Bürgerpower, Regierung, Runder Tisch

Eine Chronologie der dramatischen Ereignisse

Wenige Tage nach dem sensationellen Erfolg des Volksbegehrens Artenvielfalt begannen die Verhandlungen am Runden Tisch. Alle am Naturschutz in Bayern beteiligten Verbände sollten hierbei zusammen weitergehende Lösungen entwickeln. Während unter den Beteiligten respektvoll und sachlich verhandelt wurde, mussten sich die Initiatoren und die Regierungskoalition in der Öffentlichkeit zum Teil sehr unsachlicher Kritik seitens des Bayerischen Bauernverbands erwehren.

Kleiner Fuchs (Schmetterling) sitzt auf einer Blüte neben einem Acker  | © Dr. Eberhard Pfeuffer © Dr. Eberhard Pfeuffer

Volksbegehren war das erfolgreichste in der Geschichte Bayerns

Schlange vor dem Marienplatz in München zur Eintragung fürs Volksbegehren | © LBV © LBV
Mancherorts wie hier in München waren die Menschenschlangen zur Eintragung für das Volksbegehren mehrere hundert Meter lang

Unser Volksbegehren Artenvielfalt „Rettet die Bienen!“ war spektakulär erfolgreich. Genau 1.741.017 Bürgerinnen und Bürger und damit 18,3 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung in Bayern haben sich zwischen dem 31. Januar und 13. Februar 2019 in den Rathäusern dafür eingetragen.

Dieser Erfolg wird noch beeindruckender, wenn man bedenkt, dass die Einschreibungsfrist mitten im Winter lag – also in einer Zeit, in der die Bevölkerung eher nicht an Bienen, Schmetterlinge und Feldlerchen denkt.

Insgesamt war das Volksbegehren nicht nur das erfolgreichste in der Geschichte des Freistaats, sondern es entstand daraus eine Massenbewegung, deren Umfang weit über die oben genannte Anzahl der Unterschriften hinausgeht.

Die Menschen haben eine tiefe Sorge um unsere Biologische Vielfalt, unsere Tier- und Pflanzenarten, unsere Landschaft. Diese Sorge und die Sehnsucht nach mehr Natur haben unser Volksbegehren so erfolgreich gemacht, und das überall in Bayern: In jedem einzelnen Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt haben wir die Zehn-Prozent-Hürde geknackt. 

Runder Tisch & Fachgruppen rund eine Woche nach dem Eintragungszeitraum

Runder Tisch zum Volksbegehren Artenvielfalt | © DPA © DPA

Schon während der Eintragungsfrist sah sich Ministerpräsident Markus Söder gezwungen, seine zunächst angekündigte Zurückhaltung aufzugeben und sich zu positionieren. Anfangs äußerte er große Skepsis, wenige Tage später kündigte er einen vom ehemaligen Landtagspräsidenten Alois Glück moderierten Runden Tisch an. Ziel sollte es sein, die Kluft zwischen Landwirtschaft und Naturschutz zu überbrücken.

Außerdem sollte Bayern zu einem Vorzeigeland des Artenschutzes und alle gesellschaftlichen Gruppen beteiligt werden. Bereits eine Woche nach dem historischen Erfolg des Volksbegehrens Mitte Februar startete der Runde Tisch in der Staatskanzlei.

30 Verbände aus Naturschutz, Landwirtschaft, Forst, Jagd, Fischerei und Imkerei saßen zusammen und arbeiteten später in vier Fachgruppen zu den Themen Landschaft, Wald, Gewässer und urbane Räume.

Ergebnisse speisten die Moderatoren der Fachgruppen in die nächsten Sitzungen des Runden Tischs ein, und am 26. April legte Alois Glück einen 80-seitigen Bericht vor. In der Arbeitsgruppe Landwirtschaft war es vor allem darum gegangen, Kritikpunkte und Befürchtungen der Landwirte zu erörtern und Detailregelungen für die Umsetzung zu erarbeiten. Dies war ein intensiver und konstruktiver Prozess, bei dem nahezu alle Fragen geklärt werden konnten.

Der LBV hat für den Trägerkreis zahlreiche Vorschläge in die Arbeitsgruppen eingebracht, von denen sich viele im Begleitgesetz wiederfinden.

3. April: Staatsregierung nimmt Volksbegehren überraschend an

Trägerkreis des Volksbegehrens Artenvielfalt: Claus Obermeier, Norbert Schäffer, Agnes Becker und Ludwig Hartmann tragen ein Banner vor sich | © LBV © LBV
Trägerkreis des Volksbegehrens Artenvielfalt: Claus Obermeier (GLUS), Norbert Schäffer (LBV), Agnes Becker (ÖDP) und Ludwig Hartmann (GRÜNE)

Parallel dazu lief die vierwöchige Frist nach Bekanntmachung des offiziellen Ergebnisses (am 14. März) des Volksbegehrens ab, und mit Spannung wurde die Stellungnahme der Staatsregierung erwartet, die entweder dem Landtag empfehlen konnte, das Volksbegehren anzunehmen, oder einen alternativen Gesetzentwurf vorzuschlagen, der dann in einem Volksentscheid zur Abstimmung gekommen wäre.

Am 3. April verkündete Ministerpräsident Markus Söder gemeinsam mit dem Parteivorsitzenden der Freien Wähler und den Fraktionschefs der Regierungsparteien völlig überraschend, dass die Regierung das Volksbegehren annehmen und mit einem Begleitgesetz „verbessern und versöhnen“ werde.

