Ein Traktor fährt auf einem Acker und sprüht Gift | © Thomas Staab © Thomas Staab

Pestizidbericht Bayern

LBV legt Pesitzidbericht als Grundlage für den Insektenschutz vor

Die Bayerische Landesregierung strebt die Halbierung des landesweiten chemisch-synthetischen Pestizideinsatzes bis 2028 an. Doch Daten über den Pestizideinsatz in Bayern liegen bisher nicht vor und es ist unklar, was damit eigentlich gemeint ist. Dadurch fehlen messbare Reduktionsziele und die Grundlage für ein Reduktionsprogramm. Der vom LBV im Juli 2022 veröffentlichte Pestizidbericht zieht erstmalig eine „Baseline“ für den landwirtschaftlichen Pestizideinsatz in Bayern und liefert der Politik einen ersten Referenzwert für die dringend notwendige Pestizidreduktion, um damit einen wichtigen Beitrag gegen das Insektensterben zu leisten. 

Warum überhaupt weniger Pestizideinsatz?

Neuntöter-Männchen mit Beute | © Rosl Rößner © Rosl Rößner
Durch das Insektensterben verschwinden auch viele Vogelarten, die zur Jungenaufzucht auf Insekten angewiesen sind

Pestizide belasten die Umwelt und tragen zum Rückgang der Artenvielfalt bei. Durch das Wegspritzen von Ackerwildkräutern mit Herbiziden wie Glyphosat finden Insekten wie Wildbienen keine Nahrung mehr. Hochgiftige Insektizide töten die Tiere direkt, schwächen ihr Immunsystem oder führen zum Verlust ihres Orientierungssinns.

In der Folge verschwinden auch viele Vogelarten, die zur Jungenaufzucht auf Insekten als Eiweißquelle angewiesen sind. Rückstände von Pestiziden finden sich mittlerweile in vielen Nahrungsmitteln, reichern sich in den Böden an und werden ins Grundwasser ausgewaschen.

In einem bundesweiten Monitoringprogramm hat ein Konsortium von Wissenschaftler*innen unter Leitung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) gezeigt, dass die staatlichen Grenzwerte für Pestizide in der Regel zu hoch angesetzt sind und selbst diese zu hohen Werte in über 80 Prozent der Gewässer noch überschritten werden.

Selbst gesteckte Ziele der Bayerischen Landesregierung

Am 3. April 2019 verkündete Ministerpräsident Markus Söder, dass die Regierung unser Volksbegehren Artenvielfalt - Naturschönheiten in Bayern annehmen und mit einem Begleitgesetz „verbessern und versöhnen“ werde. Dazu gehörte auch ein Maßnahmenkatalog mit nichtgesetzlichen Vorschlägen.

Ein Vorschlag lautet: die bayernweite Halbierung des Einsatzes chemischer Pflanzenschutzmittel bis 2028.

Ziele müssen messbar sein - Viele Unklarheiten auf Seiten der Politik

Pestizide | © Thomas Staab © Thomas Staab
Bisher lagen keinerlei Daten über den Pestizideinsatz in Bayern vor, womit messbare Reduktionsziele und die Grundlage für ein Reduktionsprogramm völlig fehlen.

Die Landesregierung lässt dabei aber völlig offen, was damit eigentlich gemeint ist. Was genau soll überhaupt reduziert werden?

  • die mit Pestiziden behandelte Fläche?
  • die ausgebrachte Menge?
  • die Anzahl der Anwendungen?

Unklar ist auch, ob die bayerischen Ziele mit den neuen Vorgaben der europäischen Kommission übereinstimmen. Diese fordert in der Farm to Fork Strategie und im jüngst veröffentlichten Kommissionsvorschlag einer EU-Verordnung für eine nachhaltige Anwendung von Pflanzenschutzmitteln eine Halbierung chemischer Mittel, das schließt anorganische (nicht-synthetische) Mittel (z.B. Schwefel) ein.

Außerdem lagen bisher keinerlei Daten über den Pestizideinsatz in Bayern vor, womit messbare Reduktionsziele und die Grundlage für ein Reduktionsprogramm völlig fehlen.

So haben wir die Daten für den Pestizidbericht erhoben

Mit den bundesweit erhobenen Daten des staatlichen Julius-Kühn-Instituts (JKI) liegen für die wichtigsten landwirtschaftlichen Kulturen Durchschnittswerte von mehr als 1.300 Testbetrieben aus ganz Deutschland vor. Diese Daten zum durchschnittlichen Pestizideinsatz haben wir auf die Anbaufläche der jeweiligen landwirtschaftlichen Kultur in Bayern übertragen. Dies liefert eine stabile Datengrundlage für rund 80 % der Anbaufläche.

Die Daten des JKI für die in Bayern angebauten Fruchtarten sind momentan die einzige Möglichkeit, um zu einer Einschätzung des Pestizideinsatzes in Bayern zu kommen.

Der Pestizidbericht zieht erstmalig eine „Baseline“ für den landwirtschaftlichen Pestizideinsatz in Bayern und liefert der Politik einen ersten Referenzwert für die dringend notwendige Pestizidreduktion bis 2028.

Ergebnisse

Auf Grundlage von bundesweit erhobenen Durchschnittswerten für 2019 wurde für die neun Kulturen Winterweizen, Winterraps, Wintergerste, Mais, Zuckerrüben, Kartoffeln, Wein, Hopfen und Äpfel abgeleitet, dass in Bayern anteilig je nach Anwendungsgruppe ca. 6-15 % der in Deutschland verwendeten Pestizide eingesetzt werden.

Insgesamt wurden im Jahr 2019 ca. 3.600 Tonnen Pestizide in Bayern ausgebracht.

