LBV-Jahresbilanz 2019: Gewinner & Verlierer des Naturschutzes in Bayern
Gute Nachrichten für Große Hufeisennase, Böhmischen Enzian und Luchs – große Sorge um Wiesenbrüter und Wälder
Für uns steht fest: Dank des „Volksbegehrens Artenvielfalt - Rettet die Bienen“, dem erfolgreichsten Volksbegehren in der Geschichte Bayerns, wird das Jahr 2019 im Hinblick auf den Natur- und Artenschutz in Erinnerung bleiben.
In der ersten Februarhälfte 2019 hatten sich insgesamt 18,3 Prozent der Wahlberechtigten in den Rathäusern des Freistaats mit ihrer Unterschrift für das Volksbegehren ausgesprochen - insgesamt fast 1,8 Millionen Menschen. Sowohl Arten- als auch Klimaschutz haben aus unserer Sicht im vergangenen Jahr im Freistaat einen bisher ungeahnten gesellschaftlichen Rückenwind sowie eine große politische Aufmerksamkeit erreicht.
„Mittelfristig könnte das vom bayerischen Landtag im Juli 2019 verabschiedete Paket aus Volksbegehrensgesetz, Begleitgesetz und Maßnahmenkatalog den Verlust an biologischer Vielfalt in Bayern aufhalten und vielleicht sogar rückgängig machen. Entscheidend hierfür ist eine ausreichende Finanzierung und konsequente Umsetzung dieses Pakets“, meint der LBV-Vorsitzende Dr. Norbert Schäffer.
Bezogen auf einzelne Arten und Lebensräume beschreibt der LBV für das Jahr 2019 ein gemischtes Bild aus Gewinnern und Verlierern.
Die Gewinner:
Weißstorch mit 100 Neuansiedlungen
Zu den Dauergewinnern der letzten Jahrzehnte gehört der Weißstorch, dessen Brutbestand in Bayern mit fast 100 Neuansiedlungen im zurückliegenden Jahr auf über 630 Storchenpaare angestiegen ist. Die Anzahl Brutpaare hat sich in den vergangenen 30 Jahren damit mehr als verzehnfacht. „Ein wunderbarer Erfolg der vielen Ehrenamtlichen, die sich beim Schutz des Weißstorchs engagieren. Dieses Beispiel zeigt, dass wir erfolgreich sein können, wenn wir uns richtig dahinterklemmen“, so Schäffer.
Rekordwerte bei der seltenen Großen Hufeisennase
Eine ähnlich positive Bilanz gibt es bei der Großen Hufeisennase. Hierbei handelt es sich um eine extrem seltene Fledermausart, die im gesamten Bundesgebiet nur in einem einzigen Gebäude in der Ortschaft Hohenburg im Landkreis Amberg-Sulzbach reproduziert. Der Bestand im LBV Fledermaushaus Hohenburg ist im Sommer 2019 mit 205 erwachsenen Tieren auf einen neuen Rekordwert angestiegen.
Böhmischer Enzian mit über 70 Pflanzen im Bayerischen Wald
Begeistert hat die Artenschützer auch die Entwicklung beim Böhmischen Enzian, eine der seltensten Pflanzenarten in Bayern. „Im Jahr 2019 ist ein wegweisender Erfolg im Artenhilfsprojekt für den weltweit vom Aussterben bedrohten Böhmischen Enzian geglückt“, sagt Schäffer. Zum ersten Mal wurden auf einer Probefläche eines Geländes der Bayerischen Staatsforsten (BaySF) am Dreisessel im Bayerischen Wald über 70 blühende Pflanzen gezählt.
Zum Vergleich: Letztes Jahr wurden in ganz Bayern nur insgesamt 72 blühende Exemplare der Art kartiert.
Erstmalige Verurteilung eines Luchsmörders
Zu den Gewinnern 2019 gehört auch der Luchs. „Der große öffentliche Druck und die erstmalige Verurteilung eines Luchsmörders haben dazu geführt, dass die illegale Verfolgung dieser Tierart deutlich zurückgegangen ist und sich der Bestand langsam ausdehnt“, erklärt der LBV-Vorsitzende.
Bestand des Wolfs in Bayern wächst
Auch das Anwachsen des Wolfsbestandes in Bayern von drei auf vier Territorien mit insgesamt zwei Einzelwölfen, einem Wolfspaar sowie einem Rudel mit Nachwuchs, und auch die vorübergehende Anwesenheit eines Braunbären in Bayern wertet der LBV als Erfolg im Artenschutz, ohne dabei die Herausforderungen beispielsweise für Nutztierhalter zu ignorieren.
Seltene Vogel- und Amphibienarten wieder im Bestand gestiegen
Weitere Gründe zur Freude: Im vergangenen Jahr sind auch die bayerischen Bestände der im Freistaat sehr seltenen Vogelarten See- und Fischadler, Kranich und Wiedehopf weiter angewachsen.