Er teilte auch mit, dass die Staatsregierung in allen Punkten der rechtlichen Einschätzung des Trägerkreises zustimme, dass das Volksbegehren umsetzbar sei. Befremdlich und niveaulos waren hingegen wiederholte Äußerungen des Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger, der auch danach noch das Volksbegehren unter anderem als „großen Mist“ bezeichnete.

Massive Unruhe beim Bauernverband

Kiebitz steht auf einem Feld, frontale Aufnahme | © Hans Clausen © Hans Clausen
Der Kiebitz brütet vorrangig auf Feldern. Sein Bestand ist global bedroht.

Bereits im Januar startete der Bayerische Bauernverband eine Gegenkampagne, die zunächst einfach behauptete, die Landwirte würden an den Pranger gestellt.

Dies haben aber weder der LBV noch unsere Mitglieder getan: Es sind ganz sachliche Gründe, warum sich die meisten Vorgaben des Volksbegehrens an die Landwirtschaft richten: Alle Indikatoren der Biologischen Vielfalt zeigen, dass der Rückgang der Artenvielfalt im Acker- und Grünland seit Jahrzehnten anhält und dramatische Ausmaße angenommen hat.

In Siedlungsgebieten und im Wald ist die Artenvielfalt hingegen verhältnismäßig stabil. Hinzu kommt, dass Landwirte knapp die Hälfte der Fläche Bayerns bewirtschaften und damit verantwortlich für den Zustand dieser Flächen sind.

Sogar mit dem offiziellen Logo des Bauernverbandes kursierten skurrile Informationen, z.B. an Pferdehalter, dass sie ihre Pferde in Zukunft nicht mehr auf die Weiden führen könnten.

 

Falsch gestreute Informationen ließen Bauern Sturm laufen

Der Dialog am Runden Tisch hingegen war sachlich und führte zu einvernehmlichen Ergebnissen. An der Basis des Bauernverbandes rumorte es aber weiter. Viele zuvor gestreute falsche Informationen wie etwa zum Wegfall von Förderungen, zu angeblich verpflichtenden Mahdterminen und zu angeblichem Nutzungsverbot von Streuobstwiesen ließen etliche Landwirte Sturm laufen.

Der nun von seiner Basis unter Druck geratene Bauernverband kündigte an, alle Landtagsabgeordneten intensiv zu bearbeiten, auch um eine stärkere Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen zu erreichen. Dies führte zu dem ungewöhnlichen Umstand, dass auch die Regierungskoalition Änderungen an ihrem selbst eingebrachten Gesetzesvorschlag einbrachte.

Bei einem von uns veranstalteten parlamentarischen Frühstück am 5. Juni appellierten wir an die Fraktionen, allen Änderungsanträgen mit Mehrwert für die Biologische Vielfalt zuzustimmen, und für ein Vermächtnis an zukünftige Generationen parteipolitische Motive hintenanzustellen.

Leider konnten sich die Regierungsfraktionen nicht dazu durchringen, und sämtliche elf Änderungsanträge von Bündnis 90/ Die Grünen und SPD wurden abgewiesen.

Heftiger Kampf um Streuobstwiesen

Streuobstwiese bei Schleifhausen vor und nach der Obstbaumfällung. Oben ist vorher mit vielen blütenreichen Bäumen, unten sieht man das nachher mit einem Acker und zwei Traktoren | © LBV © LBV

Angesichts des Verlustes von über 15 Millionen Streuobstbäumen in den vergangenen Jahrzehnten, hatte das Volksbegehren diesen äußerst artenreichen Lebensraum unter besonderen Schutz gestellt. Das Bayerische Naturschutzgesetz verbietet nun eine erhebliche Beeinträchtigung oder Zerstörung des Lebensraumes, nicht aber eine übliche Nutzung und Pflege. Dies belegte der LBV mit einem Rechtsgutachten.

Dennoch wurden auch bei diesem Thema in Landwirtschaftskreisen hartnäckig Falschinformationen verbreitet und behauptet, die Streuobstwiesen seien in Zukunft nicht mehr nutzbar und es handele sich um Enteignung. Manche Landwirte machten ihre Drohungen wahr und begingen Naturfrevel, indem sie mehrere tausend Obstbäume während der Vogel-Brutzeit mit der Motorsäge eliminierten.

Der LBV stellte Strafanzeige in mehreren gut dokumentierten Fällen, wies mit großer Deutlichkeit in zahlreichen Interviews auf die Illegalität dieser Aktionen hin und drängte die Ministerien zum Einschreiten.

Umweltminister Thorsten Glauber stellte sich nicht mit aller Klarheit vor die Streuobstwiesen, sondern machte sich daran, die Definition von Streuobstwiesen zu verändern.

Ende gut, alles gut?

Nach der Annahme von Volksbegehren und Begleitgesetz im Landtag entscheidet sich im Herbst bei den Beschlüssen zum Nachtragshaushalt, ob die Regierungskoalition ihr Wort hält.

Beispielsweise müssen die neuen Personalstellen für die 50 Biodiversitätsberater und die 50 Wildlebensraumberater in den Haushalt eingestellt werden. Ebenso müssen die Mittel zur Förderung des Ökolandbaus erhöht und das Vertragsnaturschutzprogramm massiv aufgestockt werden.

Dann können wir zuversichtlich sein, dass sich unsere Ausdauer beim Kampf für den Erhalt der Artenvielfalt in messbaren Fortschritten niederschlägt.

Der LBV wird deshalb genau darauf achten, ob die neuen Gesetze in den kommenden Jahren auch eingehalten werden. 

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