  • Im Durchschnitt werden die neun betrachteten Kulturen 8,3-mal im Jahr mit Pestiziden behandelt. Bei einer Anbaufläche von rund 1,4 Millionen Hektar für diese Kulturen ergibt das eine kumulativ mit Pestiziden behandelte Fläche von rund 12 Millionen Hektar.
  • Bei einem Reduktionsziel von 50 % ergäbe sich für Bayern ein Reduktionsziel von ca. 1.700 Tonnen.

Vorschlag zur Zieldefinition

Toxic Load Bayern
Verteilung kumulativ behandelte Fläche, Total Toxic Load, Summe ausgebrachte Menge und Toxic Load/ha in Bayern (2019) nach Fruchtart
  • Aus ökologischer Sicht sind Reduktionsziele zu wählen, bei denen möglichst große Flächen pestizidfrei bewirtschaftet werden. Eine bloße Mengenreduktion ist abzulehnen. Eine Mengenreduktion könnte unter Umständen nur dazu führen das wirksamere Pestizide in kleinerer Menge pro Hektar ausgebracht werden. Das würde die Probleme, die durch den Pestizideinsatz verursacht werden, nicht verringern und möglicherweise sogar verschärfen. Der Einsatz an sich muss reduziert werden, nicht die Aufwandmenge pro Hektar.
  • In manchen Kulturen (z. B. Weizen, Mais, Wintergerste) ist eine Reduktion einfacher zu erreichen als in anderen (z. B. Äpfel, Wein und Hopfen). In Weizen, Mais und Wintergerste kann mit praktikablen agronomischen Maßnahmen (weitere Fruchtfolgen, Streifenanbau, robustere Sorten, Blühstreifen, strikte Einhaltung des Schadschwellenprinzips, mechanische Beikrautkontrolle) der Pestizideinsatz vermieden werden.
  • Eine Reduktion von Risiken (z.B. Stoffeinträge in Gewässer, Biotope) ist nicht flächendeckend kontrollierbar oder messbar und adressiert nicht die grundsätzlichen Probleme z.B. Verlust der Artenvielfalt auf den landwirtschaftlichen Flächen. Grundsätzlich ist es sinnvoller die Exposition - also den Einsatz von Pestiziden zu verringern - als zu versuchen die Risiken für Umwelt und Gesundheit durch Technologien oder Auflagen zu verringern.

 

 

Was könnte eine mögliche Strategie zur Umsetzung des Ziels sein?

Es wurden verschiedene Reduktionspfade anhand vorhandener Praxisbeispiele modelliert. Allein eine pestizidfreie Weizenbewirtschaftung nach dem Modell „KraichgauKorn®“ würde in Bayern etwa 30 % aller chemisch-synthetischen Pestizide einsparen und über 40 % der Pestizidbelastung. Fast 25 % der Ackerfläche wären damit pestizidfrei. In Kombination mit einem Pestizidreduktionsprogramm nach schweizerischem Vorbild (IP Suisse) könnte sogar eine Pestizidreduktion von über 80 % im Vergleich zum Status-quo erreicht werden.

Winterweizen und Wintergerste machen zusammen mit Mais (Silo & Körnermais) über 80 % der Toxic Load und der kumulativ behandelten Fläche in Bayern aus. Mit einem kompletten Verzicht auf den Pestizideinsatz in diesen drei Kulturen könnte man also über 80 % Reduktion der landesweiten Pestizidbelastung (als Toxic Load) erreichen. Gleichzeitig wären rund 1,2 Millionen Hektar (>60 %) der bayerischen Ackerfläche pestizidfrei.

Aus ökologischer Sicht sind Reduktionsziele wie „pestizidfreies Getreide einschl. Mais“ wesentlich zielführender als die angekündigten Mengenreduktionen durch die bayerische Staatsregierung oder durch die europäische Kommission.

Vom Ziel zur Umsetzung - Was muss geschehen, damit nötige Maßnahmen umgesetzt werden?

  • Ausreichende Finanzmittel:
    Eine Pestizidreduktionsstrategie muss mit ausreichend finanziellen Mitteln ausgestattet sein. Hierfür sind die entsprechenden Agrarförderprogramme aufzustocken. Der Förderung des Ökolandbaus und der Unterstützung von „pestizidfrei“-Initiativen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Die Behörden können hier u.a. als Moderator zwischen Erzeuge*innen, Verarbeiter*innen und Verbraucher*innen fungieren.
  • Bildung:
    Die Pflanzenschutzämter und Berufsschulen müssen verstärkt Maßnahmen zur Vermeidung des Pestizideinsatzes und nicht-chemische Verfahren an die Betriebe/Auszubildenden vermitteln.
  • Überwachung:
    Ein landesweites Monitoring zum Erfolg der Pestizidreduktion ist zwingend notwendig! Durch Nachverdichtung des JKI-Testbetriebsnetzes und/oder durch eine standardisierte, elektronische Erfassung, Übermittlung und Auswertung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen zum Pflanzenschutzeinsatz (§ 11 PflSchG) in landwirtschaftlichen Betrieben wäre ein solches Monitoring mit vergleichsweise geringem Aufwand möglich.

Warum sind hier nur Maßnahmen für die Landwirtschaft aufgelistet?

Der Pestizidbericht legt den Fokus auf die Landwirtschaft, da hier deutschlandweit der Hauptanteil der Pestizide eingesetzt wird. Mangels Daten für Anwendungen außerhalb der Landwirtschaft (z. B. Kommunen, Verkehrsbetriebe, private Anwender/-innen) werden diese hier nicht adressiert. In einer Pestizidreduktionsstrategie des Landes sollten diese Bereiche jedoch miteinbezogen werden.

 

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