Fünf Jahre nach dem Volksbegehren Schon Bienen gerettet? VOGEL- UND NATURSCHUTZ IN BAYERN magazin 3|2024 Rebhuhn-Rettung Ein Projekt zeigt, wie der Biotopverbund wirken kann Ernsthaftes Engagement Trotz erster Erfolge muss die Politik große Herausforderungen angehen Persönlicher Beitrag Jede und jeder kann etwas für mehr Artenvielfalt tun
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LBV MAGAZIN 3|24 3 am 17. Juli 2019 nahm der Bayerische Landtag den Gesetzesentwurf des Volksbegehrens Artenvielfalt „Rettet die Bienen!“ an. Zusammen mit unseren Partnern ÖDP, Bündnis 90/Die Grünen und der Gregor Louisoder Umweltstiftung, vielen weiteren Unterstützenden und natürlich mit Ihnen haben wir damals Geschichte geschrieben und „Rettet die Bienen!“ zum erfolgreichsten Volksbegehren Bayerns gemacht, sodass die Politik endlich handeln musste. Zum Glück! Denn eine traurige Erkenntnis dieser Tage: Eine ähnliche Mobilisierung wie damals würden wir heute wahrscheinlich nicht mehr schaffen. Die Gesellschaft und die Politik haben sich in den letzten fünf Jahren maßgeblich verändert und die Prioritäten der Menschen sich so verschoben, dass der Artenschutz bei vielen, die damals noch bereitwillig unterschrieben haben, heute leider keine so große Rolle mehr spielt. Doch die stumme Krise der Vögel, Insekten und Pflanzen schreitet weiter voran. Nur gemeinsam mit Ihnen und anderen Gleichgesinnten können wir sie eindämmen und hoffentlich irgendwann überwinden. Daher bleiben Sie uns treu und erzählen Sie Ihren Freundinnen und Bekannten von uns, von unserer Arbeit, von der Bedeutung der Artenvielfalt und von unserer wunderschönen bayerischen Natur, die es unbedingt zu erhalten gilt. Liebe Leserinnen und Leser, Die Zeiten haben sich geändert Viel Spaß beim Lesen unserer Bilanz nach fünf Jahren! Ihr Markus Erlwein Chefredakteur Gruppenfoto im Maximilianeum: Im Rahmen der Fünf-Jahres-Bilanz des Volksbegehrens hatte der Landtag zu einer Veranstaltung eingeladen, zu der auch einige LBVler kommen durften. Das Volksbegehren im Landtag EDITORIAL FOTO: ANDREAS GREGOR Tagesaktuelle Nachrichten finden Sie unter lbv.de/newsletter lbv_bayern lbv.de VOGEL- UND NATURSCHUTZ IN BAYERN LBV magazin
4 LBV MAGAZIN 3|24 6 Im Fokus Natürlicher Hochwasserschutz 8 Leserbriefe 9 Kurzmeldungen 10 Standpunkt Dr. Norbert Schäffer 12 Licht & Schatten Was hat das Volksbegehren bisher gebracht? 16 So hat sich Bayern verändert Sichtbare Erfolge des Volksbegehrens 18 Reportage „Übers Nest geschaut“ Im Einsatz für das Rebhuhn 22 Interview Biobauer Amadé Billesberger 24 LBV-Schutzgebiet Die Streuobstflächen der Kreisgruppe Kitzingen 26 Spendenaktion Streuobstwiesen und Artenvielfalt bewahren 12 22 Umfassende Bilanz zu ersten Erfolgen und den großen Herausforderungen. Titelbild: Drei schlafende Sägehornbienen Männchen in der Blüte einer Moschus-Malve von Roland Günter FOTOS: RALF HOTZY, FRANZISKA WENGER (2), GUNTHER ZIEGER, MARK - STOCK.ADOBE.COM INHALT Die Bio-Landwirtschaft ist entscheidend für den Erhalt der Artenvielfalt. INHALT Mehr Informationen zur Berechnungsmethodik, zur Kompensation und dem gewählten GoldstandardKlimaschutzprojekt finden Sie unter klima-druck.de/ID. klima-druck.de ID-Nr. Druckprodukt CO₂ kompensiert 24178753 Dieses Druckerzeugnis ist mit dem Blauen Engel ausgezeichnet. www.blauer-engel.de/uz195 · ressourcenschonend und · umweltfreundlich hergestellt · emissionsarm gedruckt XW1 überwiegend aus Altpapier Sie lesen klimaneutral und umweltfreundlich 18 Gezielte Maßnahmen können das Verschwinden des Rebhuhns aufhalten. 16 Seit 2019 hat sich im Freistaat bereits einiges getan.
LBV MAGAZIN 3|24 5 36 All das können Sie gegen das Artensterben tun. Einhefter • Spenden-Überweisungsträger • Mitgliederwerbekarte 28 LBV AKTIV 34 NAJU Neues von der Naturschutzjugend 36 Garten + Ratgeber Persönlicher Beitrag zum Volksbegehren 40 Mitgliederservice Mitgliedschaft 41 Stiftung Treuhandstiftung übernimmt Namenspatenschaft für Bartgeier 42 Vorbild bayerisches Volksbegehren Niedersachsen, Baden-Württemberg, Japan 44 Umweltbildung Bayerns Umweltschulen ausgezeichnet 46 Erbschaft Guter Rat zum Thema Nachlass 47 Aus dem LBV • Biosphärenreservat Spessart • Ergebnisse Stunde der Gartenvögel 2024 48 Medien Buchempfehlungen 49 Kleinanzeigen 50 Impressum und Kontakte 42 Das bayerische Volksbegehren ist ein Exportschlager. WANDERRUCKSACK 09174-4775-7023 naturshop@lbv.de lbv-shop.de • 27 l Volumen • Frame Vent-Tragesystem • Wanderstockhalterung • Seitenkompression • Regenhülle • Belüftete Schultergurte • Handgriff • Trinksystemvorbereitung • Belüfteter Hüftgurt mit einer Reißverschlusstasche • Verwendung von recycelten Materialien • PFC-freie Imprägnierung • GREEN by Tatonka - ANZEIGE -
ISARAUEN | FOTO: DR. OLAF BRODERS 6 LBV MAGAZIN 3|24
Dynamisch windet sich das Wasser durch die bayerische Berglandschaft. Naturnahe Flusslandschaften wie diese bewahren nicht nur einen großen Artenschatz: Sie halten das Wasser viel länger in der Fläche als begradigte Bäche, sind somit Hochwasservorsorge und helfen zugleich gegen die zunehmende Trockenheit. Bayern muss deshalb zukünftig mehr auf natürliche Gewässer, wie hier an einem Abschnitt der Isar, setzen. Das haben die jüngsten Hochwasserereignisse im Freistaat verdeutlicht. WILD UND WIRKSAM LBV MAGAZIN 3|24 7
8 LBV MAGAZIN 3|24 LESERBRIEFE Ihre Meinung ist uns wichtig! Schreiben Sie uns unter leserbriefe@lbv.de oder per Post an Redaktion LBV magazin, Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein. Die Redaktion behält sich aus Platzgründen eine Auswahl und das Kürzen von Leserzuschriften vor. Leserbriefe geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. i Post Lesergedicht statt Leserbrief Meine Lieblinge der spotz, der fühlt si am wohlstn in seiner gang: dou blabbert und schmadzd er in seiner heggn und alle seine kumbl verstehn jeds word. die meisn sin schnell im kubf und nu schneller underwegs: neigflong ins voglhaisle, hinpickd, weggfloogn, und des alles in anner sekundn! is rodkehlchen is a stolzer bruder: schaud her: kanner is su schai wie iech! ihr brauchd bloss mei vorderseidn onschaue, dann wissd‘s wo der hammer hängd! und dann hommer den mönch, mid seiner schwarzn kabbn: der singd wie a zeiserl, abber seegn lässd der si schwer. und zu guder lezd hommer den besdn sänger: des is unser amsel: jeder kenns, abber ihr missd scho a weng neihörn, in ihrn gsang: dou mergd ihr