälteren Regionen sehen.

Zwei Kraniche in der Luft | © Hans Clausen © Hans Clausen
Zwei Kraniche in der Luft

Schon am Freitag zeichnete sich ab, dass sich mehr Waldvogelarten wie Eichelhäher, Kleiber und Gimpel häufiger gemeldet wurden als noch in den Vorjahren. Woran liegt das? Finden die Vögel nicht mehr genug Futter im Wald?

Viele der Baumarten, an denen die Vögel im Wald Nahrung finden, wie Eiche, Buche, Fichte und Tanne haben sogenannte Mastjahre, in denen sie besonders viele Früchte produzieren. In Folgejahren haben sie dann weniger Früchte und das kann zu einem Nahrungsmangel bei Vögeln und anderen Tieren führen.

Während der Aktion und auch schon vorher bekamen wir einige Meldungen über überziehende Kraniche. In Bayern ist das ja schon etwas sehr Besonderes, überhaupt Kraniche zu sehen. Ist es nicht etwas spät für sie, jetzt erst in den Süden zu ziehen?

Tatsächlich sind heuer kurz nach Weihnachten noch einmal mehrere tausend Kraniche aus Nord- und Ostdeutschland Richtung Winterquartiere im Mittelmeerraum aufgebrochen und einige Kraniche sind auch über Bayern geflogen. Der reguläre Zug der Kraniche in die Winterquartiere ist im Herbst, doch vermutlich sind die Vögel aufgrund wärmerer Temperaturen noch länger im Brutgebiet geblieben. Die erste Kälte ließ dann auch diese späten Vögel Richtung Süden aufbrechen. Jetzt sieht man wirklich nur noch vereinzelte Kraniche. Bald geht es für die Vögel ja schon wieder in die Gegenrichtung, zurück in die Brutgebiete.

Mir ist aufgefallen, dass die Zahl der Vögel pro Garten über die Jahre hinweg abgenommen hat. Von durchschnittlich 42 Vögeln pro Garten in 2011 bis heute bei knapp 34 Vögeln. Wie lässt sich das erklären?

Leider ist das ein Trend, den wir nicht nur in Bayern sehen, sondern in ganz Deutschland und sogar europaweit. Zahlreiche Vogelarten nehmen in ihrem Bestand ab. Einer wissenschaftlichen Studie zufolge ist über einen Zeitraum von etwa 40 Jahren jeder sechste Vogel verloren gegangen. Das merken wir auch in unseren Gärten, es ist ruhiger und weniger bunt. Dabei macht Vogelbeobachtung richtig viel Spaß und man entdeckt wieder etwas Neues. Ich hoffe wir können diesen Abwärtstrend der Vogelpopulationen bald zu einer Wende bringen.

Vielen Dank für deine Einschätzung!

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© Ralph Sturm

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