Interview mit DAV-Vizepräsident Rudi Erlacher zur Freizeitnutzung der Alpen
Wettlauf mit immer neuen Sportarten
Der rücksichtslose Wettbewerb unter den Skipistenbetreibern und der steigende Freizeitdruck mit immer neuen Outdoor-Aktivitäten lassen kaum noch unberührte Natur in den Alpen übrig. Im LBV-Interview schildert DAV-Vizepräsident Rudi Erlacher, wie man als Verband versucht, diese Erschließungs- und Nutzungswelle einzudämmen.
LBV: Herr Erlacher, Sie sind Vizepräsident des DAV und bekleiden noch viele weitere Ämter, die mit dem Thema Alpen zusammenhängen. Wie ist Ihr persönlicher Bezug zu den Bergen?
Rudi Erlacher: Ich bin in Kreuth am Tegernsee aufgewachsen, meine Eltern waren schon Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre skibegeistert. So war meine Mutter im Winter 1948 über zwanzig Mal am Hirschberg – mit den Fellen – um am Gipfelhang Slalom zu trainieren! Und mein Großvater war mit mir als junger Bub auf den Jägersteigen in den Hauptdolomit-Schluchten wie zum Beispiel in den „Toten Gräben“ unterwegs, da habe ich sozusagen die Natur geatmet.
Und später?
Später bin ich dann über die Bergpassion zum Naturschutz gekommen, als die Almerschließungen in Oberbayern Anfang der 1990er Jahre mit der Erschließung der Rauheckalmen am Hirschberg, der Moosenalm am Schafreiter und der Lerchkogelalmen in den Karwendelvorbergen nochmals richtig Fahrt aufgenommen haben.
Eine neue Erschließungswelle rollt über die Alpen. Aus 2er- werden 6er-Sessellifte. Die Beschneiung wird weiter nach oben gelegt, da die gebauten Speicherteiche nicht mehr ausreichen. Ein Erschließungsende scheint nicht in Sicht?
Wir beobachten leider keine Konsolidierung der Situation, wie man sie angesichts rückläufiger Zahlen bei den Skifahrern und den Schwierigkeiten mit dem Klimawandel erwarten würde. Vielmehr ist unter den Betreibern ein Kampf um die Poleposition entbrannt, ein knallharter Verdrängungswettbewerb. Was zählt sind die Pistenkilometer, mit denen ein Skigebiet in den Reisekatalogen protzen kann. Das sind quasi die PS der Destinationen.
Und wie wird dieser Kampf geführt?
Um hier vorne mitzuspielen, werden Skigebiete über letzte unberührte Hochtäler und Kämme hinweg zusammengeschlossen – eine neue Offensive! Skifahrer haben jedoch nichts davon, ob es nun 150 Kilometer oder 250 Kilometer sind.
VS: Stichwort „Overtourism“: Zum Thema Mountainbiken gab es ja in jüngster Zeit einige Info-Veranstaltungen. Mit dem E-Mountainbike wird die Situation auf eine weitere Zerreißprobe gestellt. Als Reaktion auf den wachsenden Freizeitdruck haben LBV und DAV gemeinsame Kletterkonzepte erstellt. Der DAV bietet umweltfreundliches Skibergsteigen und unterstützt die Initiative der Bergsteigerdörfer etc. Glauben Sie, dass wir allein mit Konzepten, die auf Freiwilligkeit basieren, die Entwicklung in den Alpen in den Griff bekommen?
Dem DAV geht es mit dem Schutz des alpinen Raums schon so ähnlich wie in der Fabel dem Hasen mit dem Igel: „Ich bin schon da“, lächeln ihm die Erfinder neuer Sportarten siegesgewiss entgegen, wenn er gerade erst die vorletzte Erfindung im Freizeitbetrieb mit viel Werbung um Akzeptanz einigermaßen in geordnete Bahnen gebracht hat.
Das heißt konkret?
LBV und DAV waren ja letztes Jahr bei der Feier des neuen Kletterkonzepts an den Felsen rund um den Kochelsee dabei, und wir haben uns über den Schulterschluss von Kletterern und Vogelschützern gefreut. Jetzt hat man mit dem Berg-Pedelec oder auch kürzer E-Mountainbike eine Idee entwickelt, wie man die Schranke der Schwerkraft elegant umfahren kann. Das wird eine ganz harte Nuss für den Schutz des alpinen Raums.
Es geht ja nicht darum, ob zünftige Senioren noch ein paar Jahre länger in die Berge kommen können, sondern um die Kommodifizierung des alpinen Raums, das heißt die flächendeckende Kommerzialisierung des Faszinationspotenzials der Alpen. Dem öffnet man gerade Tür und Tor. Wir sind hier vor einer Richtungsentscheidung, das haben leider bisher nur die wenigsten erkannt.
Ein Artikel über Sie war jüngst betitelt: „Die Alpen – zu Tode geliebt“. Was ist Ihre persönliche Vision, wie zukünftig Freizeit und Erholung in den Alpen aussieht? Fährt der Bergsportler 2050 beispielsweise noch Ski?
Die Antwort läuft auf das Thema „Betretungsrecht“ hinaus. Dieses ist ein hohes Gut, das erst politisch erkämpft werden musste, und es kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Aber, wie bei vielen Rechten sind damit auch Pflichten verknüpft.
Schon heute weisen die Alpenvereinskarten des bayerischen Alpensaums Schutzzonen aus, in welche die Skitourengeher nicht hineinfahren sollen. Gegebenenfalls freiwillig verzichten heißt die Maxime der Kampagne „Natürlich auf Tour“.
Und das Betretungsrecht?
Das freie Betretungsrecht wird dann Bestand haben, wenn es in der Praxis mit Vorsicht und Rücksicht interpretiert wird. An einer entsprechenden Kultur des Bergsports müssen wir arbeiten. Dann fährt der Bergsportler 2050 auch noch Ski. Es wird vom konsequenten Klimaschutz in den nächsten Jahren abhängen, ob mit einer Träne im Auge oder nicht.
Über Rudi Erlacher
Jahrgang 1949, ist in einem Skifahrerhaushalt in Kreuth am Tegernsee aufgewachsen. Der studierte Physiker entdeckte schon früh die Faszination des Skitourengehens und Kletterns, entwickelte mit Mitte 20 einen kritischen Blick auf den Pistentourismus und erfand Jahre später die erste dynamische Klettersteigbremse. Wegen Erschließungen in den heimischen Bergen begann er sich Anfang der Neunziger verstärkt im Naturschutz zu engagieren. Seit 2003 ist er Mitglied im Vorstand des Vereins zum Schutz der Bergwelt; 2015 wurde er ins Präsidium des Deutschen Alpenvereins gewählt.
Interview: Michael Schödl
Der Text wurde zuerst im LBV-Magazin "Vogelschutz" 02/2019 abgedruckt (S. 16/17)