glei, wer in der champions league vorn midspield! Gerhard Schlötter, 90513 Zirndorf FOTOS: C. DIETER UZELINO, CHRISTA STARK, MANUEL CHRIST Ein Paradies für Igel In unserem Garten bieten wir seit vielen Jahren Igeln einen Unterschlupf und versorgen sie mit Futter. Alle drei Igelhäuser sind über den Winter bewohnt. Mit einer Wildkamera überprüfen wir wöchentlich die Aktivitäten der Igel und bekommen dabei interessante Bilder. Nachbars Katze passt auf die Igel auf. Zurzeit kommen jede Nacht fünf bis acht Igel zum Fressen und Saufen. C. Dieter Uzelino, 96489 Niederfüllbach Mäusebussard mit Leuzismus Im November war ich als Flächenbetreuer in meinem Gebiet am Koppelsberg Weißenbrunn (Grünes Band BayernThüringen) unterwegs. Als ich am Froschgrundsee vorbeifuhr, flog plötzlich ein großer weißer Vogel über die Straße und setzte sich in einen Baum am See. Ich hielt sofort an und hatte glücklicherweise meine Kamera mit Teleobjektiv dabei. So konnte ich diesen wunderschönen Mäusebussard mit 100-prozentigem Leuzismus gut erwischen. Manuel Christ, 96472 Rödental Zum Artikel „Auf zur Schmetterlingssuche!“ (2/24) Schwalbenschwänze im Naturgarten Seit 13 Jahren habe ich eine Schwalbenschwanz-Population in meinem Garten. Jetzt ist wieder einer geschlüpft. Sie überwintern im Gewächshaus. Am 11. April war es dann soweit. Als Futterpflanzen habe ich Bergfenchel, Bronzefenchel und Wilde Möhre. Habe einen Naturgarten. Christa Stark, 83536 Gars am Inn
LBV auf der Landesgartenschau in Kirchheim Seit dem 15. Mai und noch bis zum 6. Oktober findet in Kirchheim die Landesgartenschau 2024 statt. Auch die LBV-Ortsgruppe Kirchheim-Aschheim-Feldkirchen ist dort mit einer eigenen Schaufläche vertreten, auf der Besucherinnen und Besucher erleben können, wie es gelingen kann, die Artenvielfalt im eigenen Garten zu fördern. Am Infostand stehen täglich LBV-Aktive bereit, um Fragen zum Thema naturnaher Garten zu beantworten und Infomaterial auszuhändigen. Auch verschiedene Aktivitäten wie Nisthilfen bauen oder Thementage zu Igeln, Fledermäusen oder Schmetterlingen stehen regelmäßig auf dem Programm. Genauere Infos zu allen Aktionen des LBV auf der Landesgartenschau unter: lbv-kirchheim-aschheim-feldkirchen.de Gezwitscher Zwei Bartgeier-Burschen für Bayern Zum vierten Mal haben der LBV und der Nationalpark Berchtesgaden in diesem Jahr zwei junge Bartgeier erfolgreich ausgewildert. Das Besondere in diesem Jahr: Zum ersten Mal konnten zwei Männchen aus dem europäischen Bartgeier-Zuchtnetzwerk für die deutsche Auswilderung zur Verfügung gestellt werden. Bei einem Festakt verkündete der Bayerische Ministerpräsident Dr. Markus Söder feierlich die Namen der beiden Vögel: „Wiggerl“ und „Vinzenz“. Seit 2021 konnten damit bereits acht Bartgeier ausgewildert werden. 140 Jahre nachdem der Mensch sie ausgerottet hat, fliegen die gefährdeten Giganten nun wieder durch die Lüfte der deutschen Alpen. Das Gemeinschaftsprojekt ist auf mindestens zehn Jahre angelegt und soll die zentraleuropäische alpine Population und dabei vor allem die Wiederansiedlung dieser seltenen Vogelart in den Ostalpen entscheidend unterstützen. Mehr unter: lbv.de/bartgeier-auf-reisen KURZMELDUNGEN FOTOS: TIMO HELLMUTH, STMUV, CLAUDIA WIEDENHOFER Gesucht: Vogel des Jahres 2025 Wer holt sich den Titel? Von 3. September bis zum 10. Oktober suchen der LBV und sein bundesweiter Partner NABU den Vogel des Jahres 2025. Auch in diesem Jahr erfolgt die Wahl öffentlich. Aus fünf Kandidaten können Sie online unter vogeldesjahres.de eine Stimme für Ihren Favoriten abgeben. Wer antritt, wird erst mit Start der Wahl bekannt gegeben. Eines haben aber alle Kandidaten gemeinsam: Jeder von ihnen steht für ein Naturschutzthema, das unsere Aufmerksamkeit braucht. Der Gewinner löst den Vogel des Jahres 2024, den Kiebitz, ab und beginnt seine Amtszeit am 1. Januar. Alle Infos unter: lbv.de/vogeldesjahres Fotowettbewerb für Kinder und Jugendliche „Schau doch mal hin!“ – unter diesem Motto sind Kinder und Jugendliche aus Bayern aufgerufen, die Vielfalt der bayerischen Natur zu erkunden: Der Fotowettbewerb „Natur im Fokus“ lädt Fotografinnen und Fotografen zwischen 7 und 18 Jahren ein, mit der Kamera oder dem Smartphone auf Entdeckungsreise in Bayerns Natur zu gehen und ihre besten Bilder einzureichen. Für die Motivwahl gibt es zwei Themen-Kategorien: Kategorie A „Berge, Felsen, Kieselsteine“ widmet sich Bayerns steinernen Naturwundern und den Lebensräumen, die diese vielfältigen Geotope bieten. In Kategorie B geht es um die „Bunte Vielfalt Bayerns“, in der das Entdecken der vielen verschiedenen Arten in Bayerns Natur gefragt ist. Das genaue Beobachten und Erkennen einzelner Arten wird darüber hinaus mit einem Sonderpreis des LBV gewürdigt, der seit 2023 Partner des Wettbewerbs ist. Einsendungen sind bis 30. September möglich unter natur-im-fokus.de LBV MAGAZIN 3|24 9
10 LBV MAGAZIN 3|24 THEMA DR. NORBERT SCHÄFFER LBV-VORSITZENDER Vor fünf Jahren, vom 31. Januar 2019 bis 13. Februar 2019, lief die Eintragungsfrist für das Volksbegehren Artenvielfalt „Rettet die Bienen!“. Viele von Ihnen werden sich an diese Zeit erinnern, viele haben das Volksbegehren unterschrieben oder sogar aktiv dafür geworben. Ich denke noch oft an diese Zeit, unbestritten die stressigste Zeit in meinem gesamten bisherigen beruflichen Leben. Wochenlang 18-Stunden Tage, jeden Abend an einem anderen Ort eine Veranstaltung, dazwischen Koordinationstreffen, Pressetermine, Besuche bei Aktionsgruppen. All das hat sich gelohnt! Hunderte von Organisationen und Tausende von Einzelpersonen, koordiniert durch den Trägerkreis des Volksbegehrens, bestehend aus LBV, Grünen, ÖDP und Gregor Louisoder Umweltstiftung, haben das Volksbegehren Artenvielfalt „Rettet die Bienen!