Zukunftsweisend könnte das Jahr 2019 auch positive Auswirkungen für im Freistaat bedrohte Amphibien wie Kreuz- und Wechselkröte, Laubfrosch oder Knoblauchkröte haben. Die Beratung dutzender Abbaufirmen durch uns im Hinblick auf den Schutz gefährdeter Amphibienarten sollte in den kommenden Jahren erste Früchte tragen.
Voller Erfolg: Rücknahme des Alpenplans am Riedberger Horn
Für das Birkhuhn wird sich die Rückgängigmachung der Änderung des Alpenplans am Riedberger Horn positiv auswirken.
Die Verlierer
Wiesenbrüter als "living deads"
Die Liste der Verlierer des Jahres 2019 im Natur- und Artenschutz führen aus unserer Sicht die Brutvogelarten feuchter Wiesen und Weiden an. Wiesenbrüter wie Großer Brachvogel und Uferschnepfe haben aufgrund von Lebensraumverlust, Störung und Prädation in Bayern in den allermeisten Brutgebieten schon seit vielen Jahren nicht mehr ausreichend Bruterfolg, um ihren Bestand zu halten.
Lediglich die Tatsache, dass die genannten Arten relativ alt werden können, führt dazu, dass es noch immer Brachvögel und Uferschnepfen in Bayern gibt. „In Großbritannien werden derartige Vögel deshalb als living deads bezeichnet, also als zwar noch lebende, aber aufgrund der fehlenden Nachkommen eigentlich schon tote Vögel“, erklärt Norbert Schäffer.
So ist im vergangenen Jahr beispielsweise im Königsauer Moos, im bayerischen Donaumoos oder im Wiesenbrütergebiet Wiesmet keine einzige Uferschnepfe und kein Großer Brachvogel flügge geworden. „Man braucht wirklich kein Biologe zu sein, um zu erkennen, dass ohne Bruterfolg ein Bestand langfristig verschwindet“, kommentiert Schäffer weiter. „Dabei wissen wir ganz genau, was wir tun müssen, um diesen Vögeln zu helfen: als allererste und wichtigste Maßnahme brauchen wir wieder mehr Wasser in den Flächen. Dies würde sich auch auf den Erhalt des Torfkörpers beispielsweise im Donaumoos positiv auswirken – und wäre wichtig für die Vermeidung von Treibhausgasemissionen und somit den Klimaschutz.“
Wälder in Gefahr
Große Sorge machen wir uns um die Zukunft der Wälder. Rekordhitze und -dürre und die hierdurch hervorgerufenen Massenvermehrungen beispielsweise des Borkenkäfers haben im vergangenen Jahr zum Absterben von Fichten, aber auch Kiefern und Buchen geführt. „Es sieht danach aus, dass der Klimawandel unsere Wälder schon jetzt mit voller Wucht trifft.
Ein zügiger Waldumbau hin zu klimaresistenteren Mischwäldern, wie er von den Staatsforsten und vielen Privatwaldbesitzern betrieben wird, hat oberste Priorität“, fordert Schäffer.
„Parallel dazu brauchen wir, neben den Nationalparken Berchtesgaden und Bayerischer Wald auch nutzungsfreie Großschutzgebiete im Auwald beispielsweise an der Donau und im Laubwald beispielsweise im Steigerwald.“ Diese Flächen dienen aus unserer Sicht nicht nur dem Schutz der Biologischen Vielfalt, sondern sind auch wichtige Referenzflächen für die natürliche Waldentwicklung. „Wenn mir mehr und mehr Försterinnen und Förster heute sagen, dass wir nicht wissen, welche Baumarten ohne das Wirken des Menschen in unserer bayerischen Heimat in 30 oder 50 Jahren wachsen werden, müssen wir – räumlich begrenzte – Referenzflächen schaffen, um dies herauszufinden.
Die von der Staatsregierung kürzlich angekündigte Ausweisung eines 960 Hektar großen Schutzgebietes in den Donauauen bei Neuburg ist hierzu ein wichtiger Schritt.“
Fazit und Ausblick:
In Summe bewerten wir das zurückliegende Jahr im Hinblick auf den Natur- und Artenschutz als eher positiv, wobei viele der Erfolge sich erst in den kommenden Jahren im Bestandstrend von Arten zeigen werden. „Wenn wir jetzt mit unseren Bemühungen nicht nachlassen, könnte das Jahr 2019 langfristig als Jahr der Trendwende beim Verlust der biologischen Vielfalt in Bayern eingehen“, so Norbert Schäffer.
„Ein Selbstläufer sind die mit dem Volksbegehren Artenvielfalt zusammenhängenden Aktivitäten aber bei weitem nicht. Unsere Hauptaufgabe im kommenden Jahr wird es deshalb sein, die Umsetzung des Volksbegehrens zu überprüfen und festzustellen, ob sich beispielsweise Gewässerrandstreifen, der Schutz von Streuobst, mehr Biolandwirtschaft, ein besserer Biotopverbund, die Reduktion von Pestiziden in der Landwirtschaft, ein anderer Umgang mit kommunalen Flächen und Gärten, aber auch mehr Schutzgebiete im Wald positiv auf Wildblumen, Insekten und unsere gesamte biologische Vielfalt auswirken.“