Stunde der Wintervögel 2023 - Interview mit LBV-Ornithologin Dr. Angelika Nelson

Zwischenfazit am Abend des letzten Zähltages

Die Sonne ist untergegangen und damit ist das lange Zählwochenende auch schon wieder vorbei. Bis zum 16.01.2023 haben Sie noch die Möglichkeit, Ihre Meldung in unserem Online-Formular nachzutragen. Stand Sonntagabend, 20:30 Uhr, haben 12.000 Naturfreundinnen und Naturfreunde in über 8.500 Gärten, Balkonen oder Parks in Bayern an der Stunde der Wintervögel teilgenommen. Vielen Dank allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen!

Buntspecht | © Ingo Rittscher © Ingo Rittscher

Was sagt eine Vogel-Expertin zum Zwischenergebnis?

Dr. Angelika Nelson

Wir haben LBV-Ornithologin Dr.  Angelika Nelson gebeten, mit uns ihre Einschätzung zu den bisherigen Beobachtungen zu teilen. Angelika ist Biologin, begeisterte Ornithologin und Expertin für Vogelstimmen. Sie arbeitet als Gebietsbetreuerin in unserer LBV-Geschäftsstelle in Cham (Oberpfalz).

Wacholderdrossel | © Andreas Hartl © Andreas Hartl

Liebe Angelika, bei mir hier in Nürnberg war das Wetter am Wochenende sehr bescheiden, durchgehend grau, nass und wenig Vögel haben sich gezeigt. Wie war es bei dir? Wo hast du gezählt?

Angelika: Ich habe wie in den letzten Jahren an der LBV-Umweltstation in Nösswartling gezählt. Hier kam am Nachmittag sogar ein bisschen die Sonne hinter den Wolken hervor, zur Zählstunde hat es allerdings immer wieder ein bisschen geregnet. Ich war mit ein paar Vogelinteressierten aus der Umgebung unterwegs, da dies jedes Jahr unsere erste Veranstaltung der Kreisgruppe ist.

Was war dein Highlight dabei?

Unser Highlight waren kurz vor dem Ende der Zählstunde eine Schar von mindestens 30 Wacholderdrosseln und dazu ein Trupp gleicher Anzahl Erlenzeisige zusammen mit einigen Stieglitzen. Die kleinen Scharen von Erlenzeisigen fallen mir bei uns erst in den letzten Tagen auf.

Ob die wohl schon am Heimzug in den Norden sind?

Uhu | © Ralph Sturm © Ralph Sturm
Sogar ein Uhu wurde uns gemeldet bei der diesjährigen Stunde der Wintervögel

Was hat sich bei der derzeitigen Top 10 Liste im Gegensatz zu den Vorjahren verändert? Welche Aussagen kannst du dazu treffen?

Wie in den letzten Jahren liegen Haussperling, Kohlmeise und Feldsperling genau in dieser Reihenfolge an der Spitze der Top 10. Die Blaumeise scheint sich vor die Amsel zu schieben, gefolgt von einem Schnabel-an-Schnabel Flug von Grünfink und Buchfink um Rang 6 und 7. Die Elster und die Rabenkrähe fliegen auf Rang 8 und 9. Den Abschluss der Top 10 macht das Rotkehlchen. Leider fällt auf, dass fast alle Arten in den Top 10 heuer seltener gemeldet wurden als im Vorjahr.

Was waren die interessantesten Beobachtungen in den Ergebnissen, die du bisher schon gemacht hast?

Manchmal gibt es ganz tolle Beobachtungen von den Zählorten, so wurden uns z.B. ein Uhu und auch ein Steinkauz gemeldet. Bei so machen Beobachter*innen scheinen sich auch bereits Frühlingsgefühle einzustellen, wenn sie meinen eine Schwalbe oder sogar ein Braunkehlchen gesehen zu haben. Es freut mich, dass der Vogel dieses Jahres, das Braunkehlchen, offenbar schon bei einigen in den Gedanken ist, aber ich meine wir müssen noch ein paar Monate warten, bis es tatsächlich aus Afrika nach Bayern zurückkehrt, um hier auf den Wiesen zu brüten. Langstreckenzieher wie diese Art können sich nicht so schnell auf Witterungsänderungen einstellen.

Eichelhäher | © Dieter Hopf © Dieter Hopf

Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichteten uns, dass sie viel weniger Vögel als bei der letzten Zählung hatten. Woran mag das liegen?

Dafür kommen einige Faktoren in Frage: Aufgrund der bereits länger anhaltenden milden Temperaturen finden derzeit viele Vögel genügend Nahrung in der Naturda Samen und Früchte nicht von Eis und Schnee bedeckt sind.

Aufgrund des warmen Wetters beginnen bereits einige mit ihrem typischem Revierverhalten. Meisen und auch Amseln singen bereits auch früh morgens, um ihr Revier für die diesjährige Brut gegenüber anderen abzugrenzen. So verjagen sie Rivalen von der Futterstelle und aus dem Garten. Das zurückliegende Mastjahr bei Eichen, Buchen und Fichten macht sich auch bemerkbar. Doch wir sollten nicht vergessen, dass sich das allgemeine Vogelsterben nun auch bei einigen bisher häufigen Arten im Siedlungsraum fortsetzt. Es passiert langsam, aber mittlerweile merken wir die Abnahme einst häufiger Arten auch in den Gärten.

Warum hat das Wetter so einen Einfluss darauf, ob sich die Vögel am Futterhaus zeigen?

Fürs Überleben der Vögel spielt Futter eine wichtige Rolle und dieses wird wiederum von der Witterung beeinflusst. Vögel suchen sich einen Ort, an dem sie vor Prädatoren sicher sind und wo sie nicht viel Energie zur Nahrungsbeschaffung aufwenden müssen. Wenn das in ihrem natürlichen Lebensraum gegeben ist, besteht kein Grund diesen zu verlassen und sich ins Ungewisse aufzumachen. Daher sehen wir sie dann seltener an der Futterstelle im Garten – wo ja auch sehr häufig Katzen herumschleichen, die für Vögel eine Gefahr darstellen.

Ein Mastjahr beschert den Vögeln viel Futter in ihrem natürlichen Lebensraum. Vor allem Waldvogelarten wie Buchfink, Buntspecht und Kleiber, aber auch Eichelhäher und Gimpel profitieren von einem Überangebot an Samen im Wald und wurden heuer daher seltener beobachtet als im Vorjahr.

Zaunkönig | © Hans-Joachim Fünfstück © Hans-Joachim Fünfstück

Haben die milden Temperaturen zur Zeit noch andere Auswirkungen auf unsere hier gebliebenen Vögel?

Wenn der Winter so mild bleibt, wie er jetzt im Januar begonnen hat, hat das positive Auswirkungen auf einige der Standvögel in Bayern, also Vögel, die das ganze Jahr über bei uns zu sehen sind. Vor allem die kleinen, wie Wintergoldhähnchen und Zaunkönig, profitieren davon. Für sie ist es besonders schwierig genug Energie über Nahrung aufzunehmen, um eisigen Temperaturen in der Nacht zu trotzen. Negativen Auswirkungen harter Winter sind vor allem vom Zaunkönig bekannt. Da kann in manchen strengen Winterjahren beinahe die ganze Population verschwinden. Dann dauert es ein paar Jahre, bis sich der lokale Bestand wieder erholt hat.

Vielen Dank liebe Angelika für das Gespräch!

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© Ralph Sturm

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