“ zum erfolgreichsten Volksbegehren in der Geschichte Bayerns gemacht. Runder Tisch Volksbegehren Niemals vergessen werde ich auch die Zeit unmittelbar nach der Eintragungsfrist. Am Runden Tisch Volksbegehren und in zahlreichen Arbeitsgruppen haben sich die unterschiedlichsten Akteure zusammengefunden und um Lösungen gerungen. Der Runde Tisch selbst wurde von Alois Glück moderiert. Niemand hätte dies besser gekonnt, vielleicht wäre es keinem anderen Menschen gelungen, dies zum Erfolg zu führen. Am 17. Juli 2019 hat der Bayerische Landtag, sicherlich auch aus Bedenken vor einem drohenden Volksentscheid, nicht nur den Text des Volksbegehrens angenommen, sondern ist durch ein sogenanntes Begleit- oder Versöhnungsgesetz sowie einen vom Landtag beschlossenen, aber nicht rechtlich bindenden Maßnahmenkatalog, weit über das eigentliche Volksbegehren hinausgegangen. Eine Sternstunde für den Natur- und Artenschutz in Bayern, der auch vom Ministerpräsidenten als „Meilenstein“ und „Zeitenwende“ bezeichnet wurde. Nationale und internationale Aufmerksamkeit Unser Volksbegehren hat weit über die Grenzen Bayerns hinaus große Aufmerksamkeit erhalten. Ich erinnere mich noch gut an eine Naturschutzveranstaltung in Berlin, wenige Tage nach der Eintragungsfrist. Unser Volksbegehren war in aller Munde. In mehreren Bundesländern wurden ähnlichen Initiativen angestoßen. Presseanfragen kamen nicht nur aus zahlreichen europäischen Ländern, sondern bis aus Australien, USA und Japan. Und das Interesse hält noch immer an: erst im Mai 2024 hatten wir eine Delegation der Ecosystem Conservation Society aus Japan zu Besuch beim LBV. Die Kolleginnen und Kollegen haben unsere Aktivitäten über die Jahre sehr genau verfolgt und wollten nun im Detail wissen, wie die Umsetzung der angekündigten Maßnahmen läuft. Ohne Übertreibung hat unser Volksbegehren national und international sehr große Wellen geschlagen. Darauf dürfen wir alle stolz sein! Reaktionen der Landwirtschaft In unserem Volksbegehren ging es uns nie darum, über andere zu gewinnen, auch nicht über die Landwirtschaft. Wir konnten dem Rückgang unserer Biologischen Vielfalt, also der Tiere, Pflanzen und Lebensräume, insbesondere in unserer Agrarlandschaft nicht einfach zusehen. Ein „Weiter so“ konnte es nicht geben, wissen wir doch, dass wir in den vergangenen 40 Jahren weit über die Hälfte der Vögel in der Agrarlandschaft verloren haben. Rebhühner, Feldlerchen, Kiebitze und Braunkehlchen aber sind hervorragende Indikatoren für den Zustand unserer gesamten Biologischen Vielfalt. Wir wollten zeigen, dass die Menschen in Bayern mehr Natur- und Artenschutz wollen und hierfür haben wir durch unser Volksbegehren den rechtlichen Rahmen geschaffen. Mir ist durchaus bewusst, dass wir viele Landwirtinnen und Landwirte durch unser Volksbegehren verärgert STANDPUNKT uns erkämpft! All das haben wir Ohne Übertreibung hat das Volksbegehren sehr große Wellen geschlagen
LBV MAGAZIN 3|24 11 haben. Noch immer bemühen wir uns, die Gräben zu schließen. Landwirtinnen und Landwirte haben über die Jahrzehnte nichts Illegales getan, ich mache ihnen keinen Vorwurf für den in Teilen erbärmlichen Zustand unserer Tier- und Pflanzenwelt. Sie haben Lebensmittel und Energie produziert, wie die gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen ihnen dies vorgeben. Das Ergebnis aber ist ein kolossaler Verlust an Biologischer Vielfalt, vor allem an Leben im Offenland. Und dabei sind es gerade unsere Landwirtinnen und Landwirte, die von einer intakten Natur abhängig sind und unter den Folgen der Klimakrise und dem Verlust an Biologischer Vielfalt am meisten leiden. Nüchtern betrachtet, und davon bin ich fest überzeugt, haben unsere Landwirtinnen und Landwirte nicht durch das Volksbegehren gelitten. Ganz im Gegenteil: In vielen Bereichen profitieren gerade sie – mit gutem Recht – von den umfangreichen Geldern, die beispielsweise für Vertragsnaturschutz, Biolandwirtschaft oder den Bayerischen Streuobstpakt zur Verfügung gestellt werden. Zwischenbilanz Volksbegehren nach fünf Jahren Der Trägerkreis des Volksbegehrens verfolgt seit der Annahme des Gesetzespakets im Juli 2019 die Umsetzung des Volksbegehrens. Grundlage für unsere jährliche Bewertung ist ein Bericht eines Teams von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um Prof. Dr. Roman Lenz von der Hochschule Nürtingen. Im Juli 2024 haben wir eine erste umfangreiche Zwischenbilanz gezogen. Dabei wurde klar, dass wir mit unserem Volksbegehren einige beachtliche Erfolge erreicht haben, bei anderen Punkten stehen wir aber noch immer vor großen Herausforderungen. Details hierzu finden Sie in dieser Ausgabe unseres LBV magazins. Wir freuen uns über die Erfolge und werden uns auch in Zukunft sehr intensiv um die Punkte kümmern, bei denen es noch großen Handlungsbedarf gibt. Dr. Norbert Schäffer Am 15. Juli 2024 hat das Landtagspräsidium, anlässlich des fünften Jahrestages der Annahme des Volksbegehrens, zu einer Podiumsdiskussion in den Senatssaal des Maximilianeums eingeladen. Bei dieser Veranstaltung haben sich Umweltminister Thorsten Glauber und Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber ganz klar zu den Zielen des Volksbegehrens bekannt. Unser Volksbegehren löst sicherlich nicht alle unsere Probleme im Natur- und Artenschutz. Ich bin aber davon überzeugt, dass unser Volksbegehren, bei konsequenter Umsetzung aller Maßnahmen, das Potenzial hat, den Zusammenbruch unserer Biologischen Vielfalt aufzuhalten und zumindest einen Teil von dem zurückzubringen, was wir über Jahrzehnte verloren haben und so sehr vermissen. Durch unser Volksbegehren stehen wir deutlich besser da als ohne diese Initiative. Lassen Sie uns nicht vergessen: All das wurde uns nicht geschenkt, vielmehr haben wir uns all das mit großem Einsatz erkämpft! Danke an alle, die wo auch immer und wie auch immer, unser gemeinsames Volksbegehren unterstützt haben! SENATSSAAL BAYERISCHER LANDTAG I FOTO: ANDREAS GREGOR Wir haben in den letzten 40 Jahren über die Hälfte der Feldvögel verloren Folgen Sie mir auf X unter @N_Schaeffer
THEMA Was hat das Volksbegehren gebracht? Licht 12 LBV MAGAZIN 3|24 &
