LBV magazin 3-25

VOGEL- UND NATURSCHUTZ IN BAYERN magazin Wald-Meister Zu Besuch im LBVSchutzgebeit Rainer Wald Wald-Versöhnung So bringen wir Naturschutz und Nutzung zusammen Wald-Vielfalt Kleinräumige Nutzung fördert besondere Arten 3|2025 Wald im Wandel Herausforderungen und Chancen

2 LBV MAGAZIN 3|25 Kommen Sie mit raus! Zur Reise Bartgeier beobachten? mit birdingtours in die Welt der Vögel reisen! Schon gewusst? birdingtours ist Nr.1 in Sachen Vogelbeobachtungreisen in Deutschland, Europa und weltweit. Den Bartgeier können Sie zum Beispiel auf unserer Reise “Unter Geiern und Lerchen: Wintervögel im Osten Spaniens” in freier Wildbahn erleben. Schauen Sie auf unserer Webseite vorbei oder fordern Sie unseren Katalog jetzt kostenlos per Telefon oder E-Mail an. Kreuzmattenstraße 10a 79423 Heitersheim Tel: 07634 5049845 www.birdingtours.de 09174-4775-7023 naturshop@lbv.de lbv-shop.de VOGELSCHUTZ AN GLASFLÄCHEN – JETZT EINFACH UND KOSTENGÜNSTIG NACHRÜSTEN! Besonders beliebt, besonders bewährt. Vogelschlag an Glas gehört zu den größten Gefahren für unsere heimischen Vogelarten. Gemeinsam mit dem LBV und weiteren Fachinstitutionen hat die Schweizer SEEN AG mit SEEN Elements eine hochwirkungsvolle Lösung entwickelt: Kleine Aluminiumpunkte (Ø 9 mm), im Abstand von 9 cm angebracht, machen Glasflächen für Vögel sichtbar – und bleiben für das menschliche Auge nahezu unsichtbar. Die Markierung ist langlebig, effizient und bedeckt weniger als 1 % der Scheibe. lbv-shop.de /vogelschutz Ideal auch zur nachträglichen Markierung von Glas-Großflächen im privaten und gewerblichen Bereich. Für Anfragen dazu: uwe.kerling@lbv.de

LBV MAGAZIN 3|25 3 für viele Menschen ist der Wald ein Rückzugsort: Hier atmen wir tief durch, tanken Kraft, lauschen dem Vogelgesang und finden ein Stück Ruhe in hektischen Zeiten. Doch während der Wald uns Erholung schenkt, braucht er selbst Rücksicht. Wer auf den Wegen bleibt, Hunde anleint und Müll vermeidet, schützt, was wir am Wald so lieben: seine Vielfalt und seine Stille. Nur wenn wir respektvoll mit dem Wald umgehen, bleibt er ein Ort, an dem wir alle wieder aufatmen können. Doch wie geht es unserem Wald? Auf einer nordbayerischen Autobahn brauchen Sie nicht weit zu fahren, bis Sie in den angrenzenden Waldstücken größere Flecken von braunen Baumgruppen entdecken. Dass unser Wald aufgrund der Auswirkungen der Klimakrise in eine existenzielle Schieflage zu kippen droht, ist also für jede und jeden sichtbar. Doch schafft es der Wald alleine oder braucht er unsere Unterstützung? Muss der Mensch der Natur zum Beispiel mit neuen Baumarten assistieren? Auf diese und auf andere Fragen gehen wir in unserem Schwerpunkt diesmal ein, wir beleuchten das Thema aber auch von teilweise eher unbekannten Seiten. Liebe Leserinnen und Leser, Zwischen Hoffnung und Krise Viel Spaß beim Lesen! Ihr Markus Erlwein Chefredakteur Gemeinsam mit Parteien und Verbänden haben wir am 22. Juli auf dem Münchner Marienplatz gegen das sogenannte Dritte Modernisierungsgesetz demonstriert, das durch die Absenkung von Umweltstandards bei Bauvorhaben neuer Skipisten unserer sensiblen Bergwelt schaden wird. Rettet die Berge! EDITORIAL FOTO: LBV Tagesaktuelle Nachrichten finden Sie unter lbv.de/newsletter lbv_bayern lbv.de VOGEL- UND NATURSCHUTZ IN BAYERN LBV magazin

4 LBV MAGAZIN 3|25 6 Im Fokus Dunkelblauer Laufkäfer 8 Leserbriefe 9 Kurzmeldungen 10 Standpunkt Dr. Norbert Schäffer 12 Was wird aus unserem Wald? Waldnaturschutz und Nutzung versöhnen 16 Reportage „Übers Nest geschaut“ Unterwegs im Rainer Wald 20 Wald ist Vielfalt Sukzession und kleinräumige Nutzung fördert bedrohte Arten 24 LBV-Schutzgebiet Erhalt der Regensburger Mehlbeere 26 Spendenaktion Naturoase Rainer Wald schützen Einhefter • Spenden-Überweisungsträger • Mitgliederwerbekarte 12 16 Mit dem Flächenbetreuer unterwegs im Rainer Wald So fördert unterschiedliche Nutzung bedrohte Waldarten. INHALT 20 INHALT Dieses Druckerzeugnis ist mit dem Blauen Engel ausgezeichnet. www.blauer-engel.de/uz195 · ressourcenschonend und · umweltfreundlich hergestellt · emissionsarm gedruckt XW1 überwiegend aus Altpapier Sie lesen klimaneutral und umweltfreundlich Titelbild: Sperlingskauz von Jonathan Fieber FOTOS: DR. OLAF BRODERS (2), ROSL RÖSSNER, FRANZISKA BACK, MARCUS BOSCH, RUDOLF WITTMANN Mehr Informationen zur Berechnungsmethodik, zur Kompensation und dem gewählten GoldstandardKlimaschutzprojekt finden Sie unter klima-druck.de/ID. klima-druck.de ID-Nr. Druckprodukt CO₂ kompensiert 25208149 36 Wie Kinder den Wald neu entdecken können. Wie wir Waldnaturschutz und Nutzung versöhnen. Waldohreule Wisente

LBV MAGAZIN 3|25 5 28 LBV AKTIV 34 Aus dem LBV Aktiv in der Kommunalpolitik 35 Erbschaft So kann Ihr Testament wirken 36 NAJU Von der Magie des Waldes 38 Garten Alte Bäume im Garten 40 Ratgeber Leben durch Totholz 42 Politik Flächenfraß in Bayerns Wälder 44 Aus dem LBV • Fotowettbewerb „Natur im Fokus“ • Ergebnisse der Stunde der Gartenvögel 45 Stiftung LBV-Stiftung fördert 16 Projekte 46 Umweltbildung Kinder erleben spielend den Wald und seine Bewohner 48 Medien Empfehlungen 50 Impressum und Kontakte 09174-4775-7023 naturshop@lbv.de lbv-shop.de WASCHBÄR- UND MARDERSICHERE NISTKÄSTEN Nistkasten mit ovalem Flugloch z.B. für Kohlmeise, Haussperling, Feldsperling, Kleiber, Wendehals & Fledermäuse, wie: Fransenfledermaus, Braunes Langohr Nistkasten für Kleinmeisen mit zwei 27 mm Einfluglöchern z.B. für Blaumeise, Sumpfmeise, Tannenmeise und Haubenmeise Nistkasten mit 38 mm Rundloch z.B. für Wendehals, Feld- und Haussperlinge Neschwitzer Nistkasten mit Einflugschlitz z.B. für Feldsperling, Haussperling, Blaumeise, Kohlmeise und Trauerschnäpper - ANZEIGE - 46 38 Ideen für Kinderspiele im Wald So wertvoll sind alte Bäume im Garten.

