VOGELSCHUTZ 4-21

FOTOS: PETER BRIA, OLIVER WITTIG, ANDREAS HARTL Regelmäßig habe ich im Laufe meiner Dienstzeit die Frage gehört: Warum kommen immer weniger Vögel zu uns in den Garten? Einer der möglichen Gründe dafür ist schnell zu finden. Wenn der höchste Baum im Garten die Hängekätzchenweide mit 1,20 Meter ist und dort, wo der Hausbaum hingehört, nur eine Wäschespinne steht, brauchen wir uns nicht zu wundern. In den Gärten unserer Großeltern oder Urgroßeltern gab es bis in die 1970er Jahre noch viele alte Obstbäume. Meistens waren das Halbstämme mit einer Stammhöhe von circa 1,20 Meter oder auch Hochstämme mit 1,60 Meter. In ihnen fanden nicht nur Vögel und Insekten eine Zuflucht, sondern auch die Kinder spielten, kletterten und versteckten sich dort gern. Gleichzeitig waren sie eine Quelle für frisches, wirklich ausgereiftes Obst zum direkten Verzehr oder natürlich auch zum Einlagern. Es gab Äpfel, Birnen, Kirschen, Zwetschgen, Reineclauden, Mirabellen, Quitten, in Weinbaugebieten auch Pfirsiche und manchmal sogar Aprikosen. Sonnenwarme, frisch gepflückte Früchte sind kein Vergleich zu Obst aus dem Foodtainer im Supermarkt. Die Vielfalt an alten Apfel- und Birnensorten ist immens und bietet eine unglaubliche Geschmacksbreite. So gibt es zum Beispiel spezielle Sorten wie Gelder Edelapfel für Apfelmus, Boskoop zum Backen, Rheinischer Bohnapfel zum Mosten und viele mehr. Dörfer und Ortschaften waren häufig von einem „Obstgürtel“ umgeben, der für eine hervorragende Vernetzung mit der Landschaft sorgte. Diesen wichtigen Lebensraum führten weiter draußen dann die Streuobstwiesen weiter. Dieses kleine Paradies vor der Haustür ist auch heute machbar, wenn wir wieder Halbstämme pflanzen und bei viel Platz auch mal einen Hochstamm. Schwachwachsende „Ein kleines Paradies vor der Haustür ist möglich“ VOGELSCHUTZ 1|22 41 Nicht nur wir essen gerne leckeres Obst aus dem eigenen Garten, auch der Siebenschläfer verschmäht es nicht. Buschbäumchen sind hingegen für unsere Vogelwelt von geringem Nutzen, da sie viel zu niedrig sind und keinen Schutz bieten. In diesen Mini-Obstbäumchen können sich niemals die so wichtigen Höhlungen und Spalten bilden, die beispielsweise für Fledermäuse sehr interessant sind. Obstbäume brauchen einen Pflanz-, Erziehungs- und Erhaltungsschnitt. Aber das ist alles keine Zauberei. Die meisten Obst- und Gartenbauvereine bieten Obstbaumschneidekurse an. In Bayern kann sich jede und jeder an die Kreisfachberater und -beraterinnnen für Gartenkultur und Landespflege an den Landratsämtern wenden, die weiterhelfen können, auch was Sorten und Bezugsquellen angeht. Auf großen, mit Obstbäumen bestandenen Wiesen pulsiert das Leben. So können wir dort selbst Grasfrösche, Erdkröten, Blindschleichen und Eidechsen antreffen. Das Obst schätzen Schmetterlinge wie der seltene Trauermantel, der vor allem an überreifen Früchten saugt. Das Angebot für heimische Tiere noch weiter steigern können am Wiesenrand Hecken aus heimischen Gehölzen, Totholz in Form von abgestorbenen Obstbäumen oder als Totholz-, Altgras-, oder Komposthaufen. Eine kleine Wasserstelle macht das Angebot dann fast perfekt. Ein Hausbaum für Specht und Hängematte Gut geeignet sind Obstbäume auch als sogenannter Hausbaum. Sie bieten Schatten, Blüten, Früchte und Herbstdekor. Unter einem Baum ist das Kleinklima viel angenehmer als unter einer Markise, und in Zeiten der Klimaerwärmung helfen große Bäume, die Temperaturen und Luftfeuchtigkeit im Sommer zu verbessern. Zugleich ermöglichen die künftig milderen Temperaturen die Anpflanzung von Esskastanien, die sehr hitzeresistent sind, und bei passendem Boden auch von Maulbeere oder Speierling. Und wenn denn Obstbäume absterben, sollten diese als wertvolles Totholz erhalten werden. Sie bieten dann noch vielen Tieren eine Kinderstube und Möglichkeit zur Nahrungssuche. Spechte im eigenen Garten beobachten zu können, ist ein besonderes Erlebnis – nicht nur für Kinder. Obstbäume machen Lust auf Gartenerlebnisse: in der Hängematte unter dem blühenden Apfelbaum träumen, die Kaffeetafel unter Obstbäumen im Freien genießen – warum nicht? Also packen wir es an, ganz im Sinne des bekannten Ausspruchs: „Und wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“

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