LBV MAGAZIN 3|24 13 FOTO: RALPH HOTZY Schatten Seit dem 1. August 2019 gilt in Bayern ein neues, besseres Naturschutzgesetz. Das hat der historische Erfolg des Volksbegehrens Artenvielfalt „Rettet die Bienen!“ vor fünf Jahren hervorgebracht. Das große Ziel war und ist es, den Rückgang der Artenvielfalt zu stoppen und unsere Landschaften wieder zu beleben. Fünf Jahre nachdem das neue Gesetz durch den Landtag verabschiedet wurde, ziehen wir als einer der vier Träger eine erste Bilanz. Von Anfang an hatte sich der Trägerkreis des Volksbegehrens aus ÖDP, LBV, den Grünen und der Gregor Louisoder Umweltstiftung dazu verpflichtet, die Umsetzung der neuen Ziele und Gesetze genau zu beobachten und zu evaluieren. Für ein wissenschaftliches Monitoring wurde ein Team von Experten um Prof. Dr. Roman Lenz von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) Nürtingen-Geislingen beauftragt. Die Daten für die Bewertung der Indikatoren stammen zu einem großen Teil aus Landtagsanfragen und liefern quantitative Werte zur Einschätzung der Zielerreichung. Darüber hinaus ist jedoch eine Bewertung der Qualität der durchgeführten Maßnahmen notwendig. Wald Eine erfreuliche Entwicklung zeigt sich diesbezüglich in den bayerischen Wäldern: Aktuell sind insgesamt rund 83.000 Hektar Staatswald rechtsverbindlich und dauerhaft als Naturwald ausgewiesen. Sie unterliegen damit keiner forstlichen Nutzung und werden einer natürlichen Entwicklung überlassen (Prozessschutz). Dies entspricht 10,6 Prozent des Staatswalds oder 3,2 Prozent der Gesamtwaldfläche Bayerns. Seit dem Volksbegehren wurden dafür rund 7.000 Hektar zusätzlich aus der Nutzung genommen. Kritisch zu sehen ist in diesem Zusammenhang das Hineinrechnen von insgesamt ca. 12.000 Hektar Latschenkiefergebüsch, in denen schon immer kein Holzeinschlag vorgesehen war. Naturwälder und Waldschutzgebiete sind ein wichtiger Baustein, um das Ökosystem Wald als gesamtes gesund und artenreich zu erhalten. Auf einem Großteil der Fläche brauchen wir naturnah bewirtschaftete klimastabile Wälder mit einem hohen Wert für die Biodiversität, die uns als Holzlieferanten dienen. Dort sollte beispielsweise der Anteil von stehendem und liegendem Totholz erhöht, eine vielfältige Altersstruktur geschaffen und auf eine Vielfalt der Baumarten Wert gelegt werden. Biotopverbund Eine weitere Vorgabe des Volksbegehrens an die Staatsregierung ist der Aufbau eines landesweiten Biotopverbundes, also eines Netzwerks ökologisch wertvoller Biotope in einer Landschaft. 15 Prozent des Offenlands sollen bis 2030 vernetzt sein, das Zwischenziel von zehn Prozent bis 2023 ist laut Angaben der Staatsregierung bereits erreicht. Der Biotopverbund wird derzeit über elf Flächentypen definiert, von denen ausgehend der Verbund entwickelt werden soll. Dazu zählen beispielsweise Naturschutzgebiete, FFH-Lebensräume und geschützte Naturdenkmäler, aber auch Flächen des Vertragsnaturschutzprogramms und ausgewählte Maßnahmen des Kulturlandschaftsprogramms genauso wie Flächen der Biotopkartierung und Ausgleichs- und Ersatzflächen. Die Qualität der derzeit in den Biotopverbund eingerechneten Kernflächen schwächelt jedoch aufgrund des schlechten Erhaltungszustands vieler FFH-Lebensräume, veralteter Daten der Biotopkartierung sowie mangelnder Umsetzung von Maßnahmen auf Ausgleichs- und Ersatzflächen. Damit der Biotopverbund auch tatsächlich einen Mehrwert für den Erhalt der Artenvielfalt liefern kann, Ein funktionierender Biotopverbund schafft Lebensräume und fördert die Artenvielfalt.
14 LBV MAGAZIN 3|24 THEMA müssen die Kernflächen in einen guten Zustand versetzt werden und insgesamt ein Zuwachs an Strukturen und artenreichen Lebensräumen in der Landschaft entstehen. Streuobst Erfreulicher sieht es hingegen beim Erhalt und Aufbau von Streuobstflächen aus. So wurde im Oktober 2021 infolge des Volksbegehrens der Bayerische Streuobstpakt verabschiedet, der den aktuellen Streuobstbestand in Bayern erhalten helfen soll und bis 2035 zusätzlich die Anpflanzung von einer Million Streuobstbäumen fördern will. Hier konnten bereits beeindruckende Fortschritte erzielt werden: Die Fördersätze für Pflanzung und Pflege von Streuobstbäumen wurden deutlich verbessert und es ist ein Anstieg von geförderten Pflegemaßnahmen und Baumpflanzungen zu verzeichnen. Darüber hinaus produzieren die bayerischen Baumschulen mehr Hochstamm-Obstbäume und es entstehen mehr Ausbildungsplätze für Streuobst-Baumpfleger. In ganz Bayern sind 27 Streuobstmanagerinnen und -manager im Einsatz, die vor Ort Ansprechpartner für Fragen zum Thema Streuobst sind. Ob es bereits mehr Streuobstbäume gibt, wird im Herbst 2024 die offizielle Bestandsmeldung zeigen. Trotz allem stellen Spätfröste und trockene Sommer sowie die Ausbreitung der Mistel weiterhin eine Gefahr für unsere Streuobstwiesen dar. Für diese müssen die Akteure des Streuobstpakts Lösungen finden. Gewässerrandstreifen Viel diskutiert wurden auch die mit dem Volksbegehren verbindlich eingeführten Gewässerrandstreifen von mindestens fünf Metern Breite (von der Uferlinie). Sie sollen Bodenerosion bei Hochwasser oder Starkregen verhindern und Nährstoffe sowie Feinmaterial zurückhalten. Als Puffer vor Pestiziden und Düngemitteln tragen sie zur Verbesserung der Wasserqualität bei. Die Acker- und Gartenbaunutzung ist dort untersagt. Derzeit ist in rund 85 Prozent der Landkreise die Ausweisung der Gewässerrandstreifen abgeschlossen. Vielerorts werden sie bereits umgesetzt. Naturnahe Gewässerrandstreifen sind auch für den Erhalt und die Vernetzung vielfältiger Lebensräume wichtig. Wenn auf ihnen blühende Hochstaudenfluren oder Gehölze entstehen dürfen, bieten sie Lebensraum für Vögel, Spinnen, Amphibien und zahlreiche Insekten. Dann können sie als lineare Elemente Lebensräume in ganz Bayern verbinden und somit zum Biotopverbund beitragen. Auf Grünland jedoch ist eine intensive Nutzung nicht ausgeschlossen. So gibt es keine Einschränkung zur Schnitthäufigkeit und der Abstand zum Gewässer für die Ausbringung von Dünger und Gülle ist je nach Hangneigung und Ausbringtechnik unterschiedlich geregelt. Ökolandbau Eine weitere Konsequenz aus dem Volksbegehren ist der Ausbau des Ökolandbaus auf 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Bayerns bis 2030. Zwar hat sich der Anteil ökologisch bewirtschafteter Flächen auf staatlichen Flächen seit 2019 erhöht, die Fördersätze für den Ökolandbau sind gestiegen und es findet ein Ausbau der Öko-Modellregionen statt. Insgesamt liegt jedoch der Anteil der ökologisch bewirtschafteten Fläche derzeit bei ca. 13 Prozent und damit noch weit unter dem gesteckten Ziel. Auch auf den staatlichen Flächen wird der Zielwert von 30 Prozent für das Jahr 2020 bislang nicht erreicht. Ein Hebel, um den Ökolandbau zu fördern, ist eine Steigerung von Bio-Produkten in öffentlichen Kantinen. Bisher liegen jedoch keine Daten dazu vor, wie groß der Anteil biologischer Produkte in bayerischen Kantinen ist. Eine verbindliche Quote von 50 Prozent Bio-Produkten beim Einkauf öffentlicher Lebensmittel Ökologisch wirtschaftende Betriebe leisten einen Beitrag zur Erhöhung der Artenvielfalt. Noch keine Trendwende beim Verlust der Biologischen Vielfalt FOTOS: DR. EBERHARD PFEUFFER, FRANZISKA WENGER
