Der Torso einer weitgehend abgestorbenen alten Linde bietet noch lange einen artenreichen Lebensraum. Ein alter Baum bildet im Laufe der Jahre ein komplexes, eigenständiges Ökosystem. Seine grobe Rinde, Stammhöhlungen, abgestorbene Äste, morsches Holz, Bewuchs wie Moose und Flechten oder Farne schaffen unzählige Lebensräume für Tiere, Pflanzen, Pilze und Mikroorganismen. Besonders Baumarten mit strukturierter Borke wie Eichen, Ahornarten, Obstbäume oder Robinien bieten zahlreichen Insektenarten Unterschlupf. Unter der Borke leben Borken- und Bockkäfer, die dort ihre Eier ablegen. Viele Insektenarten in verschiedenen Entwicklungsstadien überwintern geschützt in den Borkenspalten. Fliegen- und Spinnenarten nutzen die Rinde als Versteck oder Brutplatz. Strukturen für Vögel, Fledermäuse und Insekten Vögeln bieten alte Bäume hervorragende Singwarten und Brutplätze. Amsel, Singdrossel, Mönchsgrasmücke, Grauschnäpper oder Gartenrotschwanz finden hier geeignete Reviere. Weiches, über Jahre verrottetes Holz wird von Spechten für Bruthöhlen genutzt, die später Meisen, Stare, Kleiber und andere Höhlenbrüter beziehen. Auch Eulen und Fledermäuse finden in alten Baumhöhlen sicheren Unterschlupf. Nicht selten bauen verwilderte Honigbienen oder Hornissen ihre Staaten in hohlen Stämmen. Die dichten Kronenbereiche bieten weiteren Vogelarten Schutz und Nistmöglichkeiten. Auch für Insekten ist der Mikrokosmos eines alten Baumes ein idealer Lebensraum. Wildbienen nutzen Ritzen in der Rinde oder ehemalige Fraßgänge, um ihre Brut unterzubringen. Totholz ist für viele Käferarten wie den Balkenschröter, den Eremiten oder den imposanten Hirschkäfer unverzichtbar. Auch Spinnen, Schmetterlinge und viele andere Gliederfüßer profitieren von der Strukturvielfalt alter Bäume. Naturnah gärtnern – alte Bäume erhalten In naturnah gestalteten Gärten können alte Bäume eine herausragende ökologische Funktion übernehmen. Pflegemaßnahmen an Altbäumen sollten mit großer Sorgfalt durchgeführt werden. Größere Schnittstellen – insbesondere solche mit einem Durchmesser von mehr als fünf bis zehn Zentimetern – sind möglichst zu vermeiden, da sie die Vitalität des Baumes beeinträchtigen und Eintrittspforten für Pilze und andere Schaderreger darstellen können. Im Gegensatz zum öffentliIn vielen Gärten stehen sie wie stille Wächter: knorrige Apfel-, Kirsch- oder Birnbäume, majestätische Linden oder ehrwürdige Eichen. Manche von ihnen sind Jahrzehnte, andere sogar Jahrhunderte alt. Doch sie sind weit mehr als nur dekorative Zeitzeugen oder Schattenspender – sie fördern die Biologische Vielfalt und sind unverzichtbar für das ökologische Gleichgewicht im Garten. chen Raum spielt im Privatgarten die Verkehrssicherheit in der Regel eine untergeordnete Rolle. Solange keine akute Gefährdung besteht, sollten tote Äste oder abgestorbene Stamm- und Kronenteile bewusst erhalten bleiben. Dennoch werden alte Bäume häufig entfernt, da sie als krank, beschädigt oder ästhetisch unansehnlich wahrgenommen werden. Dabei könnten viele von ihnen durch fachgerechten Rückschnitt und gezielte Pflegemaßnahmen noch über Jahre oder Jahrzehnte erhalten werden. Im Zweifelsfall sollte stets ein qualifizierter Baumfachmann (z. B. mit FLL-Zertifizierung oder einer vergleichbaren Qualifikation) hinzugezogen werden, bevor irreversible Maßnahmen wie eine Fällung erfolgen. Auch der Bewuchs alter Bäume mit Efeu ist häufig Anlass für Diskussionen. Solange der Stamm gesund ist und der Efeu nicht in die äußeren Kronenbereiche eindringt, stellt der Bewuchs in der Regel kein Problem dar. Vielmehr kann er einen wertvollen Brutplatz für Vogelarten wie Drosseln oder Finken bieten. In der Fruchtphase liefert Efeu zudem im Frühjahr eine wichtige Nahrungsquelle für Vögel. Seine späte Blühphase ist außerdem von hoher Bedeutung für Bestäuber wie die Efeu-Seidenbiene, Schwebfliegen, Wespen und den Admiral. RUDOLF WITTMANN Gärtnermeister, Sachverständiger für Bäume, Vorsitzender Kreisgruppe Ingolstadt E-Mail: rudolf.wittmann@lbv.de LBV MAGAZIN 3|25 39 FOTOS: RUDOLF WITTMANN (2)
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