DUNKELBLAUER LAUFKÄFER | FOTO: BASTIAN FORKEL 6 LBV MAGAZIN 3|25

LBV MAGAZIN 3|25 7 Der Waldbewohner benötigt Totholz als Lebensraum. Er ist 2,4 bis 3,6 cm groß und jagt nach Kleintieren. In Bayern ist er auf der Roten Liste als „gefährdet“ eingestuft. Er wird sogar in der internationalen Roten Liste der IUCN (Weltnaturschutzunion) geführt. Der Käfer kommt nur in Wäldern vor, wo sein Lebensraum schon lange besteht. Aus diesem Grund gilt der Dunkelblaue Laufkäfer auch als Indikator für historisch alte Waldstandorte. DUNKELBLAUER LAUFKÄFER

8 LBV MAGAZIN 3|25 LESERBRIEFE Ihre Meinung ist uns wichtig! Schreiben Sie uns unter leserbriefe@lbv.de oder per Post an Redaktion LBV magazin, Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein. Die Redaktion behält sich aus Platzgründen eine Auswahl und das Kürzen von Leserzuschriften vor. Leserbriefe geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. i Post Mähfreier Mai und Vogelnachwuchs Zur Kampagne mähfreier Mai muss ich gratulieren. Ich habe vielen davon erzählt. Nach der Zählung der Gartenvögel Mitte Mai war bei mir Ausflug der Jungvögel. Mindestens 40 Sperlinge und drei Stare. Die Jungvögel profitieren vom ungemähten Rasen. Gerade wenn so extreme Dürre herrscht. Über mangelnden Nachwuchs können wir uns nicht beklagen. Es wird auch für Trinken und Baden mit mehreren Wasserstellen und zwei Brunnen gesorgt. Ich hoffe, dass in Zukunft mehr Menschen die Wichtigkeit eines Naturgartens verstehen werden. Dabei sind solche Kampagnen des LBV sehr hilfreich. Sabine Danisch-Gärtner, 93142 Maxhütte-Haidhof Zum Artikel „Vom schwierigen Umgang mit Schottergärten“ (02/25) Mehr Akzeptanz für Schottergärten Ich persönlich finde Schottergärten auch schrecklich und habe selbst einen schönen, vergleichsweise wilden Garten. Dennoch empfinde selbst ich als Naturfreund ein Verbot von Schottergärten als ziemlich übergriffig. Und ja, das ähnelt sehr einer „Verbotskultur“. Es geht immerhin um das eigene Grundstück, das eigene Zuhause. Wenn man realistisch ist, dann ziehen die allermeisten Menschen sowieso einen bewachsenen Garten einem Schottergarten vor. Auch wenn sich natürlich nicht jeder gleich viel Mühe gibt. Ich plädiere sehr dafür, dass wir – zwischen den vielen schönen Gärten – auch die wirklich wenigen Schottergärten akzeptieren. Astrid Gruber, via E-Mail Wald-Debatte Die Rezension des Buches „Wälder in Bewegung“ und insbesondere der Kommentar von Dr. Stierstorfer zu den Lesermeinungen darf so nicht stehen bleiben. Das Thema ist ein sehr zentrales für Forstwirte und für Naturschützer gleichermaßen. Dass ein renommierter Entomologe und Wissenschaftler wie Olaf Schmid dazu nicht zu Wort kommen darf, ist sehr bedauerlich. Der Kommentar lässt einiges unklar bzw. außer Acht, das unbedingt mitdiskutiert werden muss. Weil eine Diskussion riskant ist, darf das zugrunde liegende Problem nicht beschrieben werden? Das wäre tragisch! Ein kompletter Waldumbau auf „neue Baumarten“ in wenigen Jahrzehnten ist ja gar nicht zu schaffen, selbst wenn es jemand wollte. Aber es ist doch nichts dagegen einzuwenden, wenn einigen süd- oder südost-europäischen Baumarten in kleinen Anteilen die Chance gegeben wird, sich hier zu etablieren. Wenn diese das nicht schaffen: schade! Wenn sie es schaffen, haben es unsere Nachkommen etwas leichter. Das machen wohl auch die BaySF so. Besonders tragisch finde ich, dass zum Ende das Mantra von den „nutzungsfreien Wäldern“ hervorgeholt wird. Natürlich können nutzungsfreie Wälder naturschutzfachlich wertvoll und lehrreich sein. Dazu gehört aber auch die Wahrheit, dass die wenigsten Wälder derzeit in einem Zustand sind, wo Nutzungsverzicht zu wertvollen Wäldern führen würde. Im Gegenteil: Auf der überwiegenden Mehrheit der Fläche würde der vollständige Nutzungsverzicht zu nichts anderem als reinen Fichtenwäldern führen. Entsprechende Beispiele können bei Interesse zur Genüge besichtigt werden. Lesern wieder und wieder unkritisch vorzusagen, wenn man nur die Nutzung egal welchen Waldes einstelle, werde alles wunderbar, ist weder zielführend noch fair. Vor allem aber wird in der Diskussion, zumindest nach derzeitigem Stand, eines verkannt: Bayerns Wälder müssen natürlich der Artenvielfalt dienen, dass aber unsere Wälder weitere wichtige Funktionen haben, bleibt unerwähnt. Das ist sehr bedauerlich. Eine derart vereinfachte Diskussion wird dem hochkomplexen Phänomen „Wald“ nicht gerecht. Wolfgang Winter, 92637 Weiden Falsches Taubenschwänzchen Taubenschwänzchen, Labkrautschwärmer und Wolfsmilchschwärmer gehören alle zu der Familie der Schwärmer. Dem Labkrautschwärmer sehr ähnlich ist der Wolfsmilchschwärmer, man kann die beiden Arten jedoch an ihren Fühlern unterscheiden. Während der Labkrautschwärmer helle Fühleroberseiten mit schwarzer Spitze hat, sind die des Wolfsmilchschwärmers komplett hell. Der Labkrautschwärmer ist in Bayern stark gefährdet und wird nur selten gesichtet. Er kommt normalerweise an warmen Waldrändern, Heiden oder sonnigen Hängen und gelegentlich auch in Gärten vor. Um ihm zu helfen, kann man im Garten seine Raupenfutterpflanzen Labkraut (Galium sp.) und Weidenröschen (Epilobium sp.) anbieten. Zum Leserfoto von Oswald Zintl erreichten uns zahlreiche E-Mails und Anrufe. Einige hatten sofort erkannt, dass er gar kein Taubenschwänzchen, sondern einen Labkrautschwärmer fotografiert hatte. Manche hatten auch auf einen Wolfsmilch- oder Windenschwärmer getippt. Hier die drei im Vergleich: FOTOS: PETRA ALTRICHTER, MARCUS BOSCH (2), DAVID - STOCK.ADOBE.COM, SABINE PRÖLS, NILS DINTER Wolfsmilchschwärmer Labkrautschwärmer Taubenschwänzchen