LBV MAGAZIN 3|24 15 sowie Verbraucheranreize für Bio-Produkte wären weitere zielführende Maßnahmen, um den Ökolandbau zu fördern. Pestizideinsatz Ein damit eng verbundenes Thema ist die infolge des Volksbegehrens definierte Halbierung des Einsatzes von Pestiziden bis zum Jahr 2028. Laut einem Bericht des Bayerischen Landwirtschaftsministeriums dazu sei der Pestizideinsatz laut Hochrechnungen im Jahr 2022 im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2018 um 19 Prozent gesunken. Wirklich aussagekräftig ist diese Angabe allein allerdings nicht. Wichtig wäre in diesem Zusammenhang eine Bewertung, die die Giftigkeit der Wirkstoffe berücksichtigt. Der derzeit von der Staatsregierung dafür verwendete Indikator wird in Fachkreisen stark kritisiert, weil er hochwirksame und giftige Pestizide kaum berücksichtigt und durch sinkende Verkaufszahlen von nicht mehr genehmigten Stoffen stark beeinflusst wird. Auch bleibt unklar, wie die Halbierung erreicht werden soll. Um hier eine Wirkung zu erzielen, müssten möglichst große Flächen pestizidfrei oder Kulturen, in denen ein Verzicht auf Pestizide vergleichsweise einfach ist, komplett pestizidfrei bewirtschaftet werden. Auch Pufferzonen um Schutzgebiete würden ökologisch einen großen Mehrwert bringen. Dauergrünland Arten- und strukturreiches Dauergrünland wurde durch das Volksbegehren unter Biotopschutz gestellt. Über die Entwicklung dieses Biotoptyps kann jedoch keine Aussage getroffen werden, da die Biotopkartierung nur schleppend vorangeht und keine ausreichenden Daten liefert. Darüber hinaus wurde durch das Volksbegehren festgelegt, dass zehn Prozent des bayerischen Grünlands erst nach dem 15. Juni gemäht werden sollen. Dieses Ziel wurde 2023 bayernweit erstmals erreicht und ist damit ein Erfolg des Volksbegehrens. Der Gesamtzustand der Wiesen im Freistaat ist jedoch weiterhin schlecht. Die EU hat Deutschland sogar vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt, da es blütenreiche Wiesen in Natura 2000-Gebieten nicht ausreichend schützt. Zu frühe und zu häufige Mahd, Düngung und die Umwandlung von Grünland in Siedlungs- oder Ackerflächen gefährden die wertvollen Wiesen. Um artenreiches Grünland zu bewahren, sind Maßnahmen wie spätere Mahd, zeitversetzte Mahd, höhere Schnitthöhen und das Belassen von ungemähten Streifen wichtig. Lichtverschmutzung Ein weiterer Ansatz des Volksbegehrens war die Lichtverschmutzung. So wurden die Kommunen in die Pflicht genommen, die Beleuchtung öffentlicher Gebäude nach 23 Uhr auszuschalten. Eine stichprobenartige Überprüfung bayerischer Innenstädte zeigt, dass die meisten Städte diese Vorgaben einhalten. Die Stichprobe umfasst jedoch keine Gemeinden. Hier ist davon auszugehen, dass die Umsetzung geringer ist als in Städten, da in kleinen Gemeinden die technischen Hürden zur Umsetzung häufig größer sind. Die Reduzierung der Beleuchtung öffentlicher Gebäude ist aber nur ein erster Schritt, um die negativen Folgen der Lichtverschmutzung zu reduzieren. Es kann an vielen weiteren Stellen auf unnötiges nächtliches Kunstlicht verzichtet werden oder die Beleuchtung insektenfreundlich gestaltet werden. Fazit Noch erleben wir im Freistaat keine Trendumkehr beim Verlust der Biologischen Vielfalt. Nach wie vor sind viele Arten gefährdet oder vom Aussterben bedroht, wie die aktuellen Roten Listen gefährdeter Arten darlegen. So gelten laut Roter Liste von 2021 51 Prozent aller Wildbienenarten als gefährdet. Auch der im März 2023 zum ersten Mal veröffentlichte Bericht zur Lage der Natur bestätigt die Dramatik des Verlusts der Artenvielfalt, insbesondere auf Äckern und Grünlandflächen. Insgesamt lässt sich sagen, dass sich in Bayern seit dem Volksbegehren die Voraussetzungen für die Förderung der Artenvielfalt deutlich verbessert haben. Die Ausweitung und Verbesserung der Agrarumwelt- und Naturschutzförderprogramme, die bessere personelle Ausstattung der Naturschutzbehörden sowie Leuchtturminitiativen wie der Bayerische Streuobstpakt wären ohne das Volksbegehren nicht möglich gewesen. Die mediale und politische Aufmerksamkeit, die das Volksbegehren erreicht hat, ist einzigartig und hat zu einem größeren Bewusstsein für das Artensterben in der Bevölkerung geführt. Diese Grundlagen müssen nun genutzt werden, um eine Veränderung in der Landschaft zu bewirken, damit die Maßnahmen, die durch das Volksbegehren initiiert wurden, den Verlust der Biologischen Vielfalt aufhalten. Durch späte Mähzeitpunkte können mehr Pflanzenarten blühen und Samen bilden. Von dem größeren Blütenangebot profitieren Insekten. FRANZISKA WENGER Referentin Volksbegehren Artenvielfalt, Landesgeschäftsstelle Hilpoltstein E-Mail: franziska.wenger@lbv.de
16 LBV MAGAZIN 3|24 THEMA Sichtbare Erfolge des Volksbegehrens So hat sich Bayern verändert Was hat sich durch das Volksbegehren 2019 in Bayerns Natur verändert? Auch wenn an anderer Stelle die Umsetzung mangelhaft ist, möchten wir nachfolgend bewusst fünf positive Beispiele vorstellen. VON KATHRIN HAWELKA Streuobstwiesen sind besonders artenreiche Lebensräume. Dank des Volksbegehrens werden in ganz Bayern tausende neuer Bäume gepflanzt und bestehende Streuobstwiesen gepflegt und erhalten. 2021 wurde mit allen relevanten Akteuren der Bayerische Streuobstpakt geschlossen. Dadurch sollen der jetzige Streuobstbestand erhalten und eine Million zusätzliche Bäume gepflanzt werden. Allein 2023 waren es bayernweit mehr als 30.000 Bäume, eine Verdopplung im Vergleich zu den Jahren vor dem Volksbegehren. Für die Umsetzung wurden insgesamt sieben Millionen Euro bereitgestellt. Derzeit werden im bayerischen Staatswald ca. 83.000 Hektar nicht genutzt. Davon kamen 7.200 Hektar nach dem Volksbegehren hinzu. Ein Beispiel ist die Ausweisung von knapp 1.000 Hektar Naturwald an der Donau zwischen Lech-Mündung und Neuburg. Die Natur wird dort sich selbst überlassen und zahlreiche Arten wie Gelbbauchunke, Mittelspecht und Wespenbussard haben hier ihren Lebensraum. FOTOS: FRANZISKA WENGER (2) MEHR NATURWÄLDER 1 MILLION STREUOBSTBÄUME