Einzigartig: Naturschutz trifft Rockmusik Freuen Sie sich im September auf eine außergewöhnliche Kooperation, die Natur- und Musikliebhabende gleichermaßen begeistern wird. Gemeinsam mit einer der beiden größten deutschen Punkbands setzt der LBV ein starkes Zeichen für den Schutz unserer Adler. Wir verbinden dabei Leidenschaft mit Engagement. Bei diesem besonderen Projekt entsteht ein streng limitiertes T-Shirt, das nicht nur stilvoll ist, sondern auch eine wichtige Botschaft trägt. Der Erlös aus dem Verkauf fließt direkt in den Schutz und die Erhaltung der majestätischen Vögel. Bleiben Sie auf dem Laufenden und lassen Sie sich dieses einzigartige Event nicht entgehen! Folgen Sie uns dafür auf unserem Facebook- oder Instagram-Kanal und abonnieren Sie unseren Newsletter, denn LBV-Mitglieder erhalten ein exklusives Vorkaufsrecht. Gezwitscher Wiederherstellungsverordnung unverzichtbar Zusammen mit 34 weiteren Organisationen aus dem Bereich Umwelt- und Naturschutz, Natursport, ökologischer Landbau und Tierschutz appellierte der LBV an Bund und Länder die im August 2024 in Kraft getretene EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (WVO) gemeinsam und entschlossen umzusetzen. Die Blockadepolitik gegenüber der jahrelang in einem breiten demokratischen Prozess ausgehandelten Wiederherstellungsverordnung – wie sie aktuell von einigen Akteuren vor allem aus der CSU betrieben wird – ist aus Sicht der unterzeichnenden Verbände verantwortungslos und gefährdet unsere Zukunft. Aus Sicht der Organisationen ist die Wiederherstellungsverordnung ein zentrales Instrument, um den alarmierenden Risiken der Biodiversitäts- und Klimakrise entgegenzuwirken. Zehn Jahre „Igel in Bayern“ Eine Bilanz des LBV-Projekts zeigt, dass der Igel ein beliebter Bewohner von Bayerns Gärten ist. Das bestätigt die große Anzahl von Meldungen mit rund 91.400 lebenden und 36.600 toten Igeln im Siedlungsbereich, die den LBV über seine Meldeplattform erreicht haben. Die Tiere sind vor allem in städtischen Grünanlagen und privaten Gärten häufig unterwegs. Dabei bestätigen die Daten, dass sie oft Opfer des Straßenverkehrs oder von Mährobotern werden. Auffällig ist auch, dass Futterstellen mehr Igel als gewöhnlich in die Gärten locken. Doch mehrere Igel regelmäßig oder sogar ganzjährig zu füttern, ist nicht sinnvoll. Igel sind Einzelgänger, die weder Futter noch Unterschlupf gerne teilen und beides manchmal vehement gegen Artgenossen verteidigen. KURZMELDUNGEN Gesucht: Vogel des Jahres 2026 Wer wird der Nachfolger des Hausrotschwanzes? Von 2. September bis 9. Oktober 2025 suchen der LBV und sein bundesweiter Partner NABU den Vogel des Jahres 2026. Auch in diesem Jahr erfolgt die Wahl öffentlich. Aus fünf Kandidaten können Sie online unter www.vogeldesjahres.de eine Stimme für Ihren Favoriten abgeben. Jeder der Vögel steht für ein Naturschutzthema, das unsere Aufmerksamkeit braucht. Wer antritt, wird erst mit Start der Wahl bekannt geben. So viel sei aber schon verraten: Alle Kandidaten stehen für ein Naturschutzthema, das dringend unsere Aufmerksamkeit braucht. LBV MAGAZIN 3|25 9 2026

10 LBV MAGAZIN 3|25 THEMA DR. NORBERT SCHÄFFER LBV-VORSITZENDER Oftmals wird den Menschen in Deutschland ein ganz besonderes Verhältnis zu ihrem Wald zugeschrieben. Es ist ein romantischer, mystischer und magischer Ort. Für den LBV ist der Wald vor allem ein extrem wichtiger Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten. Gemessen am Zustand unserer Vogelwelt – bekanntlich sind Vögel in vielen Lebensräumen hierfür ein hervorragender Indikator – geht es der Biologischen Vielfalt in unseren Wäldern deutlich besser als beispielsweise im Offenland. Während wir auf unseren Feldern, Wiesen und Weiden in den vergangenen 40 Jahren weit über die Hälfte aller Vögel verloren haben, sind es in Wäldern nur knapp 20 Prozent, wobei sich die Bestände hier seit rund zehn Jahren wieder etwas erholen. Unser Wissen hierüber stammt unter anderem aus dem Monitoring häufiger Brutvögel, welches in Bayern vom LBV, im Auftrag des Bayerischen Landesamts für Umwelt, durchgeführt wird. Tatsächlich sind wir mit dem Natur- und Artenschutz in den vergangenen Jahrzehnten im Wald deutlich weitergekommen. In diesem Zusammenhang möchte ich gezielte Artenschutzmaßnahmen und den Waldumbau hin zu naturnahen Beständen, wie er von den Bayerischen Staatsforsten vorangetrieben wird, besonders würdigen. Auch ihre Verwendung bleifreier Jagdmunition ist absolut vorbildlich. Prozessschutz im Wald Eines der Ziele unseres ausgesprochen erfolgreichen Volksbegehrens Artenvielfalt „Rettet die Bienen!“ war es, zehn Prozent der Staatswaldfläche als Prozessschutzflächen aus der Nutzung zu nehmen. Diese Marke wurde tatsächlich erreicht durch 83.000 Hektar nutzungsfreie „Naturwälder“, einer neuen Schutzgebietskategorie im Waldgesetz. Dafür wurden seit dem Volksbegehren insgesamt 7.000 Hektar nutzungsfreie Wälder zusätzlich ausgewiesen. Die Tatsache, dass in die Gesamtbilanz auch 12.000 Hektar Latschenflächen im Hochgebirge eingerechnet werden, will ich hier einmal außer Acht lassen. Was uns noch immer fehlt, ist ein wirklich großes nutzungsfreies Schutzgebiet in der Buchenwaldzone, ergänzend zu unserem Nationalpark Berchtesgaden im Hochgebirge und dem Nationalpark Bayerischer Wald im Mittelgebirge. Sie ahnen es: Auch an dieser Stelle möchte ich den Herzenswunsch vieler Naturschützerinnen und Naturschützer nach einem Nationalpark Steigerwald wiederholen. Nutzungsfreie Großschutzgebiete sind immens wichtig für den Schutz einer zum Teil hochspezialisierten Artengemeinschaft, aber auch als Referenzfläche für eine natürliche Waldentwicklung, gerade unter den sich ändernden Klimabedingungen. Wenn mir zahlreiche Försterinnen und Förster immer wieder sagen: „Wir wissen nicht, wie unser Wald in 30 oder 40 Jahren aussieht und welche Bäume dann hier wachsen“, drängt sich für mich regelrecht die Forderung nach einer unbeeinflussten Fläche auf, wo wir genau das beobachten und lernen können. Leider ist der Begriff „Stilllegung“ bei manchen Politikerinnen und Politikern zu einem regelrechten Kampfbegriff geworden. Um es ganz deutlich zu sagen: Nein, wir wollen nicht den gesamten Wald aus der Nutzung nehmen. Der überwiegende Teil soll nachhaltig und sorgsam genutzt werden. Auch ich laufe zuhause über einen Eichenboden, für den Eichen gefällt wurden. Und im Winter begeistert mich unser Kachelofen, eine perfekte Ergänzung zu unserer Wärmepumpe. Aber ein paar Prozent nutzungsfreier Wälder sind von immenser Bedeutung, zum Schutz der Biologischen Vielfalt in ihrer ganzen Breite und als Lernort. Biosphärenreservat Spessart Neben einem Nationalpark Steigerwald wünschen wir uns ein Biosphärenreservat Spessart. Anders als in einem Nationalpark müssen in einem Biosphärengebiet nur drei(!) Prozent der Fläche nutzungsfrei sich selbst überlassen werden. Ich finde es schlimm und beschämend, dass einige Politiker wie zum Beispiel Hubert Aiwanger mit viel Polemik hundert Prozent der Zeit über diese drei Prozent der Fläche reden und damit den Eindruck erwecken wollen, als wäre die Holznutzung in einem Biosphärenreservat nicht mehr erlaubt. Die vielfältigen Chancen zur Förderung der KulturlandSTANDPUNKT natürliche Entwicklung Nutzung, Schutz und