LBV MAGAZIN 3|24 17 Für Beratung wurden über 100 Stellen in der Umwelt- und Landwirtschaftsverwaltung geschaffen: 50 Biodiversitäts- und 27 Streuobstberatende in Vollzeit sowie 50 Wildlebensraumberatende überwiegend in Teilzeit. Zusätzlich kommen 70 Millionen Euro pro Jahr (davon jeweils die Hälfte für Umwelt- und Landwirtschaftsministerium) der Natur zugute. Die Fläche im Vertragsnaturschutzprogramm wurde von 90.000 Hektar vor dem Volksbegehren auf 170.000 Hektar im Jahr 2023 ausgebaut. Seit dem Volksbegehren sind Kommunen in der Pflicht, die Beleuchtung öffentlicher Gebäude nach 23 Uhr auszuschalten. Eine Untersuchung des LBV hat gezeigt: 80 Prozent der bayerischen Städte kommen den Vorgaben nach. Dass an prominenten Gebäuden wie dem Augsburger Rathaus oder dem Coburger Stadthaus das Licht ausgeht, reicht zwar nicht, um die zunehmende Lichtverschmutzung zu bremsen. Die Städte kommen damit aber ihrer wichtigen Vorbildfunktion nach und setzen ein Zeichen für effektiven Umwelt- und Artenschutz. Infolge des Volksbegehrens gibt es auch im Freistaat endlich verbindliche Vorgaben für Gewässerrandstreifen. So ist eine garten- oder ackerbauliche Nutzung auf fünf Metern Breite – gemessen von der Uferlinie – entlang von Gewässern nun verboten. Auf staatlichen Flächen beträgt der einzuhaltende Abstand sogar zehn Meter. Bislang ist die Ausweisung der Gewässerrandstreifen in 85 Prozent der Landkreise abgeschlossen und es gibt bayernweit viele positive Beispiele für die Umsetzung. Insbesondere die Wasserqualität profitiert von den neuen Gesetzen, die Qualität der Gewässerrandstreifen als Lebensraum ist unterschiedlich. Im Bayernatlas können Sie alle Naturwälder und Gewässerrandstreifen einsehen: geoportal.bayern.de FOTOS: FRANZISKA WENGER, DANIEL - STOCK.ADOBE.COM, BERND RAAB MEHR RANDSTREIFEN AN GEWÄSSERN MEHR GELD FÜR NATURSCHUTZ LICHT AUS FÜR DEN ARTENSCHUTZ
FOTO: HERBERT HENDERKES Blüh REPORTAGE 18 LBV MAGAZIN 3|24 „Repreprep“ ruft es von den Feldern: In der Agrarlandschaft Oberfrankens fühlen sich Rebhühner wohl. Zu verdanken ist das einem besonderen Projekt. Unterwegs auf der Suche nach einem scheuen Botschafter der Vielfalt … Im Einsatz für das Rebhuhn
FOTO: ANNIKA LANGE ende Hoffnung LBV MAGAZIN 3|24 19 verschiedenen Biotopen zu bewegen. Mit der Annahme des Volksbegehrens und dem dazugehörigen Begleitgesetz hat sich die Bayerische Staatsregierung dazu verpflichtet, bis 2030 insgesamt 15 Prozent der Fläche im Offenland für den Biotopverbund zur Verfügung zu stellen. „Rebhühner haben keinen großen Wanderradius und sind sehr standorttreu“, weiß sie. Diese begrenzte Mobilität macht die kleinen Hühnervögel besonders anfällig für Lebensraumverlust. Denn sie sind nicht in der Lage, weite Strecken zu überwinden, um neue geeignete Lebensräume zu finden. In der Projektregion, die sich über die Landkreise Coburg, Kronach und Lichtenfels erstreckt, ist man in Sachen Lebensraumvernetzung auf einem guten Weg. Unverzichtbar dafür ist die gute Zusammenarbeit mit den Landwirtinnen und Landwirten. Rund 40 sind es, die in Oberfranken inzwischen mitmachen. Einer von ihnen ist Hans Rebelein. Seit vor über sechs Jahren Fünf Minuten nach sechs zeigt die Uhr. Doch von Morgenstille keine Spur. Nach einer Woche Regenwetter wirft die Sonne heute wieder sanfte Strahlen auf die Felder am Rand von Küps im Landkreis Kronach. Als wollten die Vögel sie begrüßen, geben sie heute alles bei ihrem morgendlichen Konzert. Beste Voraussetzungen für Annika Lange: Sie will heute Brutvögel kartieren. Das ist Teil des Projekts „Rebhuhn retten – Vielfalt fördern“, welches die 30-Jährige in der Projektregion Oberfranken leitet. „Die Kartierung soll helfen herauszufinden, wie stark die Artenvielfalt zunimmt, wenn man mehr Strukturvielfalt zulässt“, erklärt sie. Was das bedeutet, zeigt sich direkt am ersten Kartierungspunkt. „Das ist eine Blühfläche, die wir in diesem Jahr neu angelegt haben“, sagt sie und zeigt auf eine Wiese vor sich. Zwischen ansonsten braunen Äckern und akkuraten Getreidefeldern stehen hier die Margeriten dicht beieinander und leuchten mit wild wucherndem Klatschmohn und den lila und gelben Blüten des Leinkrauts um die Wette. Durch die Anlage solcher Blühflächen wollen sie und ihr Team dem Rebhuhn und vielen anderen Arten der Feldflur einen Lebensraum schaffen. Zehn Minuten hat Annika Lange pro Kartierungspunkt Zeit, jede Vogelart zu notieren, die sie hören oder sehen kann. Sofort fällt ihr der heisere Gesang der Dorngrasmücke auf, der aus dem dichten Gebüsch am Wegrand ertönt. „Hecken sind super relevant und machen die Landschaft einfach interessanter“, erklärt die Biologin und vermerkt die Art auf ihrem Tablet. Zu ihr gesellen sich schnell Amsel, Gartengrasmücke und Feldlerche. Nach den ersten zehn Minuten hat Lange bereits neun Arten vermerkt. Doch vom Rebhuhn noch keine Spur. Ein Netzwerk für die Natur Mit dem Auto geht es zum nächsten Punkt, weite Felder ziehen vorüber. „Diese offene Landschaft braucht das Rebhuhn“, erklärt Lange. Wichtig sei aber ein Biotopverbund. Das ist ein Netzwerk aus Lebensräumen, die durch Korridore oder Übergangsbereiche miteinander verbunden sind und es Tieren so ermöglichen, sich zwischen
das erste Projekt zum Rebhuhn in der Region gestartet ist, stellt er eine seiner Flächen als Wohlfühlort für Rebhuhn & Co. zur Verfügung. Im Spätsommer mulcht er eine Hälfte der Fläche und sät sie neu an, die andere Hälfte bleibt stehen. So hat das Rebhuhn immer alles, was es braucht: einen Ort, um sich zu wärmen und Insekten zu suchen, sowie genügend Platz, um sich vor Feinden zu verstecken. „Die Fläche beherbergt viele Arten, im Herbst habe ich schon Kiebitze gesehen“, erzählt er. Für ihn ist klar, dass viele Landwirtinnen und Landwirte großes Interesse daran haben, die Artenvielfalt zu bewahren. „Wir arbeiten in der Natur, wir beobachten die Natur und natürlich freue ich mich auch, wenn da ein Rebhuhn fliegt.“ Genauso klar ist für Rebelein aber, dass es für stillgelegte Flächen eine angemessene Entlohnung braucht. „Es muss halt zumindest so viel rauskommen, damit man am Ende das wieder drin hat, was durch Ertragsverluste verloren geht“, meint er. Im Rahmen des Projekts „Rebhuhn retten – Vielfalt fördern“ erfolgt der finanzielle Ausgleich hauptsächlich durch staatliche Förderprogramme, wie das Kulturlandschaftsprogramm oder das Bayerische Vertragsnaturschutzprogramm. Angekommen an einer solchen Rebhuhnfläche startet Annika Lange wieder die Stoppuhr und lauscht. Diesmal kommt sie auf zwölf Arten in zehn Minuten. Während sie durch das hohe Gras zurück zum Auto stapft, blickt die Biologin auf die Uhr. Denn nur bis vier Stunden nach Sonnenaufgang darf kartiert werden. Solche Regeln sind wichtig, damit in den insgesamt zwölf Projektregionen, die es im Rahmen von „Rebhuhn retten – Vielfalt fördern“ in Deutschland gibt, alle nach den gleichen Methoden arbeiten und die Ergebnisse somit am Ende vergleichbar sind. Während Annika Lange ihren Wagen über ruckelige Feldwege zu einem weiteren Kartierungspunkt steuert, wird klar, dass nicht nur Rebhuhn und andere Vögel von der vielfältigen Landschaft profitieren. Feldhasen hoppeln Haken schlagend durch die Flur und verschwinden dann im dichten Grün, Rehe springen in großen Sätzen durch das hohe Gras. „In meinem ersten Jahr im Projekt hatte ich ein paar richtige Aha-Momente“, erinnert sich Annika Lange. „Ich stand im Sommer vor einer Blühfläche und habe einfach gemerkt, wie da das Leben rauspulsiert.“ Das Bewusstsein dafür, wie es ist und wie es sein könnte, macht die 30-Jährige oft traurig. Denn in der kargen Agrarlandschaft fehlt von diesem pulsierenden Leben oftmals jede Spur. Kein Surren und Brummen, kein Zwitschern und Trällern. Unverhoffte Begegnung Plötzlich lässt Annika Lange den Wagen langsamer werden. Am Wegesrand wackeln Grashalme, etwas Braunes blitzt auf, dann marschieren aufgeregt zwei kleine braune Hühner auf den Schotterweg – Rebhühner, ein Pärchen. Minutenlang laufen sie vor dem rollenden Auto her, werden immer schneller, rennen irgendwann beinah. „Sie können zwar fliegen, aber sie tun es ungern“, erklärt die Biologin. Schließlich wird es den beiden doch zu bunt. Flatternd heben sie einige ZentiMit Karte und Navi geht es von Punkt zu Punkt. REPORTAGE „Ich stand im Sommer vor einer Blühfläche und habe einfach gemerkt, wie da das Leben rauspulsiert.“ 20 LBV MAGAZIN 3|24 FOTOS: FRANZISKA BACK (2), GUNTHER ZIEGER
meter vom Boden ab und verschwinden ein paar Meter weiter in der Dickung. Weil sie die Tiere nicht an einem der festgelegten Punkte gesehen hat, sind sie für die Kartierung heute zwar nicht relevant. „Rebhuhn-Sichtungen sind aber immer ein Highlight“, freut sie sich. Immerhin sind sie das Maß aller Dinge. Ihre Ansprüche an einen Lebensraum sind so hoch, dass sie das letzte Glied einer langen ökologischen Kette bilden. Fühlt sich das Rebhuhn wohl, sind Arten wie Feldlerche oder Goldammer schon lange zufrieden. „Hier ist es turbulent“, merkt Annika Lange bereits, als sie den ersten Fuß aus dem Wagen setzt. Aus dem nahegelegenen Wäldchen zwitschert die Mönchsgrasmücke. Ein helles, mehrsilbiges „stiglit“ zeigt der jungen Biologin, dass auch der Stieglitz in der Nähe ist. Er ist eine der Arten, die ebenfalls von der vielfältigen und bunten Landschaft profitieren, weil sie sich vornehmlich von den Samen verschiedener Blütenpflanzen und Gräser ernährt. Doch jetzt schnell weiter. Langsam wird die Zeit knapp. Schon nach 8 Uhr. Den letzten Kartierungspunkt, der für heute auf der Liste steht, mag Annika Lange besonders gerne. Zwischen Bäumen und Wiesen schlängelt sich ein kleiner Fluss durch die Landschaft. „Hier hat man deswegen öfter auch mal Arten, die die Nähe zum Gewässer brauchen“, erklärt sie. Ihr Lieblingsort hält auch heute wieder eine Überraschung bereit. „Was ist das?“, fragt sie sich selbst und bleibt stehen. Zur Antwort gibt der Vogel noch einmal einen sonderbaren Laut von sich, der ein bisschen wie das Zirpen einer Grille klingt. „Schwirl!“, freut sich die 30-Jährige. „Wahrscheinlich ein Feldschwirl, den hab ich ja dieses Jahr noch gar nicht gehört“, sagt sie strahlend. Um sicher zu gehen, spielt sie auf ihrem Tablet den Ruf des vermeintlichen Sängers ab. Es passt, das ist er. Wie das Rebhuhn mag der kleine, unscheinbare Feldschwirl brachliegende landwirtschaftliche Flächen, auf denen er Schutz und Nahrung findet. Inzwischen steht die Sonne hoch am strahlend blauen Himmel. Um zu einem weiteren Punkt zu fahren, ist es jetzt zu spät. Also zieht Annika Lange Bilanz: Über 20 Arten konnte sie an den verschiedenen Punkten hören und sehen. Einen Rebhuhn-Glücksmoment gab es obendrauf. Für Annika Lange zeigt das: Die Maßnahmen wirken. Und das frühe Aufstehen hat sich heute einmal mehr gelohnt. Über das Projekt In den Landkreisen Coburg, Kronach und Lichtenfels wird das Rebhuhn seit 2018 durch ein Kooperationsprojekt von der Ökologischen Bildungsstätte Oberfranken, dem LBV und der Wildland-Stiftung Bayern unterstützt. Hierbei konnte in den Kerngebieten durch die Anlage von Blühflächen eine deutliche Bestandsverbesserung erreicht werden. Im Projekt „Rebhuhn retten – Vielfalt fördern“ werden die Bestrebungen zur Populationsunterstützung seit 2023 auf ein deutlich größeres Gebiet ausgeweitet. Ziel ist ein überregional stabiler und gut vernetzter Bestand, der lokale Verluste gut ausgleichen kann. Das Gebiet in Oberfranken ist eine von bundesweit zehn Projektregionen im Projekt „Rebhuhn retten – Vielfalt fördern“, das im Rahmen des Bundesprogramms „leben.natur.vielfalt“ gefördert wird. Mehr Informationen zum Projekt unter rebhuhn-retten.de. Höhepunkt jedes Außeneinsatzes: Rebhuhn-Sichtungen. FRANZISKA BACK Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Landesgeschäftsstelle Hilpoltstein E-Mail: franziska.back@lbv.de LBV MAGAZIN 3|24 21
FOTO: KILIAN BLEES Naturland-Biobauer Amadé Billesberger Landwirtschaft für die nächste Generation Fünf Jahre nach dem Volksbegehren Artenvielfalt „Rettet die Bienen!“ sieht Amadé Billesberger, Biobauer aus Moosinning bei Erding, noch wenig Veränderungen bei den landwirtschaftlichen Betrieben und in der Politik. Er wird seine Wirtschaftsweise für mehr Nachhaltigkeit und Artenvielfalt weiter fortsetzen, denn für ihn ist sie einfach der einzig richtige Weg. INTERVIEW: FRANZISKA WENGER Vor allem darin, nachhaltig Lebensmittel zu produzieren und das unseren Kindern und der nächsten Generation weitergeben zu können. Ich will von Kunstdüngern, Spritzmitteln und großen Firmen unabhängig sein. Und, ganz wichtig: den Boden verbessern! Ein gesunder Boden ist das A und O, ob als CO2-Speicher, für nachhaltige Erträge, den Hochwasserschutz oder als Wasserspeicher. Wie hat sich die Artenvielfalt auf deinem Hof über die Jahre entwickelt? Das geschah schrittweise über die Zeit. Wir haben derzeit ungefähr zehn verschiedene Getreide- und Anbauarten, dazu verschiedenes Gemüse, Schafe und Hühner. Wir haben drei Flächen aus der landwirtschaftlichen Produktion rausgenommen und VogelschutzLBV: Wann hast du deinen Betrieb auf biologische Landwirtschaft umgestellt und wie waren die Reaktionen? Amadé Billesberger: Als ich 2007 unseren Hof wieder aufbaute, musste ich bei null beginnen, weil mein Vater zuvor mit der Landwirtschaft aufgehört hatte. Dabei war mir von Anfang an klar, dass ich nur biologisch arbeiten wollte, da es sich einfach richtig anfühlte. Natürlich gab es da Kommentare wie: „Bei unserem leichten Boden kommt das Unkraut so schnell, das geht nicht biologisch!“ Und sie hatten Recht, aber es geht trotzdem auch biologisch. Ich hab hier ein gutes Verhältnis zu den anderen landwirtschaftlichen Betrieben – ob konventionell oder Bio. Wo siehst du die Hauptvorzüge der Biolandwirtschaft? 22 LBV MAGAZIN 3|24 INTERVIEW