LBV MAGAZIN 3|25 11 schaft, von Naherholung, Tourismus und Wirtschaft auf 97 Prozent der Fläche werden oftmals vollkommen außer Acht gelassen. Übrigens könnte gerade auf diesen Flächen die berühmte Spessart-Eiche gezielt gefördert werden. Freiwilliger Naturschutz braucht Geld Die Ziele des Natur- und Artenschutzes sollen in Bayern weitgehend durch freiwillige Maßnahmen erreicht werden. „Freiwilligkeit statt Ordnungsrecht“ ist eine Maxime, die ich gerne unterstütze. Für freiwillige Maßnahmen brauchen wir aber die erforderlichen Gelder. Wir haben einmal durchgerechnet, was es kosten würde, die gesetzlich vorgeschriebenen Ziele aus dem Volksbegehren Artenvielfalt „Rettet die Bienen!“ sowie weitere von der Staatsregierung beschlossene und angekündigte Ziele wie die Wiedervernässung trockengelegter Moore, 15 Prozent Biotopverbund, die Umsetzung des Bayerischen Streuobstpakts oder die Ausweitung des Vertragsnaturschutzes zu erreichen. Dabei kommen wir auf einen zusätzlichen jährlichen Finanzbedarf von 200 Millionen Euro. Mehr als die Hälfte hiervon ist übrigens erforderlich für die Wiedervernässung von Mooren – dabei gehe ich davon aus, dass hierfür auch Bundesmittel zur Verfügung stehen. Mit Kofinanzierung aus Berlin und Brüssel bräuchten wir für diese Umsetzung also etwa zehn Euro pro Jahr je Einwohner und Einwohnerin in Bayern. Das sollte uns die Erhaltung unserer Lebensgrundlage wahrlich wert sein! Naturschutzgesetze erhalten Neben Geldern brauchen wir natürlich auch gute Naturschutzgesetze. Diese sind auf allen Ebenen, von der EU über den Bund bis nach Bayern, vorhanden – noch. Derzeit gibt es besorgniserregende Bestrebungen, unsere Naturschutzgesetze zu schwächen, oftmals unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus. Forderungen europäischer CSU-Politikerinnen und -Politiker zur Abschaffung der erst letztes Jahr verabschiedeten EU-Renaturierungsverordnung sind beschämend für das Bundesland, das mit “Rettet die Bienen!” zum Pionier im Naturschutz wurde. Und es lässt befürchten, Dr. Norbert Schäffer dass auch unser Volksbegehrensgesetz in Gefahr ist. Ein weiteres aktuelles Beispiel sind die sogenannten Modernisierungsgesetze in Bayern. Hierdurch werden beispielsweise die Rahmenbedingungen für Umweltverträglichkeitsprüfungen beim Bau von Liften und Skipisten gelockert. Zusammen mit zahlreichen anderen Organisationen, beispielsweise dem Deutschen Alpenverein (DAV), wehren wir uns in unserer Kampagne „Rettet die Berge“ gegen diese Auswüchse. Bürokratieabbau gerne, aber nicht als Vehikel, um Umweltstandards zu senken und Naturschutzgesetze zu schwächen. Wer beispielsweise denkt, auf den Bericht zur Lage der Natur in Bayern verzichten zu können, der verhält sich wie ein Arzt, der angesichts eines fiebernden Patienten das Fieberthermometer wegwirft, mit der Begründung, das Fieberthermometer würde dem Patienten ja nicht helfen. Wir müssen unbedingt wissen, wie es unserer Natur geht. Dafür brauchen wir gute Zahlen als Grundlage für konsequentes Handeln. Wenn es der Welt um uns herum, unseren Tier- und Pflanzenarten, unseren Wäldern, unseren Gewässern und unserem Klima wirklich gut gehen würde, dann, ja dann könnten wir auf „Fieberthermometer“ verzichten. Leider ist dies nicht der Fall! SAULOCH, DEGGENDORF I FOTO: RALF HOTZY Folgen Sie mir auf LinkedIn unter Dr. Norbert Schäffer

THEMA Was wird aus unserem Wald? Wälder sind komplexe Ökosysteme. Uns Menschen sollen sie zudem dauerhaft Holz liefern und zugleich eine wichtige Rolle im Wasserkreislauf, beim Erosionsschutz und für das Klima als CO2-Speicher spielen sowie für Bodenfruchtbarkeit, Erholung und nicht zuletzt Artenvielfalt sorgen. Wälder müssen resilient sein, also Störungen möglichst abpuffern und dabei ihre natürliche Biodiversität beibehalten. Alle genannten Leistungen gleichermaßen zu fördern, scheint unmöglich. Stellt sich also die Frage: Welchen Wald wollen wir und welche Prioritäten setzen wir? Waldnaturschutz und Nutzung versöhnen 12 LBV MAGAZIN 3|25 FOTO: DR. EBERHARD PFEUFFER

Wälder nehmen bei uns rund ein Drittel der Landesfläche ein. Sie bewahren Biodiversität, stabilisieren Ökosystemprozesse, leisten einen entscheidenden Beitrag zu Wasserspeicherung, Kühlung und Klimaschutz und sie liefern wertvolle Ressourcen. Gleichzeitig sind sie Gegenstand von Bildung, ermöglichen nachhaltige Nutzung und erhöhen die Lebensqualität als vertraute Landschaften für uns. Die Bedeutung des Waldes wird im Kontext des globalen Biodiversitätsverlustes und des Klimawandels zunehmend größer, ähnlich wie die Konflikte um den „richtigen“ Umgang mit ihm. Anders als manchmal behauptet, bekennt sich der LBV klar zur Nutzung des Rohstoffes Holz. Aber es sind auch die gesteckten Ziele der bayerischen Biodiversitätsstrategie zu erreichen: die bewirtschafteten Wälder mit Waldreservaten als Quelle für Populationen von Arten und ihre Funktion bei der Vernetzung von Trittsteinen. Wir brauchen ein sinnvolles Miteinander von Holznutzung und Waldnaturschutz! Wälder müssen aus gesellschaftlicher wie aus Naturschutzsicht leistungsfähige Ökosysteme bleiben oder sich dahin entwickeln können. Teil der seit 2007 von der Politik propagierten „Nationalen Strategie zur Biologischen Vielfalt“ ist es, über Indikatoren wie zum Beispiel Vögel auch Aussagen zum Zustand der Waldbiodiversität zu ermöglichen. Demnach zeigt das Monitoring des Teilindikators „Wälder“ in den letzten zehn Berichtsjahren (2009 bis 2019) keinen statistisch signifikanten Trend, sprich: Die Populationen der Indikator-Vogelarten waren weitgehend stabil. Der aktuelle Wert lag mit 81 Prozent im Jahr 2019 „in der Nähe des Zielbereichs“, anders als bei den Feldvögeln. Vertragsnaturschutzprogramm Wald Der Waldnaturschutz in Bayern hat in den letzten Jahrzehnten durchaus Fortschritte gemacht. Wälder sind insgesamt etwas älter, totholzreicher und naturnäher geworden (Bundeswaldinventur 4). Dabei spielen auch Privatwälder eine wichtige Rolle, da sie über 50 Prozent der Waldfläche einnehmen. Ziel ist es, den Wald schonend zu bewirtschaften und so zu erhalten oder zu fördern, dass er einem natürlichen Wald nahekommt. Hierbei hilft im Privat- und Körperschaftswald das Vertragsnaturschutzprogramm Wald. Der Erhalt ökologisch wertvoller „Biotopbäume“, aber auch von Bäumen mit Spechthöhlen sowie Totholz werden mit attraktiven Prämien gefördert. Geld gibt es auch für Feuchtflächen, die durch Biber entstanden sind, oder für das Belassen alter Waldphasen. 2024 wurden so rund zehn Millionen Euro Fördergelder gezahlt. Schwerpunkt auf heimischen Baumarten Im Staatswald, der rund 30 Prozent der bayerischen Waldfläche ausmacht, gibt es seit Anfang der 2000er Jahre ein eigenes Waldnaturschutzkonzept mit dem Ziel einer naturnahen Waldwirtschaft. Wie diese sich von einer „naturnahen Forstwirtschaft“ oder „naturgemäßen Waldwirtschaft“ unterscheidet, wird in der Fachwelt intensiv diskutiert. Konsens besteht beim Staatswald jedoch darin, dass „die tragende Basis eines klimagerechten Waldbaus auch weiterhin die heimischen Hauptbaumarten bilden“. Das ist nicht selbstverständlich in Zeiten des Klimawandels. Vor allem Eichen und die selten gewordenen Baumarten der Eichenwaldgesellschaft wie z.B. Elsbeere, Speierling und Spitzahorn gelten als besonders klimatolerant und sind ausgesprochen arten- und strukturreich. Aber auch Pionierbaumarten wie die Aspe oder die Salweide, die vorwüchsig sind, also schnell an Größe gewinnen und früh absterben, sind wichtig in der Walddynamik und Bausteine im Klimawald der Zukunft. Sie bilden weiches Totholz für Weidenmeise und Kleinspecht und ihr Laub ist Futter für den Gabelschwanz und den Schillerfalter. Später dient ihr Totholz als Wasserspeicher, Kleinstruktur und Keimbett für die neue Waldgeneration. LBV MAGAZIN 3|25 13 Miteinander von Holznutzung und Waldnaturschutz