FOTOS: FRANZISKA WENGER (3) hecken angelegt sowie Obstbäume und Beerensträucher gepflanzt. An zwei Stellen am Hof hatten wir bis zum Volksbegehren noch keine Gewässerrandstreifen, da haben wir jetzt Kleegras angesät. Wo es geht, bleiben umgefallene Bäume liegen und ich lass immer wieder mal einen Streifen stehen. Mir machen die paar Quadratmeter nicht viel aus, aber der Natur schon. Letztes Jahr habe ich zum ersten Mal zwölf Rebhühner auf einem Fleck gesehen! Wir haben einen Blühstreifen zwischen Emmer und Hirse gesät und genau dort waren sie. So was ist schön zu sehen. Wie hast du dich 2019 am Volksbegehren beteiligt? Ein Bekannter kam zu mir und hat mir erste Ideen vorgestellt. Das hat mir gefallen und ich fand die Forderungen auch nicht überspitzt. Wenn man nichts ändert, wird es mit dem Insektensterben weitergehen! Ich hab sogar das Kampagnen-Team gezielt unterstützt, hier auf dem Hof ein paar Videos gedreht und mich als bekanntes Gesicht und mit meinem Wissen eingebracht, so gut ich konnte, und Kontakte vermittelt. Unter Gleichgesinnten und anderen Biobetrieben kam das gut an, andere haben dazu eher geschwiegen. Angefeindet wurde ich deswegen kaum. Hast du damals geglaubt, dass das Volksbegehren so erfolgreich werden wird? Ich war zwar ganz zuversichtlich, aber dass es so erfolgreich werden würde, damit habe ich nicht gerechnet. Ich war wirklich überrascht, dass wir am Ende fast doppelt so viele Stimmen bekommen haben, wie nötig waren. Es war schön, dass das Volksbegehren so viel Anklang in der Bevölkerung gefunden hat! Was hat das Volksbegehren deiner Ansicht nach zum Positiven verändert? Es hat mehr öffentliche Aufmerksamkeit für das Artensterben erzeugt und vielen gezeigt, wie es auch anders gehen kann. Die Welt kann man nicht von heute auf morgen verändern, aber wenn ein paar Leute ein bisschen was verändern, dann hat es schon etwas gebracht. Ein Ziel des Volksbegehrens war die Zunahme des Biolandbaus auf 30 Prozent landwirtschaftlich genutzter Flächen bis 2030. Dies scheint derzeit angesichts des geringen Wachstums nicht erreichbar. Wie müssten sich die Rahmenbedingungen ändern, damit mehr Betriebe die Umstellung wagen? Wir Landwirte lernen heute noch in der Berufsschule: Entweder du wächst oder du weichst. Und solange das so ist, kann man die meisten nur über finanzielle Anreize zur Umstellung anregen. Außerdem haben wir allgemein das Problem, dass Lebensmittel viel zu billig sind. Vor 50 Jahren hat der durchschnittliche Deutsche noch die Hälfte seines Einkommens für Lebensmittel ausgegeben, jetzt sind wir bei weniger als 15 Prozent. Es würde auch etwas bringen, wenn alle Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten zu einem bestimmten Teil Bioprodukte in den Kantinen anbieten würden. Da wird schon viel gemacht, aber es ist ganz schwierig, die Großkantinen zu erreichen. Die landwirtschaftlichen Betriebe müssten sich aber auch selber wieder mehr um die Vermarktung kümmern. Man muss sich in gewisser Weise vom Markt und den großen Abnehmern unabhängig machen. Es lohnt sich zu schauen, wie es einst unsere Großeltern gemacht haben, wo das eigene Potenzial und die Stärken des Betriebs liegen. Was muss sich ändern, um Artenvielfalt in der Landwirtschaft zu fördern? Spitzenerträge zu dreschen und auf denselben Flächen Artenvielfalt zu erhalten, das ist sehr schwer. Das ganze konventionelle System ist so aufgebaut, dass sich der billige Weizen nur bei sehr hohen Erträgen rentiert. Wir haben zudem Konsumenten, die billig einkaufen wollen, und eine Politik, die dem Bauern diese Art der Landwirtschaft vorgibt. Wir bräuchten beispielsweise umfassende Bildungsangebote und Seminare für Landwirtinnen und Landwirte zur Förderung der Artenvielfalt und Anreize zur Teilnahme und Umsetzung der Maßnahmen. Vom Volksbegehren erhoffe ich mir, dass es das Konsumverhalten der Menschen verändert. Mittlerweile sind 900 Hühner in drei Hühnermobilen auf dem Billesberger Hof zuhause. Durch Hecken haben die Billesbergers Lebensraum für Vögel und andere Tiere geschaffen. Die Leidenschaft fürs Bäumepflanzen macht sich auch im Hausgarten bemerkbar. LBV MAGAZIN 3|24 23
24 LBV MAGAZIN 3|24 SCHUTZGEBIET FOTOS: UTE SANZENBACHER (2), MARTINA SAGSTETTER Die Streuobstflächen der LBV-Kreisgruppe verteilen sich auf den gesamten Landkreis Kitzingen. Der älteste Streuobstbestand befindet sich in Volkach. Hier werden die altersbedingten Ausfälle nach und nach ersetzt und das Totholz bleibt auf der Fläche stehen. Mittelalte Bestände befinden sich in Martinsheim und Neuanlagen in Kitzingen/Sulzfeld. Eine systematische Ausweitung der Streuobstbestände auf den Flächen erfolgte erst ab 2019. Die Flächen in Martinsheim wurden zunächst im Rahmen des Artenhilfsprogramms Ortolan extensiv bewirtschaftet und besaßen nur einige, etwa 20 Jahre alte Obstbäume. Als das Ortolan-Vorkommen leider erloschen war, wurden Anfang 2022 auf zwei der Flächen insgesamt 44 Apfel- und Birnbäume alter Sorten durch den Landschaftspflegeverband (LPV) Kitzingen gesetzt und eine Blühwiesenmischung eingesät. Pflanzung und Anwuchspflege sowie die Mahd übernimmt ein örtlicher Landwirt. Rund um Kitzingen wurden zwischen 2020 und 2022 drei größere Streuobstwiesen neu angelegt. In Sulzfeld stellte ein Biowinzer zwei Flächen mit insgesamt 1,5 Hektar für einen geringen Obulus langfristig zur Verfügung. 2019 pflanzte die Kreisgruppe auf die kleinere der Flächen 15 Hochstämme und legte einen großen Lesesteinhaufen zur Biotopverbesserung für Reptilien an. Auf der größeren Über den Landkreis Kitzingen verteilen sich diverse Streuobstflächen. Damit sich die Lebensräume optimal entwickeln, wird jede Fläche von der LBV-Kreisgruppe und ihren Partnern individuell gepflegt. Die Streuobstflächen der Kreisgruppe Kitzingen Netzwerk kleiner Paradiese Auch die NAJU-Gruppe beteiligte sich eifrig an der Anlage unserer neuen Streuobstwiese in Sulzfeld.
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