Wenig in der Öffentlichkeit bekannt ist, dass bereits rund 17 Prozent von überwiegend im Staatswald gelegenen Flächen Teil des europäischen Natura 2000-Schutzgebietsnetzwerks sind. Die Waldnutzung ist dort tatsächlich nicht eingeschränkt, solange sich der Zustand des Lebensraums (Lebensraumtypen) und seiner Arten (Schutzgüter) nicht verschlechtert. Die Ausweisung soll großflächig die hier typischen Ökosysteme mit ihren Arten und Funktionen erhalten und vor Umwandlung schützen. Die großen Buchen- und Eichenwälder unserer Mittelgebirge gehören in der Regel zu dieser Kategorie. Um jedoch einen effektiven Waldnaturschutz zu erzielen, braucht es neben diesen Gebieten generell mehr Fläche in Form großer zusammenhängender Waldgebiete für verschiedene Waldarten. Diese müssen über Hecken, Feldraine oder Waldtrittsteine verknüpft sein, um einen Biotopverbund zu schaffen, der Tier- und Pflanzenpopulation verbindet und damit eine genetische Verarmung und Inzuchtdepressionen durch zu kleine Populationen verhindert. Kleine und große Waldschutzgebiete Derzeit gibt es in Bayern 165 Naturwaldreservate mit einer Fläche von rund 7.500 Hektar, in denen keine forstliche Nutzung mehr stattfindet. Ihre durchschnittliche Größe ist mit 45 Hektar eher klein, dafür repräsentieren sie aber alle wichtigen Waldgesellschaften vom Auwald bis zum Schluchtwald, Abseits der fachlichen Diskussionen über gebietsfremde Baumarten in unseren Wäldern wird gerne auch mal in den Medien diskutiert, ob die Skepsis gegenüber nicht-heimischen Baumarten wie der Roteiche (Baum des Jahres 2025) ein Ausdruck versteckter Fremdenfeindlichkeit sei. Die klare Antwort ist: Nein! Ein zentraler Begriff des Naturschutzes ist Autochthonie. Dieser beschreibt die Eigenschaft einer Pflanze oder auch einer Tierart, die von Natur aus in einem bestimmten Gebiet beheimatet ist und dort auch ihren Ursprung hat, ohne dass menschlicher Einfluss notwendig war. Zentrales Ziel des Naturschutzes ist es, von der lokalen bis hin zur globalen Ebene die jeweils gebietsTHEMA heimischen Lebensgemeinschaften zu erhalten und ihre Entwicklung zu gewährleisten. Das gilt sowohl für die Natur- als auch die Kulturlandschaft. Gleiches gilt für die einzelnen autochthonen, standortheimischen Arten. Damit soll die Gesamtartenvielfalt auf der Erde erhalten bleiben. Das Gegenteil davon ist die sogenannte McDonaldisierung der Natur: Gefördert durch menschliche Eingriffe setzen sich zunehmend und großflächig Generalisten durch, oft zulasten der gebietstypischen Vielfalt an Lebensräumen, in denen viele Spezialisten leben. Begriffe wie Autochthonie unreflektiert auf unsere menschliche Gesellschaft anzuwenden, ist gefährlich und geschieht aktuell vor allem gezielt durch 14 LBV MAGAZIN 3|25 FOTOS: DR. OLAF BRODERS, DR. CHRISTIAN STIERSTORFER, TABITAZN - STOCK.ADOBE.COM Kräfte und Parteien der Neuen Rechten, um rassistischem Gedankengut einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Dies ist durchaus vergleichbar mit dem Sozialdarwinismus des letzten Jahrhunderts. Die Prinzipien der Evolutionstheorie wurden auf den Menschen übertragen, mit den bekannten katastrophalen Folgen. Wichtig ist vielmehr, das Invasionspotenzial eingeschleppter oder aktiv eingebrachter Arten abzuschätzen und deren Ausbreitung genau zu beobachten, um gegebenenfalls gegensteuern zu können. Dabei ging und geht es schlicht um die Verwirklichung wissenschaftlich gut begründeter Naturschutzziele. DR. CHRISTIAN STIERSTORFER Nicht-heimische Baumarten unerwünscht? Roteichenblätter

vom Bergmischwald bis zum Buchenwald. Sie sind Lernorte und Freilandlabore, um die Waldentwicklung, Lebensgemeinschaften und den Einfluss des Klimawandels zu studieren. Da viele von ihnen bereits in den 1970er Jahren ausgewiesen wurden, liegt hier ein großer Wissensschatz vor, der von der Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft gehütet wird. Mit dem Volksbegehren Artenvielfalt „Rettet die Bienen!“ wurde die neue Kategorie „Naturwälder“ geschaffen, wodurch zum Beispiel an der mittleren Isar bei Freising 2.300 Hektar und an der Weltenburger Enge über 1.000 Hektar naturnahe Wälder unter Schutz gestellt wurden. Hinzu kommen die beiden Nationalparks (Bayerischer Wald 24.000 Hektar, Berchtesgaden 21.000 Hektar) als zentrale Säulen des großflächigen Waldnaturschutzes. Das Prinzip „Natur Natur sein lassen“ ist ein Erfolgsmodell. Ihre Ausweisungen waren wegweisende Entscheidungen, die weit über Bayern hinaus Signalwirkung hatten und haben. Mit über 75 Prozent Naturzone ohne menschliche Eingriffe erfüllen sie die hohen Standards der Internationalen Union zur Bewahrung der Natur (IUCN). Anders sieht es in bewirtschafteten Wäldern aus, wo nicht einmal 5 Prozent der Bäume älter als 140 Jahre sind. Bei einem erreichbaren Baumalter von ca. 450 Jahren bei der Buche (wie im Semenic-Buchenurwald in Rumänien), wird also im „normalen Wald“ nur rund ein Drittel der natürlichen Altersspanne erreicht. Großschutzgebiete (Nationalparks, Biosphärenreservate und Naturparks) ohne direkten Eingriff des Menschen verfolgen klassische Naturschutzziele, nämlich den Erhalt seltener Arten, die auf das sogenannte Zerfallsstadium eines Waldes angewiesen sind – Artengemeinschaften also, die größere Mengen und eine größere Vielfalt an Totholz brauchen. Zugleich sind sie Lernorte für die Walddynamik, insbesondere wenn es um den Einfluss des Klimawandels geht. Und Großschutzgebiete sind besonders sichere Orte für Arten wie den Luchs, wo diese eine deutlich höhere Überlebensrate haben als außerhalb. Insgesamt existieren in Bayern laut Bayerischer Staatsregierung über 83.000 Hektar „ohne lenkenden Einfluss des Menschen“. Bei aller fachlichen Diskussion darf zudem nicht vergessen werden, dass der Wald in unserer Gesellschaft positive Gefühle auslöst. Viele Menschen fühlen sich mit den Bäumen und Wäldern in ihrer Umgebung verbunden, weil sie landschafts- und identitätsprägend sind. Mit der Bewirtschaftung der Wälder und ihrem Schutz ergibt sich somit eine hohe gesellschaftliche Verantwortung. Wälder waren und sind ein Spiegelbild der Gesellschaft. Das gilt erst recht für ihre und unsere Zukunft. PROF. DR. VOLKER ZAHNER Professor für Zoologie, Tierökologie, Entomologie, Hochschule Weihenstephan E-Mail: volker.zahner@hswt.de Positionen des LBV Kooperation mit Nutzern In Zeiten zunehmend extremer Wetterereignisse muss das Wasser besser in der Waldfläche gehalten werden! Kleinsttümpel entlang von Forstwegen sind hier nur eine von vielen Möglichkeiten. Die starke Erschließung, insbesondere von Hangwäldern, ist kritisch zu sehen, da Waldwege quer zum Hang stark zur Austrocknung der Bestände führen. Zahlreiche Einzelprojekte des LBV, z. B. zum Quellschutz im Wald, zeigen, dass eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Naturschutzverbänden und Waldnutzern bzw. den Staatsforsten möglich ist. Gute Fachgrundlagen für effektiven Waldnaturschutz sind ferner die regionalen Naturschutzkonzepte der Forstbetriebe. Wertvolle Beweidung Auch die Waldweide auf ausgewählten Flächen kann ein weiterer wichtiger Baustein in der Naturschutzstrategie sein. Erste Projektflächen existieren entlang der Isar bei Wolfratshausen, wo Murnau-Werdenfelser-Rinder die Schneeheide-Kiefernwälder beweiden. Die Beweidung schafft dort Gradienten, also randlinienreiche Übergänge zwischen dunklem Wald und lichten Weiden, wovon zum Beispiel der Frauenschuh besonders profitiert. Diese Übergänge sind sehr struktur-, nischen- und damit artenreich. Sie sind in den letzten 200 Jahren weitgehend verloren gegangen. Großflächige Schutzgebiete Besonders wichtig sind uns als Naturschutzverband geförderte Ankaufsprojekte, wie z. B. im Rainer Wald bei Straubing, das mit über 250 Hektar größte LBVSchutzgebiet in Bayern. Hier, wie in fast allen LBVWäldern, sind die Förderung naturnaher Wälder und deren Entwicklung das Ziel. Was Großschutzgebiete in Bayern angeht, so fehlt aus unserer Sicht im Netz der Reservate eine größere Schutzgebietsfläche in einem großen Laubwaldgebiet. Die Kernzonen des angestrebten Biosphärenreservates im Spessart könnten so etwas sein, aber auch ein Nationalpark Steigerwald ist eine wichtige Forderung des LBV. Rolle der Jagd und von Prädatoren Ein eigenes Thema ist die Jagd. Die Auseinandersetzungen hierzu sind kontrovers. Festzustellen ist jedenfalls, dass in vielen Gebieten der Wildverbiss oder Fegeschäden die Naturverjüngung und den Waldumbau in eine naturnähere Bestockung be-, wenn nicht gar verhindern. Dies gilt auch für viele krautige Pflanzen wie z. B. den Türkenbund: eine Lilienart, die in vielen Wäldern kaum zur Blüte kommt, weil Rehe die Blütenknospen fressen. Eine unvoreingenommene Diskussion zum Wildtiermanagement, zu den Jagdmethoden und auch der Rolle von Spitzenprädatoren wie Wolf und Luchs ist erforderlich. LBV MAGAZIN 3|25 15 DR. CHRISTIAN STIERSTORFER Waldreferent des LBV, Bezirksgeschäftsstelle Niederbayern E-Mail: christian.stierstorfer@lbv.de

Unterwegs im Rainer Wald Waldmeister am Werk REPORTAGE Zehn Jahre lang hat Flächenbetreuer Martin Werneyer die Entwicklung des Rainer Waldes begleitet und dabei tiefe Einblicke in das empfindliche Ökosystem gewonnen. Ein Tag mit ihm zeigt, was möglich ist, wenn Natur und Mensch nicht gegeneinander, sondern miteinander wirken. Über den Rainer Wald Der Rainer Wald ist mit 255 Hektar das größte LBV-Schutzgebiet und das bedeutendste Naturwaldareal im Landkreis Straubing-Bogen. Der Wald zeichnet sich durch einen großen Strukturreichtum und einen hohen Totholzanteil aus. Mit seinen naturschutzfachlich sehr hochwertigen Beständen an Alteichen und Sumpfwäldern ist er ein wertvolles Waldrelikt im ansonsten waldarmen Dungau. 16 LBV MAGAZIN 3|25 i

LBV MAGAZIN 3|25 17 FOTO: FRANZISKA BACK Ein Stamm voller Geschichte – Martin legt die Jahresringe frei. Nördlich der Ortschaft Rain in Niederbayern liegt ein einzigartiges Waldstück. Alte, knorrige Eichen stemmen an diesem regnerischen Vormittag ihre breiten Kronen in den grauen Himmel. Umgestürzte Bäume liegen wie moosige Brücken über dem feuchten Waldboden, während der Geruch von nassem Holz und Erde in der Luft hängt. Mit 255 Hektar ist der Rainer Wald das größte Schutzgebiet des LBV. Mal wirkt er wild und urwüchsig, an anderer Stelle erinnern gerade gewachsene Reihen an seine frühere Nutzung als Wirtschaftswald. Flächenbetreuer Martin Werneyer verlässt den Weg, steigt über einen bemoosten Stamm, schiebt Zweige beiseite und verschwindet im dichten Grün. Sein Ziel: eine besonders dicke Eiche, vielleicht die dickste im Rainer Wald. Wie ein Denkmal steht der dicke Baum zwischen jungen Buchen und saftig grünen Gräsern. „Wie alt der Baum ist, weiß niemand genau – hundert Jahre mindestens, vielleicht deutlich mehr“, sagt Martin und streicht über die tief gefurchte Rinde. Stürme, Trockenperioden, Hitze: All dem hat die Eiche getrotzt. Beim Anblick dieses Giganten wird schnell klar, warum die heimische Stieleiche im Rainer Wald eine Schlüsselrolle spielt und warum sie eine der Baumarten ist, auf die Martin auch für die Zukunft setzt. Denn nicht überall strotzt der Wald so grün, so feucht und vital. Der Tod als Chance „Wenn man jetzt zwei Minuten weiterfährt, sieht der Wald ganz anders aus“, sagt Martin und schlägt sich zurück durchs Dickicht zum Geländewagen. Kaum rollt das Auto an, verändert sich das Bild: Statt ausladenden Laubbäumen stehen hier gerade gewachsene Fichten. Martin öffnet die Tür, steigt aus und geht ein paar Schritte. Der Boden federt nicht mehr unter den Füßen. Kein schmatzendes Wasser, kein üppiges Grün – stattdessen eine dicke, trockene Schicht aus Fichtennadeln. „Das ist wie ein geteerter Parkplatz“, sagt er und blickt auf den Boden. Im Gegensatz

18 LBV MAGAZIN 3|25 FOTOS: FRANZISKA BACK, MARTIN WERNEYER Martin Werneyer zeigt dem Japanischen Staudenknöterich die scharfe Kante. Veränderliche Krabbenspinne, Gemeiner Scheinbockkäfer und ein Zipfelkäfer: nur drei von mehr als 1.000 Insektenarten, die im Rainer Wald leben. REPORTAGE lassen, weiß er: Ein naturnaher Wald braucht manchmal Unterstützung, vor allem in Bereichen, wo er zuvor intensiv forstlich genutzt wurde. „An manchen Standorten modellieren wir auch den Boden mit dem Bagger und nehmen die dicke Schicht aus Fichtennadeln ab, damit der Waldboden wieder atmen kann“, erklärt er. Offene Bodenstellen fördern das Leben. Wildbienen lieben sie. Selbst an einem regnerischen Tag wie heute summt und brummt es dort. Zwischen feuchtem Totholz und lichten Kieferninseln entsteht so im Rainer Wald ein Mosaik aus Lebensräumen, das sowohl wärmeliebende Arten wie Goldwespen als auch Seltenheiten wie den Schaufelkäfer anzieht, der auf bodennahe, verrottende Baumstämme angewiesen ist. Die Insektenvielfalt ist enorm: Bei einer Erhebung im Jahr 2023 zählten Forschende des LBV über 1.000 Arten, darunter viele bedrohte. Viele der Maßnahmen sind nur durch eine Förderung der Regierung von Niederbayern aus Mitteln des Bayerischen Umweltministeriums möglich. Im Takt bleiben Um diese Artenvielfalt im Wald zu bewahren, ist es entscheidend, die Natur nicht aus ihrem Takt zu bringen. Pflanzen, Insekten und andere Tiere sind in diesem sensiblem Ökosystem exakt und viele andere Arten. „Das System mit dem Schlitzen der Fichtenstämme habe ich mir im Nationalpark Bayerischer Wald abgeschaut“, erklärt Martin und zeigt auf die herumliegenden Fichtenstämme, über die sich lange helle Streifen ziehen. „Mit einem speziellen MotorsägenAufsatz ritzen wir feine, etwa einen Zentimeter breite Linien flächendeckend in die Rinde über den Stamm.“ Der Großteil der Rinde bleibt am Baum, doch der Effekt ähnelt einer Entrindung: Die Larven des Borkenkäfers können sich nicht mehr durch die äußeren Rindenschichten fressen, ihre Entwicklung stoppt. „So verhindern wir, dass sich der Borkenkäfer weiterverbreitet – vor allem in die angrenzenden Privatwälder“, sagt Martin. Gleichzeitig bleibt das Totholz als Lebensraum erhalten. Zurück zur Vielfalt Diese Fläche überlässt der Flächenbetreuer größtenteils der Natur und der Wald darf sich selbst verjüngen. „Die Natur weiß ziemlich genau, was sie tut“, sagt Martin. Die Bäume, die von selbst keimen und wachsen, sind oft besonders gut an ihren Standort angepasst. Trotzdem greift er an manchen Stellen gezielt ein. Auf einer Fläche gegenüber zum Beispiel pflanzt er Ulmen. Ziel ist ein möglichst breites Artenspektrum – eine wichtige Strategie in Zeiten des Klimawandels. „Ich frage mich bei jeder Fläche: Welche Baumarten kämen hier natürlicherweise vor oder könnten früher hier gewachsen sein?“ Gepflanzt werden deshalb ausschließlich autochthone Gehölze – also Bäume, die aus regionalen Wildbeständen stammen. Damit sie nicht von Rehen angeknabbert werden, schützt Martin die jungen Pflanzen mit Wuchshüllen aus Holz oder pflanzt sie in kleine, eingezäunte Pflanzinseln. Denn auch wenn Martin es schätzt, den Wald sich selbst zu überzum lebendigen, feuchten Auwald wirkt dieser Waldboden leblos, versiegelt. Jahrzehntelang stand hier ein Nutzwald. Fichten, schnell wachsend und ertragreich, bestimmten das Bild. Doch jetzt stellt die Klimakrise den Bestand auf die Probe: Dürre, Stürme, Borkenkäfer. Fichten würden hier in dieser hohen Anzahl natürlicherweise nicht vorkommen – jetzt zahlt der Wald den Preis dafür. Tote Bäume ragen kahl in den Himmel, andere liegen geknickt am Boden, einige enden abrupt als Stümpfe. Ein dystopisches Bild, doch für Martin bedeutet es eine Chance. Hier soll ein natürlicher, vielfältiger Wald nachwachsen. Doch die alten, abgestorbenen Bäume bleiben wertvoll. Totholz gehört zu den wichtigsten Strukturelementen in einem naturnahen Wald. Es bietet Unterschlupf für Käfer, Höhlenbrüter

FOTOS: MARTIN WERNEYER, FRANZISKA BACK Grund zur Freude: eine Kaulquappe des seltenen Laubfroschs. Woher er genau stammt, ist oft unklar. In vielen Fällen könnten Gartenabfälle der Ursprung gewesen sein. Hoffnungsträger fördern Während schädliche Arten entfernt werden müssen, wachsen an anderen Stellen Hoffnungsträger. Immer wieder bleibt Martin stehen, bückt sich, knickt die oberen Triebe kleiner Bäume sanft nach unten. Nicht, um sie zu beschädigen, sondern um anderen eine Chance zu geben, etwa jungen, die sich in den Bereichen mit sandigen Böden des Rainer Walds wohlfühlen. „So bekommen sie schneller Licht. Das könnte ich den ganzen Tag machen“, sagt er und geht mit wachem Blick durch den Bestand. Manchmal baut er auch kleine Schutzwälle aus Ästen und Reisig um empfindliche Jungpflanzen – etwa um zarte Ebereschen, die sonst von Rehen verbissen würden. Gut getarnt lugen ihre Blätter aus dem lockeren Wall hervor, bereit, in die Höhe zu wachsen. Es sind einfache Handgriffe, kaum sichtbar für Außenstehende. Doch genau das macht für Martin den Reiz aus. „Wenn ich sehe, dass sich ein Bestand nach ein paar Jahren durch ein paar kleine Maßnahmen gut entwickelt, ist das einfach schön“, sagt er. Mehr braucht es manchmal nicht. aufeinander abgestimmt. Deshalb ist es für Martin Werneyer wichtig, auf heimische Baumarten zu setzen. Immer wieder Anlass zur Diskussion bietet etwa die Roteiche, der aktuelle Baum des Jahres. Im Rainer Wald wird sie konsequent entfernt – obwohl einige Stimmen meinen, sie könne im Klimawandel eine brauchbare Mitstreiterin sein. „Die Roteiche ist nicht in unser Ökosystem eingebunden“, erklärt der Flächenbetreuer. „Sie nimmt einen Platz weg, den ein heimischer, ökologisch wertvollerer Baum besetzen könnte.“ Große Probleme verursachen auch sogenannte Neophyten wie die Späte Traubenkirsche – eine Art aus Nordamerika – oder der Japanische Staudenknöterich. Letzterer breitet sich im Rainer Wald besonders rasant aus. Viel Zeit hat Martin Werneyer bereits in dessen Bekämpfung investiert. Als er einige der Pflanzen am Rand des Weges entdeckt, hält er an, steigt aus seinem Jeep und holt eine Sense vom Autodach. „Manche belächeln das, wenn ich so ein großes Problem mit meiner kleinen Sense angehe“, sagt er. „Aber mit einer großen Maschine, die man ständig umsetzen muss, wäre man viel unflexibler.“ So kann er spontan reagieren und gezielt nur den Knöterich entfernen. Mit einer geübten, schwungvollen Bewegung macht er der noch kleinen Staude den Garaus. „Es gab Jahre, da bin ich morgens um fünf raus und habe gesenst, bis ich die Kinder zur Schule gebracht habe“, erzählt er. Die Bekämpfung müsse konsequent erfolgen. Sonst könne man es gleich bleiben lassen, meint er. Denn der Staudenknöterich verbreitet sich extrem schnell. Welcher Moment aus deinen zehn Jahren als Flächenbetreuer im Rainer Wald ist dir besonders in Erinnerung geblieben? Vor einigen Jahren haben wir unter großem Aufwand Laubfrösche im Rainer Wald wiederangesiedelt. Bis sie sich fortgepflanzt haben, ist sehr viel Zeit vergangen, und ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben. Als ich dann zum ersten Mal den Laich und Kaulquappen gefunden habe, war das ein ganz besonders Gefühl. Was hast du in deiner Zeit im Rainer Wald über die Arbeit in einem solchen Schutzgebiet gelernt? Es ist gut, wenn man einen Plan hat. Aber man muss auch von ihm abweichen können. Was wünschst du dem Rainer Wald für die Zukunft? Vor allen Dingen wünsch ich mir, dass die Vielfalt, die diesen Wald ausmacht, erhalten bleibt. FRANZISKA BACK Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Landesgeschäftsstelle Hilpoltstein E-Mail: franziska.back@lbv.de 3 Fragen an Martin Werneyer Nach zehn Jahren als Flächenbetreuer verabschiedet sich Martin Werneyer aus dem Rainer Wald. Drei Fragen zum Abschied: LBV MAGAZIN 3|25 19

THEMA FOTO: ANDREAS HARTL Heckrinder Sukzession und kleinräumige Nutzung fördert bedrohte Arten Wald ist Vielfalt Was in einem Wirtschaftswald als außergewöhnlich und schädlich für die forstliche Nutzung gilt, ist in großflächigen Naturwäldern normal: besondere Standorte, die zumeist durch dynamische Ereignisse wie Stürme oder Überflutungen entstehen. In der mitteleuropäischen Kulturlandschaft kommt seit Jahrtausenden auch der Faktor Mensch hinzu. Mit der traditionellen kleinräumigen und mosaikartigen Nutzung förderte er lange Zeit die Artenvielfalt. Hier einige Beispiele. VON DR. CHRISTIAN STIERSTORFER Waldweide Nutztiere wie Rinder oder Schweine durften früher in die Wälder. Da Schweine gerne Eicheln fraßen, ließ der Mensch Eichenhaine stehen oder legte sie an. Im Bayerischen Wald gab es noch bis weit ins letzte Jahrhundert Weiderechte für Rinder. Heute verbietet unser Waldrecht diese Nutzungsform weitgehend. Zudem gestalteten auch andere Großtiere den Wald: Wisent, Auerochse, Elch und Rothirsch gab es früher überall im bewaldeten Zentraleuropa, wodurch die Wälder sehr heterogen und teilweise licht waren. Ob wir uns die damaligen Waldlandschaften daher eher als Baumsavanne mit Großtieren vorstellen müssen, ist wissenschaftlich allerdings umstritten. 20 LBV MAGAZIN 3|25

FOTOS: THOMAS STEPHAN, HENRI KOSKINEN - STOCK.ADOBE.COM, MARCUS BOSCH Eremit Ziegenmelker Ziegenmelker Die alte mitteleuropäische Kulturlandschaft war ein vielfältiges Mosaik aus Wäldern, Feldern und Wiesen bzw. Weiden. Hinzu kamen teilweise großflächige Offenländer entlang der freifließenden Flüsse, die vor den Zeiten mit Staustufen noch die Kraft hatten, immer wieder „Tabula rasa“ zu schaffen. In solchen Freiflächen mit wenig Baumbewuchs fühlen sich Arten wie der Ziegenmelker wohl. Heute beschränken sich seine Vorkommen auf zumeist menschlich geschaffene Freiflächen wie Abbaustätten oder Truppenübungsplätze. Der Ziegenmelker ist nachtaktiv und jagt im offenen Gelände vor allem Nachtfalter, die er im Flug erbeutet. Am Tag ruhen die bestens getarnten Tiere beispielsweise auf dickeren Ästen und fliegen erst dann auf, wenn sich jemand auf wenige Meter nähert. Pilze und Totholzkäfer Auch wenn die mitteleuropäische Landschaft in früheren Jahrhunderten aufgrund intensiver, aber kleinteiliger Nutzung waldärmer war als heute, so gab es doch immer wieder Bereiche mit alten Bäumen. Diese sorgten für eine Kontinuität der Lebensräume zum Beispiel für seltene Pilz- und Käferarten, die wir heute gezielt schützen. Derzeit bestehen unsere genutzten Forste vorwiegend aus relativ jungen Bäumen, in denen für diese Spezialisten kein geeigneter Lebensraum existiert. In manchem Stadtpark mit Methusalem-Bäumen finden sich daher mehr seltene Käferarten wie etwa der Eremit als in manchem Nutzwald. Im Nationalpark Bayerischer Wald ist die Zitronengelbe Tramete ein Beispiel für einen solchen „Urwaldpilz“. LBV MAGAZIN 3|25 21 Zitronengelbe Tramete

THEMA FOTOS: DR. ANDREAS V. LINDEINER, DR. EBERHARD PFEUFFER, DR. CHRISTIAN STIERSTORFER, KLAUS MÜLLER Frühe Sukzessionsstadien Fallen Waldbereiche Naturkatastrophen zum Opfer oder werden gerodet, steht ein breites Spektrum von Pionierarten wie Birken und Pappeln bereit, um die Fläche wiederzubesiedeln. Zuvor haben sich bereits zahlreiche Insekten wie zum Beispiel Wildbienen und Falter eingestellt, die den offenen und besonnten Boden als Lebensraum auf Zeit nutzen. Auch manche Amphibien wie etwa die Kreuz- und Wechselkröte gehören zu den Pionieren. Die fortschreitende Entwicklung (Sukzession) beginnt mit schütterer, niedriger Vegetation, der in den Folgejahren Sträucher und Bäume folgen. Wo hingegen der Mensch die Waldlandschaft stabilisiert und dynamische Ereignisse als Störung bekämpft, kommen natürliche Sukzessionskreisläufe zum Erliegen, was insbesondere Pionierarten den Lebensraum entzieht. Niederwald/Mittelwald Diese historischen Nutzungsformen gibt es heute kaum noch, sie sind wirtschaftlich von untergeordneter Bedeutung. Ursprünglich wurden in diesen Nutzwäldern Baumarten wie Schwarzerle oder Hainbuche regelmäßig auf den Stock gesetzt oder die Kronenäste immer wieder geerntet. So entstanden lichte Waldstrukturen mit einer großen Habitatvielfalt. Nicht genutzte Bäume boten zum Beispiel Höhlenbrütern wie Spechten und Eulen oder Fledermäusen ein Zuhause. Auch im Schutzgebiet Rainer Wald hat der LBV kleinflächig Mittelwald-Strukturen geschaffen. 22 LBV MAGAZIN 3|25 Kreuzkröte Waldbrettspiel

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